Die jahrelang im NS-Reich verwendete gotische Fraktur-Schrift war plötzlich „jüdisch“. Sie wurde 1941 durch die lateinisierte Antiqua ersetzt

Von Wolf Stegemann

Dies ist die Darstellung der eigentlich kurios anmutenden Geschichte, unter welchen Umständen die Schrift-Umstellung von Fraktur auf Antiqua erfolgte. Die Nationalsozialisten propagierten die Fraktur als die urdeutscheste aller Schriften, die auch als „Gotik“ bezeichnet wurde, und verboten den jüdischen Verlagen diese Schrift zu verwenden. Als nach Jahren in Parteikreisen bekannt wurde, dass die verwendete „urdeutsche“ Fraktur von einem Juden entworfen worden war, durften die deutschen Verlage 1941 die bis dahin verwendete Fraktur-Schrift als „jüdische Lettern“ nicht mehr verwenden. Mit Führer-Erlass wurde die Antiqua als „deutsche Normalschrift“ in der Öffentlichkeit und in Schulen eingeführt. Hier die Geschichte:

Der Führererlass vom 3. Januar 1941

Das Schriftbild, das in nationalsozialistischer Zeit von Spruchbändern, Plakaten, in Zeitungen, auf Briefmarken und in Mitteilungen, Verordnung, Befehlen und Dokumenten prangte, war die Frakturschrift, jene gebrochene kantige Schrift, die mit steter Anpassung seit dem 16. Jahrhundert am weitesten verbreitet und als deutscheste Schrift aller Schriften galt. Andere Namen für sie waren „gotische“ Schrift und Schwabacher Schrift. Daher erlebte sie gerade im Nationalsozialismus eine Renaissance. Man berief sich dabei unter anderem auf Cäsar Flaischlen (1864-1920, „Hab Sonne im Herzen, ob’s stürmt oder schneit…“), der „Vom Herrenrecht unserer deutschen Schrift“ gedichtet hatte.

Völkischer Beobachter vor der Reform (Fraktur)

Sich schriftmäßig über Jahre hinweg so „urteusch“ eingerichtet, taten sich die Nationalsozialisten schwer, dies wieder zu ändern. Denn die überall im Reich, vor allem im Eher-NSDAP-Verlag und in der Parteizeitung „Völkischer Beobachter“ verwendete Frakturschrift war in dieser Version von dem deutschen Juden Lucian Bernhard entworfen worden. Bei der Vorbesprechung zur Änderung der Fraktur in Antiqua-„Normalschrift“ 1941 war auch der Druckereibesitzer des „Völkischen Beobachter“, Adolf Müller, anwesend, der zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass Lucian Bernhard (1883 Stuttgart bis 1972 New York) Jude war. Bernhard war Professor für Reklamekunst. Zu vermuten ist, dass es für das NS-Regime peinlich war, die Schrift eines Juden zu verwenden. Das durfte nicht bekannt werden. Daher stellte man lieber die pauschale Behauptung auf, die „gotische Schrift“ (gemeint war die Fraktur) bestehe aus „Judenlettern“.

Völkischer Beobachter nach der Reform (Antiqua)

Ein Erlass des NS-Regimes vom 3. Januar 1941, in welchem Reichsleiter Martin Bormann in Hitlers Auftrag die der Fraktur ähnliche Schwabacher Schrift als „Judenschrift” bezeichnete, erklärte die Latein-Schrift Antiqua zur „deutschen Normalschrift“. Die Schwabacher Schrift und die Fraktur galten fortan als unerwünscht, so dass NSDAP-treue Zeitungen und Verlage, insbesondere solche mit Auslandsgeltung, zum durchgehenden Gebrauch der lateinischen Schrift, insbesondere der Antiqua, übergingen. Der Duden erschien 1941 letztmals in Fraktur. Die Schulchronik von Erle wurde bis Ausbruch des Krieges in deutscher Schrift geschrieben, danach abwechselnd auch mit lateinischer Schrift und ab 1941 ausschließlich in der neuen lateinischen „Normalschrift“.

Mit falschen Behauptungen argumentiert

Dieser Reform ging allerdings ein fast heillos erscheinendes Wirrwarr von Meinungen und Mitteilungen innerhalb der zuständigen Stellen des NS-Regimes voraus. Hitler selbst war keineswegs ein Freund des vertrauten Altdeutschen in der Kunst und Schrift. Bei einer „Kulturtagung der NSDAP“ aus Anlass des Reichsparteitags von 1934 erklärte er:

„Der nationalsozialistische Staat [muss] sich verwahren gegen das plötzliche Auftauchen jener Rückwärtse, die meinen, eine ,teutsche Kunst’ aus der trauten Welt ihrer eigenen romantischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Revolution als verpflichtendes Erbteil für die Zukunft mitgeben zu können …“

Lucian Bernhard (1883 – 1972)

Damit war deutlich, dass Deutsch-Romantisches im Dritten Reich nicht mehr gefragt war. Im gleichen Jahr wurde die „Deutsche Volksschrift“ eingeführt, eine Fraktur-Schreibschrift, die   der in den 1920er-Jahren von Ludwig Sütterlin entwickelten Sütterlinschrift angelehnt war und in Schräglage geschrieben wurde. Bei allen minimalen Abweichungen galt die Frakturschrift weiterhin als Ausdruck deutscher Identität. Das ging so weit, dass 1937 jüdischen Verlagen verboten wurde, Fraktur zu verwenden. Doch dann kam die groteske Wende im Schrifterlass vom 3. Januar 1941, der im Briefkopf „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / Der Stellvertreter des Führers“ noch die Fraktur führte:

 

„Rundschreiben (nicht zur Veröffentlichung)

Zur allgemeinen Beachtung teile ich im Auftrag des Führers mit: Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern. Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiquaschrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmäßig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden. Die  Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben. Ernennungsurkunden für Beamte, Straßenschilder u. dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden. Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen. Gez. Bormann.“

Sütterlin-Schreibschrift (Fraktur)

Wenn das Rundschreiben seinerzeit allgemein verbreitet worden wäre, hätten viele, auch „völkisch“ Gesinnte, sich sehr gewundert, weil sie wussten, dass die Behauptungen über die „Judenlettern“ sachlich ganz und gar falsch waren. Möglicherweise kam das Rundschreiben deshalb „nicht zur Veröffentlichung“; immerhin konnte in parteiinternen Kreisen gesagt werden, dass die im Erlass gegebene Begründung „wissenschaftlich nicht vertretbar“ ist.

Das Reichspropagandaamt Berlin verschickte am 13. Januar 1941 unter dem Aktenzeichen Z. I. Nr. 4/41 Sta. ein als „Geheim“ eingestuftes Presse-Rundschreiben mit dem Betreff „Vertrauliche Mitteilungen! (Nur zur Information, nicht jedoch zum Abdruck bestimmt!)“:

„Da die Zukunft mit einer schrittweisen Umstellung von der sogenannten gotischen Druckschrift zur Antiquaschrift, die als Normalschrift anzusehen ist, zu rechnen sein wird, ist von jeder Art Bezeichnung der gotischen Schrift als deutscher Schrift Abstand zu nehmen. Eine solche Bezeichnung ist historisch auch nicht haltbar.“

Antiqua-Schreibschrift nach 1941

Das Reichswirtschaftsministerium gab in einer gemeinsamen Sitzung mit der Reichsschrifttumskammer, dem Beauftragten für den Vierjahresplan, der Wirtschaftkammer Druck, der Vertretung des Schriftgießereigewerbes, dem Reichspropagandaministeriums, der Reichspressekammer die Kosten für die Umstellung der Druckschrift bekannt. Allein das Drucken von neuem Schriftmaterial wurde auf rund 500 Millionen Reichsmark geschätzt. Skeptisch beurteilte das Gießereigewerbe die Beschaffung von Metall zur Herstellung von Druckstöcken und Matrizen in Kriegszeiten. Schließlich einigten sich alle darauf, wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, dass die Umstellung und Finanzierung sowie „die Erfüllung des Befehls des Führers gewissermaßen Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sei“ und das Ministerium die Umstellung „so weitgehend wie möglich, selbstverständlich im Rahmen des Gegebenen (Arbeitskräfte und Material) zu fördern habe“. Propagandaminister Josef Goebbels begrüßte die Umstellung der Schrift und schrieb am 2. Februar 1941 in sein Tagebuch:

„Der Führer ordnet an, daß die Antiqua künftig nur noch als deutsche Schrift gewertet wird. Sehr gut. Dann brauchen die Kinder wenigstens keine 8 Alphabete mehr zu lernen. Und unsere Sprache kann wirklich Weltsprache werden.“

Unter den „acht Alphabeten“ verstand man damals die Klein- und Großbuchstaben von Fraktur, deutscher Schreibschrift (Sütterlin), Antiqua und lateinischer Schreibschrift.

Der Führererlass zur Umstellung der Schrift wurde nicht durchweg beachtet: Beispielsweise ist das kleine Büchlein „Deutsche Gedichte“, ausgewählt von Katharina Kippenberg, im Insel-Verlag zu Leipzig, noch 1943 in Fraktur erschienen. Dieselbe Sammlung, etwas erweitert, erschien 1954 wieder, diesmal in Antiqua. Übrigens sind auch etliche Gesetzblätter weiterhin in Fraktur gedruckt worden.

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Quellen: „Völkischer Beobachter“ (Münchner Ausgabe) Nr. 249 vom 6. September 1934. – Volker Dahm „Das jüdische Buch im Dritten Reich“, Beck München 1993. – Faksimile-Wiedergaben Schrifterlass: Im Bundesarchiv Koblenz im Bestand NS 6/334. – Peter Rück „Die Sprache der Schrift – Zur Geschichte des Frakturverbots von 1941“ in: J. Baurmann u. a.  (Hrsg.) „Homo scribens. Perspektiven der Schriftlichkeitsforschung“, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1993. – Josef Goebbels „Tagebücher 1924 – 1945“, Bd. 4, 1940-42, Piper Verlag, München 1992. – Ausstellungskataloge zu Lucian Bernhard (Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart 1999; Lucian Bernhard – Werbung und Design im Aufbruch des 20. Jahrhunderts). – Otto Thomae „Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich“, Gebr. Mann Studio-Reihe Berlin 1978. – Joseph Wulf „Literatur und Dichtung im Dritten Reich“, Ullstein-Buch Frankfurt-Berlin-Wien 1983.

 

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2 Kommentare zu Die jahrelang im NS-Reich verwendete gotische Fraktur-Schrift war plötzlich „jüdisch“. Sie wurde 1941 durch die lateinisierte Antiqua ersetzt

  1. Die oben gezeigte Handchrifttafel ist nicht die Sütterlin, sondern eine Kurrent, die bis gelehrt wurde, bis im Jahr 1918 Sütterlins Alphabet in preußischen Schulen verbindlich wurde, in ganz Deutschland erst 1935. Im Gegensatz zur Kurrent steht Sütterlin aufrecht.
    https://trittenheim.wordpress.com/2017/11/21/vor-100-jahren-starb-ludwig-suetterlin/

  2. Ich habe immer das Thema von Sütterlinschrift sehr faszinierend gefunden. Diese Schrift ist nämlich voller Spannung, voller Identität und voller deutscher Geschichte. Das ist ein Teil unserer Kultur und ich fine Schade, dass solche Bücher heutzutage kaum zu finden sind. Eine Freundin von mir musste Sütterlinschrift übersetzen lassen und hat auch große Schwierigkeit gehabt, jemanden dafür zu finden.

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