Von Wolf Stegemann
Die Familie war im Fichtelgebirge ansässig (Fichtelberg/Warmensteinach). Albert Julius Hildebrandt, gelernter Buchhalter, zog mit seiner Frau Margareta und seinem Sohn Friedrich in das nahe Bayreuth. Seine Brüder waren Fabrikarbeiter bzw. in handwerklichen Berufen tätig. Sie heirateten auch in diesem Arbeiter- und kleinbürgerlichen Milieu. Eine Ausnahme in dieser sozialen Schichtung war Albert Hildebrandt (geboren 1866 in St. Georgen-Bayreuth). Er brachte es zum Fabrikdirektor. Viele Jahre war er Vorstand und kaufmännischer Direktor der „Tonindustrie Albertwerke GmbH Offstein und Klingenberg“ und danach kaufmännischer Direktor der Keramitwerke im westfälischen Holsterhausen (heute Stadtteil von Dorsten). Seine Frau Margareta Christina Dost war eine Gastwirtschaftstochter aus Warmensteinach im Fichtelgebirge/Ofr. Das Ehepaar hatte sechs Kinder, von denen mindestens drei als hohe SS-Führer in Kriegsverbrechen verwickelt waren, doch nur einer von ihnen, Richard, bestraft wurde. Richard Hildebrandt wurde aufgrund seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Massenmorde, für die er die Verantwortung hatte, in Polen hingerichtet. Der andere Bruder, Ernst, war SS-Standartenführer in Mainz und SS-Polizeipräsident in Dessau.
Stetiger berufsbedingter Wohnortwechsel
Der Vater Albert und die Mutter Margareta, beide mittlerweile in Worms ansässig, gaben 1906 ihre bayerische Staatsangehörigkeit auf und nahmen die hessische an, ebenso die mittlerweile sechs Söhne des Ehepaars. Vor dem Ersten Weltkrieg wohnte die Familie in Dorsten, da der Vater Direktor des in Holsterhausen (heute Stadtteil von Dorsten) 1911 gegründeten Keramitwerks wurde. Es gibt sicherlich wenige Familien in dieser Größenordnung, die so oft die Wohnorte wechselten, wie die Hildebrandts. Die berufsbedingte Unstetigkeit des Vaters hatte sich teilweise auf seine Söhne übertragen. Auch Richard und Ernst Hildebrandts Lebensläufe weisen stetige Wohnortwechsel auf.
Söhne verübten Verbrechen in SS-Uniform
Die SS-Karrieren von drei der sechs Brüder wurden erst mit dem Untergang des NS-Regimes beendet. Nicht nur die Verbrechen im Osten Europas verbanden die Brüder, auch die humanistische Schulbildung in Dorsten, die freiwillige Meldung zum Militär im Ersten Weltkrieg, die Mitgliedschaft in den nationalistischen Freikorps danach und der frühe Eintritt in die NSDAP und SS. Eine verbrecherische Verstrickung der drei anderen Brüder im NS-Staat, die ebenfalls ihre Bildung am Dorstener Gymnasium Petrinum erhielten. Dass einer von ihnen im Reichsarbeitsdienst als Berufsoffizier Karriere machte, ist eher unwahrscheinlich, zumindest nicht bekannt.
Direktor im Keramitwerk und dann im Stahlwerk in Holsterhausen
Von Bayreuth zog die Familie nach Worms, dann nach Frankfurt und schließlich um 1910 nach Dorsten. Die Familie wohnte am Ostwall 18. Nachdem das Keramitwerk wegen Insolvenz den Betrieb 1914 eingestellt hatte, wurde es samt Direktor Hildebrandt von den Röchling-Werken in Wetzlar übernommen und in ein Stahlwerk umgewandelt. In dieser Zeit besuchten die Söhne das Gymnasium Petrinum und machten dort zum Teil Abitur. 1918 war der Vater noch Direktor in Holsterhausen, denn in jenem Jahr arbeitete sein aus dem Weltkrieg als Offizier zurückgekehrter und arbeitsloser Sohn Richard bei ihm im Werk. Danach musste die Familie offensichtlich nach Ehring bei Trier umgezogen sein, dann im Jahr 1920 ins mittelfränkische Windsheim. Dort war Albert Hildebrandt von 1930 bis 1933 Bürgermeister, während sein Sohn Richard NSDAP-Ortsgruppenleiter war. Albrecht Hildebrandt starb 1939 in Windsheim, seine Frau bereits 1927. Heute leben keine Hildebrandts mehr in Bad Windsheim. Das damals von ihnen bewohnte und mittlerweile umgebaute Haus inmitten des Ortes ist aber noch heute als das „Hildebrandt-Haus“ bekannt. Albert Hildebrandts Söhne waren Friedrich, auch Fritz genannt (geboren 1892 in Fichtelberg), Karl (1894 in Offstein), Ernst (1895 in Offstein), Richard (1897 in Worms), Wilhelm (1898 in Gräfenberg) und Otto (1899 in Offstein).
Friedrich (Fritz) Hildebrandt, geboren 1892 in Fichtelberg, trat in Bayern der SS bei (SS-Nr. 181.214) und war Mitglied der NSDAP (Nr. 2.176.645). Er war von 1939 bis 1944 als Standartenführer Chef der 33. SS-Standarte in Mainz. Er ist nicht zu verwechseln mit dem NSDAP-Politiker Friedrich Hildebrandt und mit zwei SS-Offizieren gleichen Namens, die in Konzentrationslagern tätig waren und einer von ihnen in Bremen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Karl Hildebrandt, geboren 1894 in Offstein bei Worms, war von Beruf Architekt, übte den Beruf aber in der NS-Zeit nicht mehr aus, sondern ging hauptamtlich zum Reichsarbeitsdienst (RAD). Er wechselte 1935 zur Justiz und wurde Leiter des Gemeinschaftslagers „Hanns Kerrl“ für Justiz-Referendare in Jütebog. Dort wurden angehende Staatsdienst-Juristen in einer Lagergemeinschaft für das nationalsozialistische Rechtsdenken und für die Rechtspraxis eingeschworen. Bei Kriegsanfang wurde das Lager 1939 geschlossen. Da Karl Hildebrandt kein Jurist war, kam er für eine Weiterbeschäftigung in der Justiz nicht mehr in Frage und schied aus dem Justizdienst aus. 1940 kehrte er als Oberarbeitsführer (zu vergleichen mit einem Oberstleutnant) zum Reichsarbeitsdienst zurück, wurde zum Heer eingezogen und in zahlreichen Kriegseinsätzen so verletzt, dass er 1944 ausscheiden musste. Noch vor Kriegsende tauchte er in Warmensteinach/Ofr. (rd. 25 km von Bayreuth entfernt) unter, dem Geburtsort seiner Mutter, und Anfang der 1950er-Jahre als Bienenzüchter und Obmann der Warmensteinacher Ortsgruppe des Fichtelgebirgs-Heimatverbandes wieder auf. Er starb 1971 in Eintürmen (heute Stadtteil von Bad Wurzach).
Ernst Hildebrandt, geboren 31. Mai 1895 in Offstein bei Worms, legte, wie sein Bruder Richard, 1915 das Notabitur am Gymnasium Petrinum in Dorsten ab, war in der NS-Zeit Polizeipräsident zuerst in Hof an der Saale (1937), dann in Dessau/Anhalt. Im Krieg war er in Jugoslawien im Einsatz, bekämpfte Partisanen und war an Massakern beteiligt. Seine letzte Funktion von Februar bis 8. Mai 1945 war die eines SS-Führers z. b. V. (zur besonderen Verfügung) beim Höheren SS- und Polizeiführer „Südost“. Nach dem Krieg wohnte er in Dorsten, wurde entnazifiziert, zog nach Düsseldorf, dann nach Hof (Oberfranken) und 1954 nach Nürnberg (St.Amt Nürnberg Nr. 1723/1970). – Siehe ausführlichen Text unter Hildebrandt III – Ernst Hildebrandt
Richard Hildebrandt, geboren am 13. März 1897 in Worms, machte 1915 das Notabitur in Dorsten, war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und im Dritten Reich „Höherer SS- und Polizeiführer“. Er wurde 1948 im 8. Nürnberger Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshaupthauptamt, dessen Leiter er zeitweise war, zu 25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 1948 an Polen ausgeliefert, dort 1949 nach einem erneuten Prozess in Polen (bestätigt vom Berufungsgericht Bydgoszcz (Bromberg) zum Tode verurteilt und 1951 gehenkt (siehe ausführlichen Text unter Hildebrandt II – Richard HIdebrandt).
Wilhelm Hildebrandt, geboren am 10. Mai 1898 in Gräfenberg (Ofr.), machte 1918 das Abitur am Gymnasium Petrinum In Dorsten und wohnte in der Straße „Am Bahnhof“. Als Heimatadresse ist in den Schulchroniken des Petrinum Windsheim/Mfr. angegeben.
Otto Hildebrandt, geboren am 6. August 1899 in Offstein, machte ebenfalls 1918 das Abitur in Dorsten. Er lebte nach dem Krieg in Windsheim/Mfr., wo er 1967 starb. Über Otto Hildebrandt schrieb das Magazin „Der Spiegel“ am 25. September 1948:
„Wegen Vergehens gegen das Gesetz Nr. 51 wurde Otto Hildebrandt aus Windsheim, Bayern, zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt. Hildebrandt hatte dem bayrischen Staatskommissar Philipp Auerbach ein zwölfbändiges Werk des Talmud für 1.200 Goldmark oder 300 US-Dollar angeboten. Dr. Auerbach ging nicht darauf ein.“
Das Kontrollratsgesetz Nr. 50/51 verbot, Gegenstände, die durch Zwang entwendet oder zwangsbewirtschaftet wurden, zu veräußern. Offensichtlich waren die Talmudbücher in der NS-Zeit unredlich in den Besitz von Otto Hildebrandt gelangt.
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Hallo
Ich, Samantha Lee McCartney, gehöre über ein paar Ecken zu den Hildebrands. Richard Hildebrand ist der Opa meiner Mutter, Roswitha Bodendörfer. Leider haben wir nicht viele Infos über ihn. Wir würden ihnen gerne nachgehen.
Hier geht etwas durcheinander: Vater Hildebrand lebte, wie man an den Geburtsdaten der Söhne erkennt, in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Offstein. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Werk in Klingenberg. Das ist erst 1899 von der Industriellenfamilie Albert aus Wiesbaden gegründet worden.
Auch der Namen „Tonindustrie Albertwerke GmbH Offstein und Klingenberg“ scheint mir in dieser Zusammenstellung irreführend. In Klingenberg gründete 1899 diese Familie Albert die Firma Tonindustrie Klingenberg, Albertwerke GmbH, die später das Werk in Offsten (und übrigens ein weiteres in Worms) übernommen hat. Dieses Unternehmen ging in der Weltwirtschaftskrise anfang der 30er-Jahre in Konkurs. Die Erben der Familie Albert kauften das Werk Klingenberg aus dem Konkurs und gründeten 1932 die Albertwerke Klingenberg GmbH.
Red. Anmerkung: Danke für die Hinweise