„Die gestellten Männer haben zu nennenswerten Klagen keinen Anlass gegeben. Abgesehen davon, dass ich einzelne von ihnen zu schärferem Vorgehen gegen Juden anhalten musste, haben sich alle sehr gut geführt und ihren Dienst einwandfrei versehen.“
Auf neun Schreibmaschinenseiten resümierte der Hauptmann der Schutzpolizei, Paul Salitter, im Dezember 1941 seine Fahrt von Düsseldorf ins lettische Riga. Für die Reisenden sollte es, abgesehen vom polizeilichen Begleitkommando, eine Fahrt in den Tod werden, denn sie wurden nach ihrer Einweisung in das jüdische Ghetto später fast ausnahmslos ermordet. Für Salitter dagegen war die Reise nach seiner Rückkehr Grund genug, gegenüber dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Adolf Eichmann, Verbesserungen für die nächsten Deportationszüge vorzuschlagen. Sechs Jahre später, 1947, später bat der Polizist um seine Wiedereinstellung: Damals habe er „nur seine Pflicht getan“, schrieb Salitter.
Das falsche Image des „guten Schutzmanns an der Ecke“
Das Deutsche Historische Museum in Berlin hatte 2011 zusammengetragene Dokumente in der Ausstellung „Ordnung und Vernichtung“ gezeigt. Dies war die erste umfassende Schau über die Verstrickung der Polizei in das NS-Regime und den Völkermord. Das Wissen um die Beteiligung der Polizei bei den Massenmorden an Juden, Sinti und Roma, an Polen und Russen und anderen war nach dem Krieg in der Öffentlichkeit lange nicht bekannt. Die Polizei hatte in der Nazizeit in der Öffentlichkeit das gute Image eines „Schutzmanns an der Ecke“, wenn das auch falsch war. Dafür sorgte die NS-Propaganda. Denn jener Schutzmann an der Ecke gehörte im Krieg zu jenen Polizeiregimentern, die im mordenden Einsatz waren und eine breite Blutspur vor allem in den besetzten Ostländern hinterließen. Klaus Hillenbrandt schrieb am 5. April 2011 in der „Tageszeitung“ in Berlin:
„Nun ist es nicht so, dass die Beteiligung der Polizei am Holocaust ein gänzlich neues Kapitel wäre oder gar auf solche Emotionen träfe, wie sie die Wehrmachtsausstellung vor mehr als einem Jahrzehnt ausgelöst hat. Spätestens seit Christopher Brownings 1993 auch auf Deutsch erschienene Studie über die Blutspur des Reservepolizeibataillons 101 im besetzten Polen ist nicht nur in Fachkreisen bekannt, dass die Polizei eine der wichtigsten Stützen bei der praktischen Durchführung des Massenmords an Juden, Roma und Sinti war.“
Dennoch, so schreibt die Zeitung weiter, mache Klaus Neidhardt von der Hochschule der Polizei in Münster (Westfalen) deutlich, dass dieses Wissen deshalb noch lange nicht bei der Polizei selbst angekommen sei. Noch immer werde deren Geschichte in der Polizeiausbildung häufig ausgeblendet oder unterbelichtet. Sie erscheine zwar in den Lehrplänen, werde aber oft nicht unterrichtet. Neidhardt berichtete der Zeitung, dass junge, bei Demonstrationen eingesetzte Polizisten oft gar keine Ahnung hätten, welchen historischen Hintergrund die Sprechchöre „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ eigentlich haben, die ihnen da entgegenschallen.
Propaganda-Veranstaltungen sorgten für das „gute“ Image der Polizei
Dass die deutsche Polizei zum willigen Werkzeug von Staatsverbrechern werden konnte, ist schon in der Weimarer Republik begründet, als das Bild von „guten Polizisten“, dem „Freund und Helfer“ entstanden war, der dem Mütterchen über die Straße hilft, böse Buben verfolgt und für die Sicherheit der Bürger sorgt. Die Nationalsozialisten haben dieses Image übernommen und durch öffentliche Propaganda-Veranstaltungen, wie „Tage der Polizei“ verstärkt. Die Polizei sammelte Millionen Reichsmark für das Winterhilfswerk, was das Bild von der „guten Polizei“ ebenfalls stark prägte. Klaus Hillenbrandt:
„Andererseits war die Polizei schon damals ein stockreaktionärer Apparat, von kriminellen Freikorps durchsetzt und politisch in die Nähe rechtsextremer Organisationen gerückt. Große Teile der antidemokratischen Polizeiführung begrüßten entsprechend die Machtübernahme der Nationalsozialisten – schließlich versprach sie vor allem Ordnung und damit eine Aufwertung des Beamtendaseins.“
Und so ließ sich die Polizei denn auch gerne für die neuen Herren einspannen, und das betraf keineswegs nur die Gestapo, die überwiegend aus der politischen Polizei entstand. Die Spezialisten der Kriminalpolizei sorgten dafür, dass kriminelle Rückfalltäter Konzentrationslagern zugeführt wurden: Galt es doch, das höhere Ziel einer „Volksgemeinschaft ohne Verbrecher“ zu verwirklichen. Die grün uniformierten Ordnungspolizisten blieben für die Propaganda „Freund und Helfer“, hatten aber mit der Festnahme und Verhaftung „Asozialer“ wie politischer Gegner gut zu tun. Die Polizei schaffte sich 1939 die „J“-Stempel an, mit der die Pässe deutscher Juden verunziert wurden, und sie gab ab 1942 die besondere Erlaubnis für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Juden heraus. Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei in Personalunion, schrieb 1937:
„Die nationalsozialistische Polizei leitet ihre Befugnisse nicht aus Einzelgesetzen, sondern aus der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Führerstaates ab und aus den ihr von der Führung gestellten Aufgaben her. Ihre Befugnisse dürfen deshalb nicht durch formale Schranken gehemmt werden.“
„In feiger Angst versteckt“
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Polizisten zu Massenmördern. Zusammengefasst in Polizeibataillone sollten sie auf besetztem Gebiet für „Ordnung sorgen“, wie der „Illustrierte Beobachter“ schrieb. Diese Bataillone waren es, die für die Absperrung der jüdischen Ghettos in Polen sorgten, wenn die Spezialisten von SS und Sicherheitspolizei die Menschen in die Züge in Richtung Vernichtungslager trieben. Sie waren es, die selbst mordeten, bisweilen gar ohne höheren Auftrag wie in Bialystok, wo das Polizeibataillon 309 mindestens 800 Juden in einer Synagoge bei lebendigem Leibe verbrannte. Und sie waren es, die wie die Einsatzgruppen nach Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion Millionen Juden und „Bolschewisten“ erschossen und anschließend in Massengräbern verscharren ließen. In einem „Bericht über die Judenaktion am 2./3.10.1941“ in Mogilew heißt es:
„Bei der Durchführung der Aktion konnte sehr häufig die Feststellung gemacht werden, dass sich Juden in feiger und hinterhältiger Angst in allen nur möglichen Winkeln versteckt hielten, so dass es oftmals sehr schwer war, diese vor Schmutz starrenden Elemente aus ihren Winkeln herauszuholen. Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass an Ort und Stelle von der 9./III. Pol.-Rgt. Mitte 65 Juden erschossen wurden.“ Und am Ende steht: „Von der 9./III. Pol.-Rgt. Mitte wurden insgesamt 555 Juden beiderlei Geschlechts erschossen.“
Erst spät die polizeilichen Verstrickungen in Verbrechen aufgedeckt
Nach dem Krieg wurden die grünen Polizei-Uniformen umstandslos blau eingefärbt. So konnte die Polizei im Westen Deutschlands nahezu bruchlos weiterarbeiten – jetzt im Dienst der Demokratie. Die Ordnungspolizei wurde bei den Nürnberger Prozessen nicht wie Gestapo oder SS als kriminelle Vereinigung eingestuft. Paul Salitter, der Schutzpolizist aus Düsseldorf, blieb einer der wenigen, die nicht wieder in den Dienst eingestellt wurden. Eine Strafe erhielt er aber nicht. Denjenigen, die an den Morden beteiligt gewesen waren, geschah in aller Regel gar nichts. Erst gegen Ende der 1950er-Jahre begann die Justiz, angestoßen durch den Ulmer Einsatzgruppenprozess, wenigstens gegen einen Teil der Täter zu ermitteln. Da kamen merkwürdige Karrieren zutage, wie die von Georg Heuser, früher einmal Kommandeur der Sicherheitspolizei Minsk und mit dem Judenmord betraut, 1959 aber Leiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt – eine der wenigen Ausnahmen. Kein einziger Täter des Judenmords in Bialystok beispielsweise erhielt jemals eine Bestrafung. Stattdessen war bei der bundesdeutschen Polizei noch lange die „Kleine Polizei-Geschichte“ eines gewissen Paul Riege in Gebrauch, in dessen Werk der Massenmord durch Polizisten überhaupt nicht vorkam – kein Wunder, denn Riege war einst Befehlshaber der Ordnungspolizei im besetzten Polen gewesen.
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