Dorstener Sport für Führer und Vaterland – Die Jugend musste stark gemacht werden für den Staat – Stete Kontrolle der NSDAP, doch am Ende gewannen doch die Dorstener Vereine

Plakat "Fest zur Leibesübung in Recklinghausen" 1937

Von Bernd-Dieter Pütz

»So sehen wir den deutschen Sportjungen der Gegenwart und Zukunft: Von kraftstrotzender Natur, blond die zer­zausten Haare, hell leuchtend die frischen Augen, sauber die Sportkleidung, hoch in den Händen den runden Lederball«, schrieb Hermann Tönnes im Rückblick auf den Dor­stener Sport am 31. Dezember  1937 im »NeuenTag«. Dieses von Tönnes zitierte Wort Adolf Hit­lers ist damals schon weltweit bekannt, es ist immer wieder und überall in Deutschland ge­sprochen, geschrieben, im Bild dargestellt worden. Dorsten bildete keine Ausnahme, wenn es darum ging, Aufgaben und Ziele des Nationalsozialismus auf eine Kurzformel zu bringen. Die Reizworte dieser Formel sugge­rierten die überlegene Dynamik einer rasse­gesunden Jugend und die geradezu spieleri­sche Leichtigkeit, mit der man für das deut­sche Volk und Vaterland auch schwierigste Aufgaben bewältigte. Den Sportvereinen und der Sportjugend fiel dabei eine beson­dere Rolle zu. Die Appelle an die Dorstener Sportler, die Aussagen über ihre Aufgabe bil­den von 1933 bis zum Kriegsanfang eine Sammlung markiger Sprüche, die immer wieder dieselben Kerngedanken einhäm­mern.

Mit markigen Sprüchen den Streit zwischen Turnern und Sportlern begraben

Der Sport im Sinne national­sozialistisch-kämpferischer Vorstellungen: Alle Sportplakate des Dritten Reiches sprechen eine eindeutige Sprache. »Die Jugend muss wieder stark für den Staat gemacht werden«, so Kreisbeauf­tragter der NSDAP, Masthöver, Anfang Mai ¡934. »Sportler von heute müssen Kameraden im besten Sinne des Wortes sein, die sich für das große Ziel der Einigung des gan­zen deutschen Sportvolkes einsetzen.« (Stellvertretender Kreisführer Schlömer im Juni 1937 in der Gaststätte Freitag). »Und dann wollen wir (um der Einheit willen, der Verf.) das Schlachtschwert zwi­schen Turner und Sportler begraben« (Standartenführer Werder im Oktober 1937).

Leibesübung für Mädchen

Wer kann es jungen Menschen verdenken, wenn sie an diese Ziele glaubten, wenn sie glaubten, zu großen Aufgaben für Volk und Vaterland berufen zu sein? Gehörten doch immerhin am Anfang des Dritten Reiches selbst spätere Widerstandskämpfer wie die Geschwister Scholl zu jenen jungen Men­schen, die das Dritte Reich begeistert be­grüßten. Wer konnte 1933 oder 1934 schon ahnen, dass es Hitler und seiner Bewegung in erster Linie gar nicht um den Sport ging, son­dern um eine körperliche Ertüchtigung im Sinne nationalsozialistisch-kämpferischer Vorstellungen! Wer konnte schon ahnen, dass die Sportvereine sehr schnell ihrer Eigen­ständigkeit beraubt und zu bloßen Erfül­lungsgehilfen nationalsozialistischer Wertvorstellungen degradiert werden würden!

Dorstener Sportring unter NSDAP-Dominanz gegründet

Die Methoden auf dem Wege zu diesem Ziel waren vielseitig: Wo Versprechen nicht zum Erfolge führten, wurde eine Taktik der klei­nen Nadelstiche erprobt, mitunter kam es zu Verboten, manchmal zu noch Schlimmerem. Auch Dorstener Sportler mussten diese Methoden erfahren und erleiden. Dabei erwie­sen sich die Dorstener Sportvereine mit ihrem vielseitigen Eigenleben als besonders zäh gegenüber nationalsozialistischen Praktiken. Bis weit in das Jahr 1937 hinein erleb­ten die Nationalsozialisten trotz großer An­strengungen viele Enttäuschungen, und noch im Juni 1937 fragte die Parteipresse: Wird es nun endlich werden? (Gemeint ist die Organisation des Dorstener Sports im nationalsozialistischen Sinne; der Verf.). Dabei hatten die Nationalsozialisten 1934 ve­hement mit einer Umorganisation des Dor­stener Sports begonnen. Ende April versammelten die Dorstener Parteioberen im Lokale Beisenbusch Vertreter aller Dorstener Sport­vereine, um mit ihnen Vereinsaufgaben im nationalsozialistischen Staat zu besprechen. Dabei waren als Ab­geordnete der NSDAP: Lorenz und Heine, ferner Sturmbannführer Weißenberg von der SA, von der HJ Unterbannführer Möwes und ein Mitglied des BdM, außerdem waren anwesend die Sportreferenten der SA, die Herren Stadermann und Gamm. Gemeint sind die Sportvereine der Stadt Dorsten ohne Holsterhausen und Hervest-Dorsten. Erst seit dem 1. April.1943 gehören die nördlichen Stadtteile Holsterhausen und Hervest-Dorsten zur Stadt Dorsten. Fol­gende Dorstener Sportvereine waren vertre­ten: Rot-Weiß Dorsten, Turnverein Dorsten, Tennissport 1912, Schwimmverein Dorsten, Faustkämpfer Dorsten, DJK Brukteria Dor­sten. Ziel war eine Zusammenfassung des Dorstener Sports in einem von der Partei kontrollierten Dorstener Sportring. Die Gründung dieses Sportrings wurde noch in derselben Sitzung vollzogen. Der Ortsgrup­penleiter der Partei, Heine, schlug als Sport­ringführer den Sportreferenten der SA, Sta­dermann vor, der keinem der Dorstener Sportvereine als Mitglied angehörte. Auch das Amt des Pressereferenten übernahm ein politischer Funktionär, SA-Sportreferent Gamm. Die Fachschaftsvertreter (u. a. Win­ter für die Dorstener Turnerschaft, Busch­fort für Fußball, Dr. Ullrich für den Deut­schen Tennis- und Hockeyverband, Wolters für die Schwerathletik, Tenberg für den Ka­nuverband) wurden vom Sportringführer be­stimmt, sie hatten aber bei dem allgewalti­gen Übergewicht der Partei kaum Bedeu­tung.

Dorstener Hitlerjugend beim Ruhrsportwettkampf mit "Graf" als Kampfrichter (aus dem Kirstein-Album)

Eingliederung der Turn- und Sportjugend in die Hitlerjugend

Hauptaufgaben waren die Kontrolle der Sportvereine im Sinne der Nationalsoziali­sten, die Vergabe der Gemeindeplätze und die Kontrolle für die Durchführung national­sozialistischer Anordnungen und Arbeits­pläne. Der Dorstener Sportring wurde damit nicht etwa zu einer Institution der Selbstverwaltung des Sports, sondern zu einem schlag­kräftigen Kontrollinstrument einer allmäch­tigen Partei. Selbstständiges Sportleben war nunmehr – jedenfalls organisatorisch – nicht mehr möglich. Sportvereine konnten nur überleben, wenn sie sich diesen neuen politi­schen Mechanismen anpassten. Bereits die ersten Monate machten den Sportvereinen die von oben zudiktierten Aufgaben deut­lich:

Sportplakat international der Olympiade 1936

Werbung für die Olympischen Spiele 1936 durch Verkauf der dafür vorgesehenen Heftreihe, Werbung für die Wintersportbewe­gung, Eingliederung der Turn- und Sportju­gend in die Hitlerjugend. Doch die Vereine kamen organisatorisch nicht zur Ruhe. Ab Anfang 1935 war der Reichssportführer (und damit der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen) unmittelba­rer Vorgesetzter des Dorstener Sports. Der bisherige Sportring wird umgewandelt in die »Ortsgruppe Dorsten (auch Landkreisgemeinschaft genannt; der Verf.) des Deut­schen Reichsverbandes für Leibesübun­gen«. Der Ortsgruppenleiter wurde auf An­ordnung der Reichssportführung berufen und konnte auch abberufen werden, wenn es ihm nicht gelang, die Führung des Sportwe­sens nach den Grundsätzen nationalsoziali­stischer Anschauung vorzunehmen. Damit ge­meint waren damals vor allem Mittel für die Durchführung der Olympiade 1936. Der Sportreferent der SA, Studienassessor Gamm, wurde erster Leiter der Ortsgruppe Dorsten. Eine weitere Ortsgruppe wurde in Hervest-Dorsten gebildet. In Dorsten wurde im April 1936 Stadtsekretär Wenke Nachfol­ger des nach Bochum versetzten Vorsitzen­den Gamm. Es gelang ihm tatsächlich, in kurzer Zeit über die Dorstener Sportvereine fast 2.500 Olympiawerbehefte abzusetzen und auch die Dorstener Lehrerschaft für Olympiawerbeaktionen »anzuregen«.

Sportvereine Handlanger der obersten Reichssportführung

Die vollzogene Zentralisierung des Sportle­bens verstärkte die Kontrollmöglichkeiten der politischen Führung und machte die Sportvereine zu willkommenen Handlan­gern der von der obersten Reichssportfüh­rung gesetzten Ziele, in diesem Falle der Werbung für Olympia. Von Sport in Dorsten war dabei erst in zweiter Linie die Rede. Wer glaubte, jetzt sei das Ende der Umorganisation erreicht, wurde schon bald wieder eines Besseren belehrt. Im Juni 1937 wurden die Ortsgruppen Dorsten und Hervest-Dor­sten (und damit alle Sportvereine Dorstens, Hervest-Dorstens, Holsterhausens, Kirch­hellens und der Herrlichkeit Lembeck) zur neuen Ortsgruppe Dorsten zusammenge­fasst. Mit Gerhard Winter als Vorsitzendem und Erich Heydasch als Geschäftsführer wurden Leute an die Spitze gestellt, die we­nigstens aus der Sportbewegung kamen und nicht bloße Parteifunktionäre waren. Auch die sieben Mitarbeiter Winters hatten als Sportler in Dorsten einen guten Namen. Zu ihnen gehörten Suhr (SuS Hervest-Dorsten) für Fußball, Reckmann (etwas später durch J. Frank abgelöst; RW Dorsten) für Leichtathletik, Dietrichs für Kanusport und Esser für Handball. Allerdings: Mehr Eigenstän­digkeit gewannen die Sportvereine damit nicht! Die nächsten Ziele wurden von der Partei sofort vorgegeben: Verpflichtung der Vereine zur Teilnahme am Kreisfest und zur Abgabe des Festbeitrages auch von aktiven Teilnehmern. Mit dieser Umorganisation war die Eigenständigkeit der Sportvereine so gut wie völlig aufgehoben. Sie hatten das zu tun, was von der politischen Führung erwar­tet und kontrolliert werden konnte.

DJK Brukteria-Mannschaft mit Präses van Heyden (li.) und Handballobmann Peter Lindgens (re.)<

Kritik des Kreisführers am Dorstener Sport: Mehr Breitenarbeit

Der Kreisführer des Reichsbundes für Lei­besübungen, Standartenführer Werder, machte im Oktober in der Wirtschaft Freitag im Lippetal bei der offiziellen Einführung Winters als Ortsgruppenführer von Anfang an deutlich, woher der Wind wehte. »Ich bin noch nicht lange hier, werde aber sehr schnell alles durchschauen. Im Übrigen, wenn ich nach hier komme, bitte ich mir Pünktlichkeit aus. Das hat nichts mit Dikta­tur zu tun, das ist Disziplin!« stellte er sich den Vertretern der Sportvereine vor. Und weiter: Was er anfasse, werde durchgeführt. Und dann kam die Vereinsschelte: Dem Dor­stener Sport fehle die Breitenarbeit, Sportfe­ste müssten rechtzeitig organisiert werden, der Vereinsklüngel müsse im Sinne der ge­meinsamen Arbeit für das Volk aufhören. Harte Worte und eine ganz auf die National­sozialisten abgestimmte Organisation: Ha­ben sie ihr Ziel erreicht? Haben sie erreichen können, dass das Dorstener Sportleben sich änderte, dass die Sportbewegung größer und aktiver, dass der Sport völkischer wurde? Zwar können sich die sportlichen Veranstal­tungen der Nationalsozialisten teilweise durchaus sehen lassen, aber gemessen am organisatorischen Einsatz nehmen sich die sportlichen Erfolge dieser Zeit eher gering aus.

Dorstener Sportfest auf dem geschmückten Marktplatz und Jahnplatz

Das städtische Sportfest 1935 knüpfte erkennbar an Traditionen der Weimarer Zeit an. Die gesamte Dorstener Bevölkerung war zur Teilnahme – wenigstens als Zuschauer aufgerufen, alle Dorstener Vereine nahmen teil. Dorstener Markt und Jahnplatz standen im Mittelpunkt des Geschehens. Aber auch die Zeichen der neuen Zeit blieben unverkennbar. Die Häuser mussten Hakenkreuz flaggen, Bronzeplaketten von Bismarck und Hitler waren die Siegerpreise, bei der Sieger­ehrung im Hotel Koop wurde gemeinsam das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied gesungen, der Tag endete mit einem »Sieg Heil auf Vaterland und Führer«. Trotz des großen Aufwandes erreichten die Nationalsozialisten weder die große Teilneh­merzahl von 800 Sportlern, die man schon 1922 bei ähnlicher Gelegenheit gezählt hatte, noch das begeisterte Mitgehen der Dorstener Bevölkerung, wie man es aus den 1920er-Jahren kannte.

Sportler mussten für die NS-Zeitschrift werben.

Auch Parteigliederungen sollten am Sportfest teilnehmen

1936 sollte daher das städtische Sportfest be­sonders gelingen. Erstmalig wurden auch die Sportler aus Hervest-Dorsten und Holster­hausen eingeladen, um die Teilnehmerzahl zu erhöhen. Auch Parteigliederungen waren zur Teilnahme aufgerufen. Tatsächlich konnte diese Großveranstaltung mit Wettbe­werben im Schießen, Schwimmen und in der Leichtathletik – parallel zum Schlusstag der Olympiade in Berlin stattfindend – durchaus als Erfolg gewertet werden. Am Schießsport­wettbewerb nahmen sogar 15 Mannschaften teil (bester Einzelschütze wurde Hortmann von »Hubertus Lembeck«), im 1000 m Schwim­men starteten gar 20 Teilnehmer (bester Schwimmer wurde Klein vom Reichsarbeits­dienst Wulfen). Allerdings: Die traditionelle Staffel »Rund um Dorsten« hatte nur drei Mannschaften am Start, und auch Zuschauer bei den leichtathletischen Wettbe­werben waren dünn gesät. Gegenüber den vielfältigen politischen Gliederungen (SS, SA, Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst) konnten sich die »normalen« Vereinssportler nur schwer durchsetzen, ein Novum in der Dorstener Sportgeschichte. Immerhin stell­ten die Leichtathleten von Rot-Weiß-Dor­sten mit dem dreifachen Sieger Josef Frank (er siegte über 400 m, 1500 m und im 5.000 m-Lauf) den überragenden Athleten dieses städtischen Sportfestes 1936.

Amtsmeisterschaften neu eingeführt

Da aber mit den Sportfesten 1935 und 1936 der von den Nationalsozialisten erhoffte und erwartete große Durchbruch nicht gelang, beschritt man seit 1938 neue Wege, um den »heimischen Sport wiederzubeleben« (»Neuer Tag« vom 3. Juni 1938). Erstmalig wur­den 1938 Amtsmeisterschaften gewisserma­ßen als Pilotveranstaltung in der Leichtathle­tik, im Schießen und im Kanusport durchge­führt. Überragender Teilnehmer war dabei der Amtsmeister im Schießen, Stuchl, der für die Reichsbahn Hervest-Dorsten schoss und zur Deutschen Spitzenklasse gehörte.

