W. St. – Wer die Bremer Passagierlisten der Urlaubsreisen des „Kraft durch Freude“-Fahrgastschiffe „Der Deutsche“ und Wilhelm Gustloff“ zwischen 1935 und 1938 durchsieht, findet unter den Herkunftsnamen der Passagiere auch mehrfach die Stadt Dorsten und dann gleich mehrere Familien bzw. Paare, die davon Gebrauch machten, mit der NS-Reiseorganisation in den Urlaub zu den Fjorden Norwegens zu fahren. Bei der heutigen Nachfrage des Verfassers, ob die eine oder andere Person noch für eine Auskunft über diese Vergnügungsreisen unterm Hakenkreuz für ein Gespräch zur Verfügung stünde, kam der Verfasser dieses Berichts gleich beim ersten Anruf in leichte Verlegenheit, denn ein Metzger aus Dorsten reiste offiziell nicht – wie angegeben – mit seiner Braut, sondern mit einer seiner Verkäuferinnen. Peinlich, weil der Metzger damals bereits verheiratet gewesen war. Den heute ins Alter gekommenen Kindern gefiel es gar nicht, vom lange zurückliegenden KdF-Seitensprung ihren Vaters in einem Norweger Fjord zu hören. Aus den Passagierlisten ist alles zu erfahren: Kabinengröße, Mitreisende, Alter, Beruf, Adresse, die NSDAP-Mitgliedsnummer, andere NS-Mitgliedschaften, Dauer der Reise, Kosten und anderes.
Tausende fuhren mit diesen KdF-Schiffen vornehmlich nach Norwegen, mit Sonderzügen in den Harz oder in die mittelalterliche Touristenstadt Rothenburg ob der Tauber, mit Sonderbussen in die Alpen oder später nach Wien, auf die Insel Rügen in der Ostsee oder mit dem Fahrgastschiff nach Helgoland in der Nordsee, an den deutschen Rhein und an die weinselige Mosel. Diese Reisen waren sehr beliebt, denn viele Familien konnten sich durch KdF erstmals einen Urlaub überhaupt leisten. Da nahmen sie auch propagandistische Indoktrination hin, wenn sie dies überhaupt merkten. Wo im großen deutschen Reich und in welchen Lebens- und Arbeitsbereichen waren Menschen in nationalsozialistischer Zeit dieser Propaganda nicht ausgesetzt? Für sie war dieser Urlaub Abwechslung, Erholung, Freizeit, Bekanntschaften und Freude.
NS-Regierung verdoppelte den Urlaub der Arbeiter und Angestellten
So wollte es auch der NS-Staat. Die Teilnehmer dieser Reisen sollten durch Freude Kraft gewinnen, damit sie im Arbeitsalltag zuhause in der Produktion noch besser sein konnten. Die nationalsozialistische Organisation „Kraft durch Freude“ bestand von 1933 bis 1945 und war mit der Aufgabe betraut, die Freizeit der deutschen Bevölkerung zu gestalten, zu überwachen und gleichzuschalten. „Kraft durch Freude“ war eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Mit dem Amt für Reisen, Wandern und Urlaub, das Land- und Seereisen veranstaltete, war KdF zugleich der größte Reiseveranstalter im Dritten Reich.
Zur Entstehung von Kraft durch Freude trugen zwei Faktoren bei: Zum einen war bereits in der Zeit der Weimarer Republik die durchschnittliche Zahl von Urlaubstagen bei Arbeitern und Angestellten auf acht bis zwölf Tage angestiegen; fast alle Arbeiter hatten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Jedoch bekamen meist nur ältere Betriebsangehörige so viel Urlaub, dass sie tatsächlich eine längere Reise hätten antreten können. Die Nationalsozialisten verlängerten den Urlaub auf zwei bis drei Wochen pro Jahr, obwohl es hierfür noch keine gesetzliche Regelung gab. Indem die nationalsozialistische Regierung den Arbeitnehmern eine weitere Ausdehnung des Urlaubs und eine Verkürzung der Arbeitszeit versprach, konnte sie einen Teil der vormals marxistisch oder sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterschaft umstimmen. Zum anderen besaß das faschistische Italien unter Mussolini bereits seit 1925 eine Freizeitorganisation, die Opera Nazionale Dopoöavoro (Nationales Freizeitwerk). Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, hatte diese 1929 auf einer Italienreise kennen gelernt und schlug daher nach der Machtübernahme 1933 eine vergleichbare Organisation vor. Die Nationalsozialisten planten zunächst, sprachlich an die italienische Version angelehnt, ein „Feierabendwerk Nach der Arbeit“; der endgültig gewählte Name „Kraft durch Freude“ erwies sich jedoch als weit wirksameres Propaganda-Schlagwort. An der Planung war Robert Ley maßgeblich beteiligt, der als Leiter der DAF auch das Freizeitwerk führen sollte.
