Gregor Duve erinnert sich an seine Schulzeit in Holsterhausen: Tiefflieger – als Schüler kopfüber in den Schützengraben

Gregor Duve 1943 in Holsterhausen

Wenn die Gedanken zurückgehen bis in die 1940er-Jahre des letzten Jahr­hunderts, dann fällt einem oft die Zeit der Jagdbomber ein, die im Tiefflug über Holsterhausen hinweg flogen und auf alles schossen, was sich bewegte. Es waren die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs, die Jahre 1943 bis 1945. Besonders die Bahnstrecke Hervest-Wesel, die als Hauptstrecke für den Wachschub an Material und Soldaten an die Front galt, war sehr in Mitleidenschaft gezogen. Heute erinnert kaum noch etwas an die Dramen, die sich dort abspielten. Die zweigleisige Strecke ist langst demontiert. Einige Kilometersteine, die langsam verfallen oder umgestürzt sind, zeigen noch den damaligen Verlauf der Trasse.

Mit dem Vater im Einmann-Loch gesessen

Aber ein Relikt aus dieser Zeit ist auch heute noch zu sehen: der Bomben­trichter im Hagenbecker Busch, 300 Meter hinter der Autobahnbrücke an der linken Seite in Richtung Schermbeck, nur wenige Meter neben der Trasse.

Wegen der akuten Tieffliegergefahr waren auf beiden Seiten der Bahntrasse so genannte Einmannlöcher ausgehoben worden. Bei Luftangriffen konnte das Lok-Personal in diesen Gräben Deckung suchen. Die Züge fuhren wegen der Tieffliegergefahr bei Tage sehr langsam und der Lokführer zog bei Alarm die Notbremse und sprang bei noch rollendem Zug rechts und der Heizer links heraus. Bei den Angriffen wurden die Jagdbomber (Jabos) erst sehr spät wahrgenommen, da der Schall der Flugzeuge erst hinter dem Flugzeug zu hören war, wobei die Lufttemperatur eine große Rolle spielte.

Trotz aller kriegsbedingten Sicherheitsvorkehrungen der Reichsbahn für ihr Personal, war das Führen einer Lok stets ein Himmelfahrtskommando. Der Krieg veränderte auch die in Stufen gegliederte und Jahre dauernde Ausbildung zum Lokführer. Bevor jemand Streckenlokführer werden konnte, musste er die Stationen als Schlosser, Heizer und Rangierlokführer absolviert haben. Die Ausfälle von Lokführern durch Fliegerangriffe verursachten einen personellen Engpass, die Ausbildung wurde extrem verkürzt.

Immer Angst vor Tieffliegern

Aber nicht nur die Züge auf der Eisenbahnstrecke Haltern-Wesel wa­ren stark gefährdet. Rechts und links der Bahnstrecke bestellten Bauern, darunter viele Frauen und Kinder, die Felder und Äcker. Sogar die so genannten Brand­streifen rechts und links der Gleise, die wegen Brandgefahr durch Funkenflug Brachland sein mussten, wurden wegen der schlecht­en Ernährungssituation landwirtschaftlich bestellt. Diese Brandstreifen waren meist von Nichtlandwirten von der Reichsbahn gepachtet worden, um die Ernährung der eigenen Familie zu verbessern. Bauern auf dem Feld und Städter auf diesen Brandstreifen waren den Tieffliegern mit ihren Maschinengewehrsalven stets ausgesetzt. So mancher von ihnen brachte sich durch einen Sprung in die Einmannlöcher in Sicherheit.

Antoniusschule in Dorsten-Holsterhausen um 1925

An der Bahnlinie gab es einen noch besseren Schutz. Es waren die so genannten Düker. Diese in der Regel trockenen Bachläufe kreuzten die Bahnlinien und waren massiv mit Bruch­steinquadern errichtet. Sie unterqueren auch heute noch die Trasse. Einer dieser Düker befindet sich kurz vor dem Ende des Radwegs in Höhe zu Schibs Kotten, wo sich auf der linken Seite der Wald lichtet. Dieser Düker war in der Kriegszeit ein sicherer Unterstand. Die Erwachsenen konnten nur in gebückter Haltung darin ausharren. Wir Kinder hatten es da besser. Einen größeren, nämlich doppelten Düker gibt es heute noch neben dem Übergang an der Hagen­becker Straße. Früher stand dort der Bahnwärterposten Nr. 10. Ein besonderes Kriegsereignis fand dort ein glimpfliches Ende.

In diesem Düker suchte Rektor Schäfer, Schulleiter der Antoniusschule, mit seiner Klasse Schutz vor einem Luftangriff. Zunächst war er mit den Jungen an der Südseite. Dann ging er – wohl einer inneren Eingebung folgend – an die Nordseite des Dükers. Kaum hatten die Schüler die Südseite verlassen, schlug dort eine Fliegerbombe ein und richtete einen verheerenden Schaden an. So gab es unter den Schülern nur wenige Leichtverletzte.

Bei Fliegeralarm nach Hause oder in den Keller

Vor den Jagdbombern war man in Holsterhausen nirgendwo sicher. Auf dem Dorffriedhof, an dem die Bahnstrecke vorbei führte, fanden die Beerdigungen von Bombenopfern oft am frühen Mor­gen statt. Auch die Holsterhausener Schulen waren den Jagdbombern ständig ausgesetzt. Ich besuchte die Wilhelmschule, die damals noch Otto-Weddigen-Schule hieß. Ein Mitschüler und ich wurden auf dem Schulweg von Jabos beschossen.

Schul-HJ-Pimpfe bei der Luftschutzübung

An dieser Schule galt die Regel, dass bei Fliegervoralarm die Schüler, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten, nach Hause gehen konnten. Die anderen Schüler mussten im Keller der Schule bleiben. Da die Begrenzungsmauer des Schulhofes (zur heutigen Römerstraße hin) ein Loch hatte, konnten wir dort durchschlüpfen und so den Heimweg verkürzen. Dies ging auch immer gut, nur einmal wurden wir von einem Tiefflieger beschossen. Zwischen der Schulmauer und der Mühlenstraße zog sich auf halbem Wege ein etwa 1,40 Meter tiefer Schützengraben hin, der von den höheren Jahrgängen der Schule ausgehoben worden war, um die Pliesterbecker Straße zu verteidigen. Der Graben verlief wegen der Splittergefahr zickzackförmig von der Mittelstraße bis zur Ida­straße, der damaligen Horst-Wessel-Straße. Alle 50 m gab es eine Einbuchtung, in der man Maschinengewehre in Stellung bringen konnte. Nun  spurteten wir beiden Zweitklässler nach Hause und gerieten dabei in den Tieffliegerangriff. Auf allen Vieren robbten wir zum rettenden Schützen­graben und ließen sich kopfüber, den Schulranzen im Nacken, in den Graben fallen. Die Geschossgarben, die in der Schule gehört werden konnten, pfiffen über uns hinweg. