Von Wolf Stegemann
„Herr Kaplaaan! Essen kommen!“ schallte es in voller Lautstärke durch das Haus, wenn die Tochter des Gastwirts Josef Maas-Timpert, Mia, den französischen Kriegsgefangenen Maurice Lebar rief. „Sie haben mich betreut wie einen Prinzen“, erinnert sich der Geistliche, der nach dem Krieg in Chalons-sur-Marne wohnte. Im Gefangenenlager 1405 in der Gaststätte Maas-Timpert an der Bochumer Straße 162, Zweigstelle vom Stalag VI (Bochum), speiste zumindest dieser Kriegsgefangene mit „schönem Gedeck“ an einem mit weißer Tischdecke bedeckten Tisch. „Die Aufnahme“, so Pere Lebar in der Rückbesinnung, „die ich in der Familie Maas-Timpert fand, war für mich als junger Priester außerordentlich liebevoll.“ Seine Ankunft in Dorsten wird er nie vergessen:
„In dem Augenblick, als ich an einem Frühlingstag des Jahres 1943 vom Militärlastwagen herunterstieg, flankiert von Militärposten in Waffen, standen Vater und Mutter Maas-Timpert an der Türschwelle ihres Gasthauses und hielten eine Begrüßungsansprache. Ihre fünf Kinder waren aufgereiht wie die Orgelpfeifen. Herr Maas-Timpert ließ mich spüren, welche Ehre es für ihn war, zum ersten Mal einen Priester in seinem Hause beherbergen zu dürfen. Sein christliches Empfinden überdauerte alle Wechselfälle des Krieges.“
Familiäre Verhältnisse und Bindungen
Die über 40 französischen Soldaten im Saal der Gaststätte Maas-Timpert hatten es gut. Im Vergleich zu Kriegsgefangenen der östlichen Nationen lebten sie fast wie Gott in Frankreich. Freundschaftliche, fast familiäre Bande wurden zwischen „Gastgeber“ und „Gästen“ geknüpft. Die Gefangenen kamen hauptsächlich in der umliegenden Landwirtschaft zum Arbeitseinsatz. Dort konnten sie sich fast frei bewegen. Die Fenster des Saals bei Maas-Timpert waren zwar vergittert, doch so genau nahmen es die Wachmannschaften meist nicht, auch wenn Soldaten darunter waren, die die Gefangenen schikanierten. Dann sprang helfend der Wirt Maas-Timpert ein. „Wenn ein nächtlicher Appell allzu lange dauerte, sorgte er für plötzlichen Stromausfall, damit wir zu unserem notwendigen Schlaf kamen“, erinnert sich Maurice Charton, ein anderer Gefangener. Ohne Behinderungen konnten die Franzosen auch in der Schankstube ihren „Kriegskaffee“ trinken und mit den Bauern ein Schwätzchen halten. Lebar: „Toni stand hinter der Theke, Mia und Gerti bedienten, Hans und Heti steckten ihre Kindernäschen durch die Tür.“
Dolmetscher und Obmann der französischen Kriegsgefangenen war zuerst Jean Picaux, dann Jacques Pasquier. Als der Krieg zu Ende ging, wurden die Kriegsgefangenen nach Gelsenkirchen verlegt. Etwa 15 Franzosen wollten in Dorsten von den Amerikanern befreit werden. Maas-Timpert versteckte sie unter der Kegelbahn. Die Kontakte, die damals zwischen der Familie Maas-Timpert und umliegenden Landwirten mit den Franzosen geknüpft wurden, dauerten noch unter den Nachkommen an. Pere Maurice Lebar kam 1979 nach Dorsten, um die Silberhochzeit der Maas-Timpert-Tochter Mia Balster einzusegnen. Der ehemalige Kriegsgefangene Accard besuchte regelmäßig seinen damaligen Arbeitgeber Föcker-Holtkamp in Altendorf-Ulfkotte. „Es war meine schönste Zeit“, sagte er einmal bei einem Gläschen Champagner, den er aus seiner Heimat mitbrachte.
Dorstener steckten ihnen Kuchen zu, andere bespuckten sie
Maurice Charton, der vier Jahre lang in der Schreinerei Föcker in Altendorf arbeitete, reflektierte über seine Zeit als Kriegsgefangener in Dorsten. Er fragte sich, warum einige Arbeitsaufseher und Wachsoldaten unmenschlich und voller Hass waren. Warum andere Mitleid hatten und sich menschlich verhielten. Warum hat ein SA-Mann, der ein Russenlager bewachte, einen französischen Kriegsgefangenen zu Boden geworfen und mit Füßen traktiert, nur weil er jenen unglücklichen Russen, die über Hunger klagten, ein Stück Brot durch den Stacheldraht geworfen hatte? Maurice Charton fragte auch, warum einige Zivilisten gegen ihn und seine Kameraden die Faust reckten und sie anspuckten, während andere für sie Kuchen in Mülleimern deponierten.
„Ich glaube“, so Charton, „die Antwort auf diese Warum-Fragen ist die, dass es in jedem Land Menschen gibt, die wissen, was Nächstenliebe bedeutet, und die Herzensqualität haben. Wenn wir persönlich auch nicht vor demütigenden Schikanen geschützt waren, so gab uns das bisschen Freiheit, über das wir noch verfügen konnten, doch Gelegenheit, noch viel Unglücklichere, als wir es waren – russische Kriegsgefangene und Ostarbeiter – zu sehen.“