Bibelforscher Artur Kramm aus Dorsten-Holsterhausen wegen Verweigerung des Eides enthauptet

Familie Kramm 1923 in Holsterhausen mit den Kindern Hans Georg und Wanda

Von Wolf Stegemann

Mit ihm gilt es einen Mann zu würdigen, der aus religiösen Gründen bewusst die Todesstrafe auf sich nahm, obwohl nur ein Wort von ihm genügt hätte, und er wäre der Verfolgung entkommen. Als Bibelforscher (heute bekannt als „Zeugen Jehovas“) wurde der Holsterhausener Maschinist wegen „Eidesverweigerung“ (und somit Kriegsdienstverweigerung) vom Reichskriegsgericht Berlin zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seine Frau in Holsterhausen erhielt einen Brief mit der Rechnung und der Grabnummer. Zu zahlen für die Todesstrafe 300 RM, für Postgebühren 2,70 RM, für den Anwalt 8o RM, für die Strafvollstreckung 158,18 RM, für Porto für die Übersendung der Rechnung 0,12 RM und für die begangene Straftat und Untersuchungshaft 200 RM.

Artur Kramm, am 20. Februar 1900 in Landsberg an der Oder  geboren, wuchs bei Pflegeeltern in Essen auf. Die vielen Toten des Ersten Weltkriegs, an dem Kramm noch teilnahm, und die Heldengesänge auf Kaiser und Tod ließen ihn später zum überzeugten Bibelforscher werden. Nach Holsterhausen kam Kramm 1921, wo er seine Frau Maria Schulz heiratete, die bei den Drahtwerken beschäftigt war. Das Paar zog in eine Zechenwohnung in der Heinrichstraße, denn Kramm fand Arbeit als Maschinist auf dem Bergwerk Baldur.

Artur Kramm heiratete 1921 in Holsterhausen Maria Schulz

In Holsterhausen bekam Kramm erste Kontakte zu Bibelforschern, die an der Haustür Werbematerial abgaben. Die 1922 geborene und nach dem Krieg in Rheine lebende Tochter Wanda erinnerte sich, dass in ihrem Vater die schrecklichen Bilder der Toten bei einem Feldgottesdienst im Ersten Weltkrieg hochkamen. Kramm vertiefte sich in die Schriften und fand für sich die „Wahrheit des Glaubens“, die er seit jenem Kriegserlebnis suchte. Er wurde Bibelforscher.

Kriegsdienst verweigert – und verhaftet

Nachdem die Bibelforscher 1933 verboten wurden, durchsuchte die Gestapo mehrmals seine Wohnung in der Heinrichstraße. Er wurde mehrmals verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, das er in Bottrop verbüßte. Nach seiner Entlassung 1937 arbeitete Kramm dienstverpflichtet für Niedrigstlohn. Er weigerte sich, in die Reichsarbeitsfront einzutreten.

Im März 1943 bekam er den Stellungsbefehl als Soldat in der Flakstellung Dorsten. Kramm weigerte sich. Damit nahm sein Schicksal eine Wendung, an dessen Ende der Tod stand. Siebenmal wurde er von einem Offizier vorgeladen, der ihn zu überreden versuchte. Mit der Bibel in der Hand weigerte sich Kramm beharrlich. Am Ende sagte der Offizier: „Mensch, bedenken Sie, Sie werden erschossen!“ Kramm antwortete: „Ich bin Bibelforscher und werde niemals eine Waffe gegen Menschen richten!“

Erste Seite des Todesurteils

Bei der achten Vorladung wurde Kramm verhaftet und in das Gefängnis nach Essen gebracht. Nach 14 Tagen forderte ihn die Gestapo Berlin an. Vor dem Reichskriegsgericht machte man ihm den Prozess. Seine damals in Berlin lebende Schwester durfte zeitweise der Verhandlung beiwohnen. Sie berichtete: „Artur war sehr schlimm zugerichtet. Er hatte überall Wunden. Seine Hand- und Fußgelenke waren dick angeschwollen, weil er monatelang in Fesseln gelegen hatte.“

Er wurde zum Tode verurteilt. Artur Kramm, der seine Wahrheit gefunden hatte, starb für sie. In der Gerichtsverhandlung soll er seine Bibel in die Höhe gehalten und gerufen haben: „Hier steht: Wer das Schwert gebraucht, wird durch das Schwert umkommen!“ Am 17. August 1943, nachmittags um 5 Uhr wurde Artur Kramm im Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle an der Saale durch das Fallbeil hingerichtet.