Am 14. November 1933 genehmigte Hitler die Pläne für ein Freizeitwerk. Die offizielle Gründung von KdF fand zwei Wochen später am 27. November 1933 auf einer Sondertagung der Deutschen Arbeitsfront im Beisein von Rudolf Heß und Joseph Goebbels statt.
Ideologische Grundlagen und Ziele
Das Ziel der Organisation „Kraft durch Freude“ war es, dem deutschen Volk (Leistungs)-„Kraft“ zu verleihen, einerseits, um die volkswirtschaftliche Produktion anzukurbeln, andererseits aber auch, um aus den Deutschen ein körperlich gesundes, kriegstüchtiges Volk zu machen. „Das Ziel der Organisation ist die Schaffung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und die Vervollkommnung und Veredelung des deutschen Menschen“. Ein „nervenstarkes Volk“ und die „Veredelung des deutschen Menschen“ wollte man erreichen, indem man der arbeitenden Bevölkerung eine genau bemessene und durchstrukturierte Freizeit anbot. Die Arbeitsleistung und Produktivität sollten gesteigert werden, die Volksgesundheit sollte sich verbessern. Nicht lasterhaftes, verweichlichendes „Vergnügen“, sondern gesunde „Freude“ sollte dem Arbeiter „Kraft“ geben.
In „Kraft durch Freude“ sollten nicht die einzelnen Stände und Berufsgruppen Urlaubs- und Reise-Enheiten bilden, sondern der Gedanke der klassenlosen „Volksgemeinschaft“ stand im Vordergrund. Die „Erhaltung des Arbeitsfriedens durch Befriedung der Arbeitenden“ war das offiziell ausgegebene Ziel. Kraft durch Freude sollte also primär den inneren Frieden sichern, indem es den Arbeitern versprach, was sich bis dahin nur die Oberschicht leisten konnte: Reisen und eine ausreichende, ausgefüllte Freizeit.
Für die nationalsozialistischen Ideologen war Freizeit nicht als Selbstzweck denkbar, sondern musste im Dienste des Staates und des Volkes stehen. Offizielles Ziel von KdF war „die Schaffung eines neuen deutschen Menschen und einer neuen deutschen Gesellschaftsordnung. Der politischen und der wirtschaftlichen folgt die gesellschaftlich-kulturelle Neuordnung der deutschen Volksgemeinschaft“. Auf der anderen Seite diente auch diese Organisation letztlich der Kriegsbereitschaft. Ein gesundes und motiviertes Volk galt den Nationalsozialisten auch als besonders kriegstüchtig. Die erhöhte Produktion, die man sich erhoffte, kam den Rüstungsbetrieben zugute. Erst kurz vor Kriegsbeginn wurden diese Ziele auch offiziell bekannt gegeben. Hitler sagte:
„Ich will, daß dem Arbeiter ein ausreichender Urlaub gewährt wird und daß alles geschieht, um ihm diesen Urlaub sowie seine übrige Freizeit zu einer wahren Erholung werden zu lassen. Ich wünsche das, weil ich ein nervenstarkes Volk will, denn nur allein mit einem Volk, das seine Nerven behält, kann man wahrhaft große Politik machen.“
Zu den kulturellen Zielen zählte die Stärkung des Heimatgefühls, des Nationalsozialismus‘ und des Gemeinschaftsgefühls. Das deutsche Volk sollte in der gemeinsam verbrachten Freizeit zu einer starken, anderen Völkern überlegenen Gemeinschaft zusammengeschweißt werden. Man erhoffte sich von KdF auch Erfolge im Ausland: Das deutsche Volk sollte sein Selbstbewusstsein nach außen tragen und zugleich auf Auslandsreisen sein eigenes Vaterland mit anderen Ländern vergleichen können – zum Vorteil des eigenen Landes natürlich. Die Welt sollte den Eindruck eines gesunden und friedliebenden Deutschlands gewinnen.
