Von Wolf Stegemann
»Als die waffenfähigen Söhne unserer Stadt im Felde standen und an den Ufern der Lippe Männer und Frauen und Kinder in harter Einsatzbereitschaft feindlichen Fliegerangriffen Trotz boten, wurde das Dorstener Ehrenbuch geschaffen aus Anlass der Eingliederung der Gemeinden Hervest und Holsterhausen in die Stadt…«.
Diese Präambel schrieb Bürgermeister Dr. Gronover am 1. April 1943 in das »Goldene Buch« der Stadt Dorsten. Nur wenige Eintragungen aus nationalsozialistischer Zeit sind darin enthalten. Erst in bundesrepublikanischer Zeit fand und findet das in schweres Leder und mit Schnappschlössern versehene Gästebuch vermehrt Verwendung. Als erste »überragende Persönlichkeit« durfte sich einen Tag nach dem 1. April 1943 der 1918 in Dorsten geborene Flieger-Hauptmann Theodor Nordmann, Sohn des Rechtsanwaltes Heinrich Nordmann, eintragen. Er war hoch dekorierter Soldat: August 1940 EK I, April 1941 »Ehrenpokal für besondere Leistungen im Luftkrieg«, September 1941 Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz, März 1943 Eichenlaub zum Ritterkreuz, Beförderung zum Hauptmann, 17. September 1944 Schwerter zum Eichenlaub, Beförderung zum Major. Der ehemalige Dorstener HJ-Führer flog insgesamt 1.191 Feindeinsätze. Beim letzten stürzte er am 19. Januar 1945 über Insterburg ab, als er mit der Maschine eines Staffelkameraden in 300 Meter Höhe zusammenstieß. Es hält sich das Gerücht, Nordmann habe den Tod gesucht, weil er den nahenden Zusammenbruch des Deutschen Reiches und des Nationalsozialismus nicht erleben wollte.
Stukaflieger Theodor Nordmann, Held einer ganzen Generation
Als die DNB-Nachricht über die Verleihung des Ritterkreuzes an den 23-jährigen Dorstener Staffelkapitän eines Sturzkampfgeschwaders nach Dorsten drang, war die gesamte Stadt aus dem Häuschen. »Wir schließen uns von ganzem Herzen den Gratulanten an«, schrieb am 24. September 1941 die National-Zeitung, »und wünschen dem tapferen und erfolgreichen Stukaflieger weiterhin beste Erfolge in seinem Aufgabengebiet zum Segen für den Endsieg des deutschen Volkes.« Die Zeitung würdigte die Verdienste des damaligen Leutnants Nordmann, indem sie schrieb:
»In einer großen Zahl von Einsätzen erlebte der Sohn unserer Stadt und Mitbürger Freud und Leid in der deutschen Spezialwaffe, die den Feinden unseres Vaterlandes Tod und Verderben brachte und Schrecken und Furcht hinterließ, die als einmalig zu bezeichnen sind.«
Im Rathaus und im Petrinum feierte man ihn mit Reden und Fahnen
Als Nordmann Anfang Dezember 1941 seine Eltern in Dorsten besuchte, hieß es in der National-Zeitung, im Westfälischen Beobachter und in der Dorstener Volkszeitung: »Flaggen heraus! Wir grüßen den Ritterkreuzträger!« Nordmann, inzwischen Oberleutnant, wurde offiziell im Heimatmuseum begrüßt. Zu seinem Empfang fand im Rathaus eine Sitzung der Ratsherren statt. Die politischen Leiter der Partei, der Gliederungen und der angeschlossenen Verbände hatten in Uniform zu erscheinen. Fahnenparade war für die Lippestraße, Essener Straße, Recklinghäuser Straße und den Marktplatz angeordnet.
Nordmann wurde herumgereicht: Partei, Hitlerjugend, Wehrmacht, Lazarett und seine alte Schule, das Gymnasium Petrinum, richteten ihm zu Ehren Feierstunden ein. Im März 1943 überreichte ihm der Führer das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Bei seinem anschließenden Heimaturlaub trug sich Nordmann in das »Goldene Buch« der Stadt Dorsten ein. Schon am 18. Juli 1943 ehrte die Stadt einen weiteren Ritterkreuzträger mit einer Eintragung: Oberfeldwebel Walter Brandt, der seit April 1943 im Dorstener Lazarett lag. Ritterkreuzträger Fritz Schäfer schloss mit seinem Namenszug am 4. Dezember 1944 den Reigen der würdigen Dorstener und Gäste der Stadt.
Das Heldenbuch wurde nach dem Krieg entmottet
Erst im Jahre 1951 wurde das ehemals »Braun-Goldene Buch« entmottet, als die Lippestadt die 700-Jahr-Feier mit vielen Ehrengästen beging. Neun Jahre lang fand dann die Stadt für einen Eintrag in das Goldene Buch niemanden mehr würdig. Am 15. März 1960 reflektiert Bürgermeister Paul Schürholz in einer eigenen Eintragung über das Dritte Reich, dessen aktiver Vertreter er einst gewesen war:
»In dem Lebenslauf eines der jungen Abiturienten las ich die ergreifenden Sätze aus jenen dunklen Tagen, in denen Krieg und Waffenlärm die Heimat erschütterten und die Zerstörung der Stadt die Familien auf engstem Raum zusammendrängte: „Wir erhalten die Nachricht vom Tode unseres Vaters. Meine Mutter stand nun allein da mit vier Kindern in der schlechten Nachkriegszeit. […] Von ihr lernte ich, dass sich ein Mensch nicht von Schicksalsschlägen entmutigen lassen darf, wenn sie auch noch so schmerzlich für ihn sind.“ So verbindet sich ein Einzelschicksal mit dem Schicksal einer ganzen Stadt und ihrer Bürger. Ich habe diesen Text und die Tat aufgenommen in das „Goldene Buch“ der Stadt, das bisher nur das Heldenlied der Söhne unserer Stadt kündet, die im Kriege mutig und mannhaft ihre Pflicht getan und bekränzt mit dem Lorbeer des Erfolges zu kurzem Urlaub in die Heimat zurückkehrten …«
Anmerkung: »Das goldene Buch« ein Helden-Epos?
Einer hat sich nicht eingetragen, der würdig gewesen wäre. Man hat es ihm nicht angeboten: Ernst Metzger. Der ehemalige Dorstener Bürger jüdischen Glaubens fand 1983 erstmals wieder in seine Heimatstadt zurück, aus der er 1942 gewaltsam deportiert worden war. Er überlebte Ghetto und Konzentrationslager und wanderte in die USA aus. Metzger war kein Held. Er kämpfte – wie Millionen seiner Leidensgefährten – »nur« um seine Lebensberechtigung, die ihm deutsche »Helden« verweigerten.
Sehr Gehrter Herr, ich habe das Glück, die Taschenuhr von Theodor Nordmann zu besitzen, er bekam sie, als er Leutnant wurde in der Fliegerschule 1939. Falls Sie interesse haben dann kann ich Fotos senden von sein Uhr. Lebt seine Familien noch im Dorsten?
MfG Jan Cop
Anmerkung der Redaktion: Ja bitte, senden Sie ein Foto. Danke!