Reichssportfest in Dorsten 1933: Pfarrer Glauert (2. v. l.), Lehrer Schuh (3. v. l.), Rektor Kellner (4. v. l.), Lehrer Haunerland (Petrinum, 4. v. l.)

Diese Amtsmeisterschaften ersetzten in ge­lungener Form die ehemaligen Stadtmeister­schaften Dorstens und die Herrlichkeits­sportfeste. Die Teilnehmerzahlen lagen deutlich über denen des städtischen Sportfe­stes von 1936. So nahmen allein an der Staf­fel »Rund um Dorsten« diesmal sieben Mann­schaften teil. Nach dieser gelungenen Premiere sollten die Amtsmeisterschaften 1939, vom 13. bis 20. Au­gust terminiert, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. In neun Sportarten (Gerä­teturnen, Faustball, Leichtathletik, Fußball, Tennis, Schwimmen, Kanu, Schießen, Rei­ten) wurden diese Meisterschaften ausgetra­gen. Hinzu kam die Staffel »Rund um Dor­sten«. Die Glanzpunkte dieser Meisterschaften jedoch sind schnell aufgezählt: An den Schießwettbewerben beteiligten sich 26 Mannschaften, im Streckentauchen im Ka­nal setzte sich trotz Behinderung durch Kähne Felten von SuS-Hervest-Dorsten mit 33 Metern durch, und Fußballamtsmeister wurde kurz vor Ausbruch des Weltkrieges Rot-Weiß-Dorsten (nach Halbfinalsieg von 5 : 2 über VfB Kirchhellen) über SuS Her­vest-Dorsten (nach Halbfinalsieg von 5 : 1 über BV Holsterhausen) mit 4 : 0. Insgesamt beklagten die Veranstalter trotz einiger Glanzpunkte zu wenig Zuschauerinteresse, zu schlechte Organisation, zu ge­ringe Teilnehmerfelder. Auch in der offiziel­len Parteipresse ist wenig Begeisterung über diese Amtsmeisterschaften zu spüren. Bei der Siegerehrung bedauert deshalb auch Ortsgruppenleiter Winter, dass zu viele Diszi­plinen wegen fehlender Teilnehmer ausfal­len mussten. Der forsche Kreisführer Werder hatte übrigens zu diesem Zeitpunkt bereits die Heimfahrt angetreten. Als nüchternes Fazit bleibt festzuhalten: Der von den Nationalsozialisten erstrebte »hei­mische Sport auf neuen Wegen« (»Neuer Tag«, 3.  Juni 1938) erreichte sein Ziel nicht. Der Rückblick des Sportjournalisten Her­mann Tönnes auf die Sportjahre 1937 und 1938 unterscheidet sich in nichts von Rück­blicken zu anderen Zeiten: Da ist von Krisen in heimischen Fußballvereinen die Rede, von mangelnden Wettkampfmöglichkeiten für die Leichtathleten, von Erfolgen der Kanuten, vom Fehlen eines Schwimmver­eins, von den überragenden Leistungen der Schützen.

Sportler gingen den sportlichen Interessen nach, nicht den ideologischen

Fast scheint es, als ob das politische Gesche­hen die Vereine im Grunde gar nicht berührt habe. Die 1934 propagierte »Abkehr von ver­alteten Anschauungen« (»General-Anzeiger« am 4. Mai 1934. Gemeint mit diesen An­schauungen ist das Bestreben der Sportver­eine nach Eigenleben und Zuschauerwirk­samkeit; der Verf.) ist offenbar ohne großen Erfolg geblieben. Auch die mit großem Auf­wand von den Nationalsozialisten organisier­ten Sportfeste konnten das Eigenleben der Dorstener Sportvereine nicht entscheidend berühren. Die Sportler gingen weiter ihren sportlichen und nicht ideologischen Interes­sen nach.