Im Zuchthaus Halle Hinrichtungen mit dem Fallbeil

Kramm gehörte zu den ersten Verurteilten, die in Halle enthauptet wurden. Sein Prozess war eines der letzten Verfahren, die in Berlin stattgefunden haben. Mitte August 1943 verlegte das Reichskriegsgericht seinen Sitz nach Torgau und begann, seine Todesurteile – die durch Enthaupten oder Erhängen vollstreckt werden sollten, im Zuchthaus Halle (Saale) zu exekutieren.

Das Urteil gegen Kramm wurde also in Berlin gesprochen und Tage später, am 25. August, vom Präsidenten des Reichskriegsgerichts, Admiral Bastian, in Torgau bestätigt. Erstmals wurden am 17. August 1943 Urteile des Reichskriegsgerichts in Halle an der Saale durch Enthaupten vollstreckt. Dies war jener Tag, an dem Artur Kramm mit sechs anderen hingerichtet wurde. Alle vom Reichskriegsgericht zum Tode Verurteilten, deren Urteile in Halle vollstreckt wurden, wurden zunächst enthauptet, erst ab Februar 1944 wurden sie auch aufgehängt. Eigentlich wollte die Vollstreckungsbehörde schon früher hängen lassen. Die Einrichtungen waren zwar da, allerdings technisch noch nicht effizient nutzbar. Außerdem hatte sich der Scharfrichter geweigert, die Deilinquenten aufzuhängen. Er kündigte.  Erst ein neuer Henker nahm auch das Hängen vor. Um die Vorgänge des Exekutierens mit dem Fallbeil schneller zu bewerkstelligen, wurden die Verurteilten nicht auf das Brett der Guillotine geschnallt, wie früher üblich, sondern von den Helfern des Scharfrichters festgehalten, bis das Beil den Kopf vom Körper trennte.

Todesursache als „plötzlichen Hirntod“ dokumentiert

Artur Kramms Leiche wurde nicht an eines der Anatomischen Institute der Universitäten geschickt, sondern am 21. September 1943 um 9.30 Uhr eingeäschert und die Urne danach auf dem Gertraudenfriedhof in Halle bestattet. Da die Todesurteile geheim gehalten wurden, ist auf der städtischen Bestattungskartei als Todesursache „plötzlicher Herztod, Atemstillstand“ genannt. Als weitere Vernebelung wurde die Konfession des Mitglieds der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas Kramm mit „ev.“ (für evangelisch) angegeben.

1949 erhielten die 679 Hingerichteten des Zuchthauses als „Opfer des Faschismus“ auf dem Friedhof ein Ehrengräberfeld mit 450 Grabstellen und einem Obelisken mit der Inschrift „Hier liegen 679 vom nationalsozialistischen Staat Gemordete“. Das Urnengrab Kramms hat einen Grabstein aus einer betonhaltigen Masse mit Namen und Jahreszahlen. Die Inschrift ist allerdings aufgrund des verwitternden Materials schwer lesbar. Der Historiker Michael Viebig hat freundlicherweise Fotografien davon angefertigt.

Gedenktafel für Artur Kramm im Eingangsbereich des Waldfriedhofs in Holsterhausen

Nach dem Krieg hob auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Hamm der Bundesgerichtshof alle Urteile gegen die Bibelforscher auf. Wiedergutmachungsverfahren blieben wegen fehlender Akten meist ohne Erfolg. Für das vollstreckte Todesurteil bekam die Witwe von Artur Kramm 1953 eine Rentennachzahlung von 2.000 DM und 1958 eine Haftentschädigung von 420 DM.

Der Ökumenische Geschichtskreis Holsterhausen ehrte 2007 Artur Kramm. Im Eingangsbereich des kommunalen Waldfriedhofes in Holsterhausen wurde eine Gedenktafel aus Bronze angebracht, die an das Schicksal Kramms erinnert.

 

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