Von Robert Probst
Unmittelbar nach der Machtübertragung vom 30. Januar 1933 beginnen die Nazis mit der Verfolgung von politischen Gegnern. Wer nicht ins Konzept der „Volksgemeinschaft“ passt oder sich nicht anpassen will, muss mit Repressionen rechnen – mit Schikanen, öffentlicher Demütigung, mit Prügeln, mit willkürlicher Verhaftung oder mit Verschleppung in eines der frühen Konzentrationslager. Das Regime nimmt sich seine Gegner der Reihe nach vor, mit Widerstand der Bevölkerung hat es nicht zu rechnen. „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ So hat es treffend nach Kriegsende der protestantische Pastor Martin Niemöller, von 1937 bis 1945 im KZ inhaftiert, formuliert.
Die KPD versucht zunächst, aus dem Untergrund heraus Widerstand zu leisten, mit geringem Erfolg. Bald bleibt außer der lebensgefährlichen Opposition nur noch die Emigration, um der geistigen Gleichschaltung oder der kollektiven Verfolgung ganzer Gruppen zu entgehen. Die ebenso bald verbotene SPD ist sich zunächst uneins über das weitere Vorgehen, ein Teil der Politiker geht schließlich ins Ausland und gründet in Prag die Exilpartei Sopade. Mehr als ein loser Zusammenhalt gelingt jedoch nicht, die Arbeiterbewegung ist zersplittert und geschwächt. Doch auch konservative Regimegegner, Vertreter des politischen Katholizismus, Pazifisten und vor allem Intellektuelle, Künstler und Literaten können sich im Deutschen Reich nicht mehr sicher fühlen, Tausende wählen den Weg in die Emigration – den Weg in die Heimatlosigkeit, die politische Isolation und Sorgen um die Daheimgebliebenen. Und dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende. Als die Nazis über Europa herfallen, beginnt die Flucht von Neuem. Nur in der Schweiz und in Übersee kann man sich einigermaßen sicher fühlen.
Die etwa 525.000 deutschen Juden haben besonders unter dem Terrorregime der NS-Herrscher zu leiden. Boykott jüdischer Geschäfte, Berufsverbot für jüdische Beamte, die Nürnberger Rassegesetze… Doch der Versuch der Nazis, die jüdischen Bürger mit Demütigungen aller Art aus dem Land zu vertreiben, misslingt zunächst. Der Wille zur Bewahrung einer eigenen deutsch-jüdischen Identität ist bei vielen Familien stärker als die Furcht vor Verfolgung. Erst nach brutalen Attacken auf Leben und Existenz der Juden während des Novemberpogroms 1938 steigt die Zahl der Auswanderer stark an. Hermann Göring gründet eigens eine „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“. Ihr eigentliches Ziel ist es, die Juden vor ihrer Ausreise komplett auszuplündern. Zahllose Gesetze und Verordnungen haben bereits zuvor die jüdischen Geschäftsleute zur Aufgabe ihres Gewerbes gezwungen. Im Zuge der „Arisierung“ übernehmen nichtjüdische Profiteure die Kanzleien, Praxen, Büros, Werkstätten und Kaufhäuser – meist zu Spottpreisen. Jedoch will kaum ein anderes europäisches Land deutschsprachige Juden aufnehmen, man fürchtet nicht zuletzt den Import eines „Rasseproblems“. So findet sich auf einer Konferenz in Evian im Jahr 1938 praktisch kaum einer der 32 teilnehmenden Staaten bereit, sein Flüchtlingskontingent zu erweitern. Schon 1936 hat der Zionist Chaim Weizmann notiert: „Die Welt scheint zweigeteilt zu sein – in die Orte, wo Juden nicht leben können, und jene, in die sie nicht einreisen dürfen.“ Wer es dennoch schafft, ein Visum zu ergattern, darf am Ende nicht mehr als zehn Reichsmark in sein neues Leben mitnehmen. Die von den Japanern besetzte Stadt Shanghai ist der einzige Ort der Welt, den Juden ohne Visum und Vermögensnachweis erreichen können. Im Oktober 1941 verbieten die Nazis den deutschsprachigen Juden die Ausreise ganz – wenig später beginnt auch die systematische Ermordung der westeuropäischen Juden (Quelle: SZ 23/24. Dezember 2009).