"Langemark"-Lauf im Dorstener Lager des Reichsarbeitsdienstes

Evangelischer Eichenkreuzverband kam dem Verbot durch Auflösung zuvor

Nicht alle Sportvereine aber überlebten. Manche fielen den ideologischen Bedingun­gen zum Opfer. Anfang 1934 kam der Dorstener Eichen­kreuzverband einem Verbot zuvor und löste sich selbst auf. Der Eichenkreuzverband war der Turnverband der Evangelischen Jungmännerbünde (in Dorsten CVJM) und trat international erstmalig 1927 bei den 1. Inter­nationalen Kampfspielen des CVJM in Ko­penhagen in Erscheinung. Nachdem es zu Anfang des 3. Reiches 1933 zunächst so schien, als ob der Bestand der evangelischen Jugendverbände (und damit auch der Bestand des Eichenkreuzverbandes) gesichert werden könnte, kam es am 19. Dezember 1933 zu einem »Abkommen über die Einglie­derung der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend«. Darin wurde verpflichtend die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend festge­setzt. Geländesportliche (darunter auch tur­nerische und sportliche) Erziehung wurde ausschließlich der HJ zugestanden, der Dienstanzug der HJ wurde vorgeschrieben. Am 4. März 1934 wurde im Berliner Dom ein feierlicher Eingliederungsgottesdienst der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend gehalten. Der Dorstener Eichenkreuzver­band hatte bereits vorher mutige Konse­quenzen gezogen. Das Abkommen vom 19. Dezember 1933 hatte ihm ohnehin den Bo­den für sportliche Tätigkeiten entzogen. Die Selbstauflösung zeigte deutlich den Protest gegen den Eingliederungsvertrag: Lieber entließ man die Jungen aus dem Bund, als ei­nen weiter bestehenden Bund zwangsweise in die HJ eingliedern zu lassen. Keine ge­ringeren als Martin Niemöller, Manfred Mül­ler und Kurt Gerstein widersetzten sich ebenfalls auf diese Weise dem Eingliederungsvertrag.

BDM-Sportplakat Gau Westfalen 1936

Katholische Jugendkraft  Brukteria Dorsten 1934 verboten

Nicht viel günstiger erging es der Deutschen Jugendkraft. 1920 war die DJK Brukteria Dorsten als Verein der katholischen Sportju­gend gegründet worden. Auf dem Gelände von St. Agatha (heutige Agatha-Wohnsied­lung) wurde an der Hafenstraße von den Jun­gen selbst ein Sportplatz angelegt, auf dem sie bis zum Verbot 1934 spielten. Zwar gehörten der DJK vor­wiegend katholische Jugendliche an, aber auch evangelische Jugendliche konnten Mitglieder werden. Sport wurde nur im Rahmen der DJK-Sportvereine getrieben, den einzel­nen Fachschaften des Deutschen Reichsverbandes für Leibesübungen war man im allge­meinen nicht angeschlossen. In den 1920er-Jahren machten sich die Fuß­baller, Schlagballer und vor allem die Leicht­athleten der DJK Brukteria einen Namen. Viele DJK-Sportler waren Mitglied der star­ken Dorstener Leichtathletikmannschaft, die 1930 die Vestische Industriestaffel in Gladbeck bestritt. Die Blütezeit allerdings erlebte die DJK Brukteria Dorsten Anfang der 1930er-Jahre in einer Sportart, die erst 1929/30 aus der Schlagballmannschaft hervorging. Da im­mer weniger Vereine Schlagball spielten, fragten die DJK-Schlagballer besorgt nach ihrer Zukunft und stiegen kurz entschlossen auf den Handballsport um. Wie richtig dieser Schritt war, zeigten sehr bald die ersten Er­folge.

