Von Wolf Stegemann
Hauptziel neuer Machthaber bei jeder politischen Umwälzung ist die Besetzung wichtiger politischer Schlüsselpositionen. Erst recht die Nationalsozialisten machten hier keine Ausnahme; sie waren umso mehr darauf angewiesen, da sie ihre durch den Terror ihrer Gliederungen oder unter Umgehung der Rechtslage erzielten örtlichen Erfolge auf der Ebene der Regierungsbezirke absichern mussten.
Dieses Zusammenspiel gegen Mehrheiten der politischen Gegner durch Übergriffe lokaler NS-Organisationen und deren Duldung durch übergeordnete Aufsichtsbehörden ist ein Charakteristikum der nationalsozialistischen Machtübernahme- und Gleichschaltungsstrategie. Im gesamten Reichsgebiet wurden die leitenden Kommunalbeamten und in allen Ländern die politischen Beamten außerhalb der Ministerien – in Preußen die Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Polizeipräsidenten und Landräte – nach und nach fast restlos ausgewechselt. Mittlere NSDAP-Funktionäre traten an die Stelle der einstigen leitenden Kommunalbeamten: Kreisleiter, Leiter kommunalpolitischer Parteiämter, Ortsgruppenleiter, Honoratioren, die ihren Übertritt zur NSDAP vollzogen hatten.
Hakenkreuzfahnen wurden auf Rathäusern gehisst und bejubelt
Das Einfallstor der Nationalsozialisten in die preußischen Städte war die Verordnung Görings vom 4. Februar 1933, die mit Wirkung vom 8. Februar alle kommunalen Parlamente auflöste und für den 12. März Neuwahlen ansetzte. Die dazwischen liegende Reichstagswahl vom 5. März bot den Nationalsozialisten nicht nur Gelegenheit zu Wahlpropaganda und zum Wahlterror, sondern auch zu Angriffen gegen die kommunalen Beamten, die in dieser Phase weder von den übergeordneten Behörden noch von ihren Parlamenten geschützt und unterstützt wurden. Gelang es, kommunale Spitzenbeamte zum Rücktritt zu zwingen oder der NS-Aufsichtsbehörde Vorwände für ihre Beurlaubung, Amtsenthebung oder Inschutzhaftnahme zu liefern, so stießen sofort nationalsozialistische Kommissare in die freien Ämter vor. Über dieses Instrument der zunächst kommissarischen Besetzung leitender Kommunalämter setzte sich auch in Dorsten die Parteiprominenz in den Besitz der lokalen Macht. Vorspiel zu den Ereignissen war fast in allen Städten der Versuch, an exponierten Stellen, insbesondere auf Rathäusern und Postämtern, die Hakenkreuzfahne zu hissen. Den Bürgermeistern blieb oft keine Wahl, als es zu dulden, zumal Göring als Innenminister am 6. März 1933 die Ober- und Regierungspräsidenten angewiesen hatte, solche Flaggenhissungen zu dulden. Auch Straßenschilder – vornehmlich aus dem Bereich der Sozialdemokratie – wurden mit Namen der Nazi-Größen überklebt.
Spitzenbeamte wurden aus den Ämtern gedrängt
Die nächstliegende Sorge der NSDAP nach den Kommunalwahlen war aber, die Schlüsselpositionen in Magistrat und Verwaltung in die Hand zu bekommen. Anlässe wurden gefunden und geschaffen: Die örtliche Parteileitung oder die Kreisleitung reichten bei Göring Anträge ein, den Bürgermeister zu entlassen, weil ein Untersuchungsausschuss Unregelmäßigkeiten bei der Amtsführung des Bürgermeisters überprüfe. Erste Ergebnisse wurden sensationell aufgemacht und präsentiert. Bevor der Ausschuss zu einem abschließenden Ergebnis kam, traf die Beurlaubung durch den Innenminister ein. Die Betroffenen entzogen sich der Amtsenthebung häufig durch ein Gesuch um vorzeitige Pensionierung »aus gesundheitlichen Gründen«. Das war ein durchaus typisches Verfahren, das auch in Dorsten angewandt wurde. Bürgermeister Dr. Franz Lürken sowie der Stadtrendant Weber wurden aus ihren Ämtern gehebelt. Durch Einschüchterung der politischen Gegner, Verbreitung von Angst und Gewalt (Dorstens Beigeordneter Köster drohte den Stadtverordneten mit Konzentrationslager) bekam die NSDAP in den Rathäusern Macht und Mehrheit.
Den Dienst korrekt und ordentlich weiter versehen
Wo stand 1933 und in den folgenden zwölf NS-Jahren das große gleichgeschaltete Heer der kleinen und mittleren Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten? Durchweg versahen sie im Sinne der neuen Herren ihren Dienst »korrekt und ordentlich« weiter. Leidenschaftslos machten Beamte aus dem von der NS-Gesetzesmaschinerie legalisierten Unrecht »Verwaltungsvorgänge«. In Rathäusern und Regierungsbüros füllte sich der anonyme Verwaltungsalltag an mit allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten, zu denen die Einführung des Hitlergrußes ebenso gehörte wie die Einziehung jüdischen Vermögens, Deportation der jüdischen Bürger in Todeslager, Euthanasie und Ausschaltung der Systemgegner.
Prof. Hans Mommsen zieht das für die Beamtenschaft gültige Fazit: Erst die Stadt- und Gemeindeverwaltungen ermöglichten überall den Nazi-Terror vor Ort, indem viele Rathaus-Bedienstete als Rädchen in dem Schreckensregiment spurten. Die Beamten seien in der Regel nicht einmal gezwungen worden, in die Partei einzutreten. Dennoch seien viele eingetreten, weil es für ihre Karriere opportun erschien.
________________________________________________________________
Deutsche Gemeindeordnung (DGO)
Die Verkündung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1933 bedeutete das Ende der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft, obwohl die Propaganda das Gegenteil behauptete. Es wurde für jede Gemeinde ein Beauftragter der NSDAP eingesetzt, dem das Ernennungs- und Abberufungsrecht für Bürgermeister und Gemeinderäte zustand und der damit alle kommunalen Angelegenheiten steuerte. Die Gemeinderäte wurden auf rein beratende Funktionen zurückgestuft; Satzungen und Verordnungen unterlagen der Kontrolle durch Partei und Staat, deren weitere Verschmelzung damit auf kommunaler Ebene verwirklicht wurde.