Tätigkeiten und Finanzierung
KdF organisierte „Bunte Abende“, Gymnastik, Schwimmlehrgänge, Nähkurse, Schachturniere und Konzerte. Gefördert wurde auch die Erwachsenenbildung. Darüber hinaus initiierte die KdF Dorfverschönerungsaktionen. Ziel war, „das Dorf um seiner selbst willen und als nationalsozialistische Gemeinschaft und damit als Kraftquell für die ganze Nation“ zu gestalten. Ein wesentliches Instrument dazu war der „Wettbewerb um das schönste und vorbildlichste Dorf“.
Die Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront, in der ein Großteil der deutschen Arbeitnehmer, Arbeitsgeber und Staatsbeamten organisiert waren, waren zugleich auch Mitglieder von Kraft durch Freude. Sie bezahlten einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von mindestens 50 Pfennig. Die große Mehrheit der KdF-Mitarbeiter arbeitete ehrenamtlich. Das senkte die Personalkosten des Programms. 1937 hatte KdF 106.000 ehrenamtliche und 4.400 hauptamtliche Mitarbeiter. Die Einnahmen der DAF wuchsen von 281 Mio. Reichsmark im Jahre 1933 auf 538 Mio. im Jahr 1939. Der überwiegende Teil waren Mitgliedsbeiträge. KdF wurde von der DAF mit 8 Mio. RM im Jahr 1934, 14,3 Mio. im folgenden Jahr und 1938 bereits mit 32,5 Mio. RM bezuschusst. Die Erwartungen, KdF würde sich durch die Einnahmen bei den Reisen selbst finanzieren, erfüllten sich nicht.
Rothenburg ob der Tauber beliebtes Reiseziel der KdF-Touristen
Die mittelalterlich anmutende fränkische Stadt Rothenburg ob der Tauber war von der KdF-Organisation ideologisch als Reiseziel ausersehen. Daniel Bauer schreibt in seinem Aufsatz „Formen nationalsozialistischer Herrschaft in Rothenburg“: „Ab 1933 gab es in der Stadt eine gewaltige Zunahme des Fremdenverkehrs. Waren es 1933 noch 55.800 Besucher, reisten vier Jahre später 140.000 in die Stadt.“ Der „Fränkische Anzeiger“ zitierte am 6. September 1937 den NSDAP-Kreisleiter: „Ein Gang durch die alten Gassen Rothenburgs werde den Gästen zeigen, was deutscher Geist, deutscher Wille und deutsche Kraft in früheren Jahren geschaffen haben.“
Aus missglücktem KdF-Wagen wurde nach 1945 der erfolgreiche VW-Käfer
Mit dem „KdF-Wagen“ brachte „Kraft durch Freude“ ein Produkt auf den Markt, das nach dem Krieg als VW-Käfer vielen Menschen Freude bereitete: ein preisgünstiges Auto, für fast jedermann erschwinglich. Schon 1934 forderte Adolf Hitler den Bau eines Kraftwagens für breite Schichten der Bevölkerung. Es schwebte ihm die Konstruktion eines Autos vor, das 100 km/h Dauergeschwindigkeit auf der Autobahn halten kann, mit vier Sitzen für Familien geeignet ist, sparsam im Verbrauch ist und vor allem unter 1.000 Reichmark kostet. Ferdinand Porsche erhielt den Konstruktionsauftrag. Da die Automobilindustrie an einer Subventionierung des Volkswagens kein Interesse hatte, beauftragte Hitler die Deutsche Arbeitsfront (DAF) mit dem Bau der größten Automobilfabrik Europas. Dafür wurde eigens die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH (GeZuVor) mit Sitz in Berlin gegründet. Ihr erstes und einziges Produkt sollte der „KdF-Wagen“ werden. Sie finanzierte den Aufbau des Volkswagens vor allem aus dem Verkauf des 1933 beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögens. Die spätere Produktion wurde nach einem von der DAF entwickelten Konzept vorfinanziert, dem zufolge die künftigen Käufer des Volkswagens Vorauszahlungen zu leisten hatten. Der Kaufpreis von 990 RM wurde in Raten von 5 RM angespart und mit Sparmarken auf einer Sparkarte quittiert. Allerdings ergaben 1939 die kalkulierten Kosten einen Verlust von 1.080 RM für jedes auszuliefernde Fahrzeug.