Hitlergruß im Schalke-Stadion

Überraschende Erfolge der Handballmannschaft

Bereits 1933 konnte die Handball­mannschaft einen überraschenden Höhe­punkt feiern: Sie wurde Unter-Emschermeister. Mit diesem Titel war der Aufstieg in die höchste deutsche DJK-Spielklasse verbun­den. Diese Mannschaft konnte ihren Erfolg als Unter-Emschermeister nicht mehr nutzen. Sie wurde ein Opfer der nationalso­zialistischen Zeitumstände; den Nazis war die katholische Sportjugend ein Dorn im Auge. Die Drohung des Verbots zur Benut­zung von Gemeindesportplätzen 1933 konnte die DJK nicht wirksam treffen, sie hatte ihren eigenen Sportplatz an der Hafen­straße. Auch das Streichen der Fahrpreiser­mäßigung für Jugendliche tat dem Idealis­mus keinen Abbruch. Ein geordneter Spiel­betrieb war trotzdem nicht mehr möglich. Lediglich einige Freundschaftsspiele konn­ten noch ausgetragen werden. Das Jahr 1934 wurde zum Schicksalsjahr der DJK Dorsten. Bereits Anfang 1934 war ab­zusehen, dass die Nazis eine Auflösung der DJK anstrebten. Der Vereinsführer der DJK versuchte noch im Mai 1934 das Schlimmste abzuwenden, indem er darauf hinwies, dass die Fußballer der DJK offiziell dem Fußball­fachverband angeschlossen seien und damit als ordentlicher Sportverein dem Reichsver­band für Leibesübungen angehörten. Auch sei eine konfessionelle Bindung der Mitglie­der keineswegs notwendig; im Übrigen spiel­ten damals auch Mitglieder der Hitlerjugend in der Handballmannschaft der DJK. Die Partei ließ sich jedoch auf keine Diskussio­nen ein und kündigte Anordnungen an. Nach diesem Gespräch vom Mai 1934 waren die Tage der DJK gezählt. Jupp Schelle, Mit­glied der Meistermannschaft von 1933, erin­nert sich:

»Im Juli 1934 waren wir zu einem Freund­schaftsspiel nach Borken gefahren, um ge­gen die dortige DJ K-Mannschaft zu spie­len. Während des Spiels erschien plötzlich der Bannführer der Hitlerjugend Borken mit seiner Gefolgschaft. Er wies den Schiedsrichter an, das Spiel abzubrechen: Die DJK Borken und Dorsten seien aufge­löst, ab sofort dürfe nicht mehr gespielt werden. Auch der Hinweis, in der Dorste­ner Mannschaft spielten immerhin meh­rere Hitlerjungen, nutzte nichts. Eine Dis­kussion wurde nicht gestattet, eine Be­gründung für die Auflösung wurde nicht mitgeteilt. Wir gingen vom Platz, zogen uns um und fuhren betreten nach Dorsten zurück. Die DJK-Mannschaft gab es nicht mehr. Einige von uns spielten in Zukunft Handball bei SuS Hervest-Dorsten, einige waren nach dem Krieg an der Neugründung der Handballabteilung des VfL Rot-Weiß-Dorsten beteiligt. Einen DJ K-Sport­verein hat es in Dorsten nicht mehr gege­ben. «

Nur noch einmal trat die DJK Dorsten an die Öffentlichkeit: Im Dezember 1934 bot sie in der Presse ihre Sportgeräte zum Verkauf an. Bereits am 1. Juli 1934 war der Reichsführer der DJK, Adalbert Probst, in Braunlage (Harz) verhaftet, in einem Auto wegge­schafft und kurzerhand »auf der Flucht er­schossen« worden, wie es im offiziellen Par­teijargon hieß. Offiziell wurde die DJK am23. Juli 1935 in ganz Deutschland von der Poli­zei aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt. Die Nationalsozialisten hatten reinen Tisch gemacht.

