Von Maja Lendzian
In dem kleinen Dorsten war 1933 »unbeschreiblich Gigantisches« im Gange – schenkt man den flammenden Worten des NSDAP-Ortsgruppenleiters Ernst Heine Glauben. Alle »Führer und Helden der freiwilligen Arbeit« sollten auf seinen Wunsch hin durch »Geschlossenheit und Opferbereitschaft« dem so genannten Braunen Haus zum »Endsieg« – sprich zur Vollendung – verhelfen.
Dieser Partei-Tempel der NSDAP wurde dann auch wirklich in kurzer Zeit aus dem alten und vom Verfall bedrohten Amtsgericht an der I.ippestraße hervor gezaubert. Es erhielt den Namen des Ministerpräsidenten Hermann Göring, des »herrlichsten Paladins des Führers«, wie NSDAP-Kreisleiter Barthel ihn in diesem Zusammenhang überschwänglich nannte.
Hermann Göring kam nicht nach Dorsten
Zumindest dieser prächtige Vasall Hitlers schien von gigantischeren Projekten beseelt zu sein als von dieser »Pflegestätte nationalsozialistischen Wollens und Gedankengutes«. Denn fünf Tage vor der Einweihung, am 15. Oktober 1933, schrieb dessen Staatssekretär:
»Er (Göring) bedauert, dieser Einladung wegen anderweitiger dringender Inanspruchnahme nicht Folge leisten zu können. Die Entsendung eines Vertreters ist wegen der außerordentlichen starken dienstlichen Überlastung des Staatsministeriums leider nicht möglich.«
So mussten sich die neuen örtlichen Machthaber in Dorsten mit dem zugesandten Lichtbild »des Herrn Ministerpräsidenten« bescheiden, obwohl Heine in seiner Einladung an Göring vom 10. August alle argumentativen Register gezogen hatte: Da half weder der Wink mit der Unterjochung der Roten noch das Umschmeicheln des Ministers. Ernst Heine schrieb:
»Dorstener Nationalsozialisten, die im Laufe der Jahre oft genug Gelegenheit halten, moskowitische Helden, die hier und in der Umgebung in Armeestärke vertreten waren, in liebevolle Behandlung zu nehmen, brachen gleichzeitig, oft unter ungeheuren Schwierigkeiten, der Bewegung in das tiefschwarze Münsterland hinein Bahn … Die kleinen, innerlich sicher noch schwärzlich gefärbten Geister hier halten es nicht für möglich, daß die Verbundenheit der Parteigenossen untereinander so weit reicht, daß einer unserer großen Führer hier nach Dorsten kommt. Ihnen möchten wir auf echt nationalsozialistische Art und Weise ein kräftiges Schnippchen schlagen!«
Doch aus dem Schnippchen wurde nichts. Die sich »selbstlos hingebenden und treuen Kämpfer« (so Heine) fanden in der Dorstener Volkszeitung schon mehr Beachtung:
»In hellbraunem Glanz liegt das Haus in der Häuserflucht der Lippestraße, überragend von seiner Wuchtigkeit, die durch die beiden Hakenkreuze auf den Torpfeilern und die markante Aufschrift Hermann-Göring-Haus noch betonter wird.«
Hitlerbüste wachte im Inneren über alles
Im Innern des in 7.160 freiwilligen Stunden arbeitsloser Nationalsozialisten renovierten Gebäudes befanden sich die Wache, das Sturmbannbüro, der Aufenthaltsraum der SA, Räume der SS, Zimmer der NSBO, ein Raum für die Hitlerjugend, Ortsgruppenleitung, Konferenzzimmer (geschmückt mit einem Kanzlerbild des Dorstener Malers Willi Singor), Räume für NSBL, Kriegsopfer und NS-Frauenschaft sowie eine fünfräumige Hausmeisterwohnung. Ein Teil des großen Gartens wurde für »Übungszwecke« planiert. Und über allem wachte im Treppenhaus eine Büste des Führers. Übrigens bekam die Partei das Gebäude nicht ganz umsonst. Ihr Einfluss war 1933 aber schon so groß, dass der Staat das ausgediente Amtsgericht für nur einen symbolischen Betrag abgab. Laut Vertrag, der im Juni zwischen Partei und Hochbauamt Recklinghausen geschlossen wurde, musste die NSDAP Dorsten je 1.000 Reichsmark Gebäudewert nur 20 Pfennige Steuern bezahlen.
Mit dem Gebäude ein »kleiner Endsieg« gelungen
Spätestens am Sonntag, dem 15. Oktober 1933, wussten auch die letzten »innerlich noch schwärzlichen Seelen«, dass mit der Weihe des neuen NS-Tempels ein »kleiner Endsieg« gelungen war: Um sieben Uhr weckten Böllerschüsse die Dorstener aus dem Schlaf. Obersturmbannführer Artur Wagner (später Standartenführer) aus Hervest-Dorsten marschierte mit der 1.000 SA-Mann starken Standarte 273 auf. Vertreter des Magistrats und Bürgermeister Dr. Gronover bemerkten in ihren Jubelreden:
»Gerade das Hermann-Göring-Haus – als Spiegelbild des deutschen Aufstiegs – lässt als leuchtendes Symbol die hohe Bedeutung des Handwerks erkennen…«
Zum Abschluss der Einweihungsfeierlichkeiten sprühten leuchtende Partikel abgeschossener Feuerwerkskörper auf die Lippestadt. – Nur zwölf Jahre später fielen Bomben der Alliierten auf Dorsten und das »Hermann-Göring-Haus«, das eigentlich »für alle Zeiten nationalsozialistische Aufbauarbeit“ dokumentieren sollte.
In Holsterhausen war das alte Kommissariat an der Borkener Straße das Braune Haus, in Hervest-Dorsten stand es am Brunnenplatz (siehe Foto).