Standort für die Herstellung wurde das dünn besiedelte Gebiet bei der Gemeinde Fallersleben ausgesucht. Als Vorbild der Werksplanung diente das damals modernste Automobilwerk River-Rouge der Ford Moto Company in den USA. 1938 wurde die „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ gegründet, die seit 1945 Wolfburg heißt. Die konsequente Fließbandfertigung orientierte sich an Beispielen von Ford in Detroit, deren Produktionsmethoden Porsche auf einer USA-Reise studierte.
Werk auf Kriegsproduktion umgestellt
Die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH“ wurde 1938 in „Volkswagenwerk G.m.b.H.“ umbenannt. Geplant war eine Jahresproduktion von 150.000 Fahrzeugen. Dazu kam es aber nicht mehr, denn es fehlten Spezialwerkzeugmaschinen, weil sich die Wirtschaft auf den Krieg vorbereiten musste. KdF-Wagen, auf die viele Menschen gespart hatten, wurden nie ausgeliefert, sondern die VW-Technik, die Porsche mitentwickelt hatte, wurde im Kübelwagen und Schwimmwagen für die Wehrmacht verwendet.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Volkswagenwerk auf die Produktion von Rüstungsgütern, unter anderem auch die Vergeltungswaffe V 1, umgestellt. Dies organisierte vor allem Porsches Schwiegersohn Anton Piëch, der ab 1941 Werksleiter und einer der drei Hauptgeschäftsführer war. Von 1940 bis 1945 mussten dazu etwa 20.000 Menschen im Volkswagen-Werk Zwangsarbeit leisten, darunter Kriegsgefangene und Insassen von Konzentrationslagern.
Nach dem Krieg in die Treuhandschaft Niedersachsens
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging die Zuständigkeit für das Volkswagenwerk auf die Militärregierung der britischen Besatzungszone über, die nach der Umbenennung der Stadt des Kdf-Wagens bei Fallersleben im Mai 1945 in „Wolfsburg“ das Werk ab Mitte Juni 1945 als „Wolfsburg Motor Works“ weiter betrieben. Ab 1946 konnte der VW mit Bezugsschein zum Preis von 5.000 Reichsmark auch privat gekauft werden. 1949 übergab die britische Militärregierung das Unternehmen in die Treuhandschaft des Landes Niedersachsen; verbunden mit der Auflage, die Eigentümerrechte gemeinsam mit dem Bund auszuüben und den anderen Bundesländern sowie den Gewerkschaften großen Einfluss einzuräumen. Das Volkswagenwerk in Wolfsburg sollte zur größten Automobilfabrik der Welt werden. Die Werksfläche nimmt heute eine Fläche vergleichbar mit der von Gibraltar ein. Allein die überdachte Hallenfläche ist ungefähr so groß wie das Fürstentum Monaco. 1955 wurde in Wolfsburg die Fertigstellung des einmillionsten Volkswagens gefeiert.
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Gibt es vlt. Erklärungen worin die Faszination der kdf Plakate lag?
Danke für diesen spannenden Bericht.
Meine Frage: Kann ich die Passagierlisten der KdF Norwegenfahrten mit der Wilhelm Gustloff online über das Internet recherchieren? Wenn ja, wie?
Wenn nein; welche alternativen Möglichkeiten gibt es?
Beste Grüße.
Haben Sie eine Antwort erhalten? Mich würden die KdF-Passagierlisten auch interessieren.
Hallo, danke, eine beeindruckende und spannende Geschichte über das Schicksal dieses doch sehr schönen Schiffes. Mein Großvater, Hermann Schoof (Gutsverwalter in Parchow, Mecklenburg, bei den Gutsherren derer von Storch), ist entweder 1938 oder 1939 von Genua aus mit der Wilhelm Gustloff bis nach Sizilien und wieder zurück gefahren, als Kind hat er mir sehr oft von dieser Fahrt erzählt. Ich bin auf dem Gut in Parchow geboren, allerdings nach dem Krieg.
Ich war damals so fasziniert von den spannenden Erzählungen und vor allem von der Beschreibung des Vulkans, dem Vesuv. Gern hätte ich gewusst, wie man an die Passagierlisten kommt, auf denen dann auch die Daten meines Großvaters sein müssten. Danke nochmal für den spannenden Artikel über die Wilhelm Gustloff.