Flagge des NS-Reichsbundes für Leibeserziehung

Für Werksportgruppen waren Hallen und Sportplätze ab 1937 gesperrt

Die Betriebssportgemeinschaften (solche Betriebssportgemeinschaften konnten in Be­trieben mit einer Mindestbelegschaft von 200 Personen gegründet werden; auch Werkssportvereine genannt) dagegen gehör­ten zu jenen Sportgruppen, denen es gelang, alle Klippen des Dritten Reiches zu umschif­fen. Einerseits waren sie nicht dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen ange­schlossen, erfüllten also nicht die notwendi­gen Grundbedingungen, andererseits aber sorgten sie für breitensportliche Aktivitäten der Arbeiterschaft und verwirklichten damit Ziele der NSDAP. Den Dorstener Fußball­vereinen waren sie ein Dorn im Auge, denn viele Vereinsspieler, die am Sonntag an Meisterschaftsspielen teilnahmen, hatten am Samstagabend vorher für ihren Betrieb un­ter den Augen ihrer Vorgesetzten antreten müssen. Am Sonntag fehlten sie daher häu­fig wegen Verletzungen oder konnten nur mit halber Kraft spielen. Die Dorstener Sportführung fand für diesen sportlichen und politischen Engpass keine Lösung. Auch die Sperrung der Turnhallen und der Sport­plätze 1937 für die Werkssportvereine führte zu keinem Ergebnis, die Frage der Werks­sportvereine wurde in jedem Gespräch mit Sportvereinen weiterhin angeschnitten. Schließlich sah sich der Ortsgruppenführer 1939 gezwungen, die seit Jahren schwelende Angelegenheit dem Kreissportführer vorzu­legen. Aber zufrieden stellend geregelt wurde die Frage der umstrittenen Betriebs­sportgemeinschaften nicht. Sie hatten sich inzwischen an die immer wiederkehrenden Schwierigkeiten gewöhnt.

Vereinszeitschrift "Deutsche Leibeszucht"

NSDAP konnte mit der Sportorganisation in Dorsten nicht zufrieden sein

Die Bilanz der entscheidenden Aufbaujahre der NSDAP von 1934 bis 1939 konnte die Partei nicht zufrieden stellen. Gewiss, konfes­sionelle Sportgruppen gab es nicht mehr. Aber schon an der Frage der Betriebssport­gemeinschaften war man gescheitert. Und die vielen Dorstener Sportvereine?

Obwohl sie seit 1934 mit Anordnungen und Arbeitsplänen überhäuft wurden, obwohl sie nicht zur Ruhe kamen (Abführung des Sportgroschens, Beitragsfragen für die Orts­gruppe Dorsten, Sammeln für den Hilfsfond des deutschen Sports, Verkauf von Olympia­werbeheften 1936, Festbeiträge für Sportfe­ste, Organisation von Festzügen, Werbung für das Breslauer Turnfest 1938), hielten sie im Grunde an jenem Eigenleben fest, das den Nationalsozialisten von Anfang an ein Dorn im Auge war. Die Ortsgruppe Dorsten blieb daher das »Schmerzenskind der Kreis­leitung« (stellvertr. Kreisführer Schlömer aus Recklinghausen im Juni 1937 in einer Besprechung bei Freitag im Lippetal). Der ländliche Charakter, der nationalsozialisti­sche Ziele eines Großvereins verhindert, und die überwiegend katholische Bevölke­rung in Dorsten standen den ideologischen Grundlagen im Wege. Die eigenständigen Strukturen der kleinen Sportvereine waren also letztlich die Ursachen des Überlebens.

Bis zum Ende des Dritten Reiches lassen die Vereine keine Gelegenheit aus, um ihre ureigensten Probleme anzusprechen, von der Presse verächtlich als »alter Vereinsklüngel« abgetan (Neuer Tag am 11. 1. 1938): Vorran­gig geht es dabei um die Benutzung und den Zustand der Turnhalle in Dorsten, um Sport­platzfragen in Kirchhellen, Hervest-Dorsten und Holsterhausen, um die Schwimmbäder in Hervest und in Dorsten und um einen Fuß­balltrainer für die Dorstener Fußballvereine.

Diese unpolitischen Wünsche der Sportver­eine auf der einen, die markigen Sprüche der Parteioberen auf der anderen Seite ziehen sich unvereinbar wie ein roter Faden durch die Sportgeschichte des Dritten Reiches in Dorsten. Dieser Gegensatz konnte trotz al­ler Versuche von den Nationalsozialisten nie aufgelöst werden.

 

 

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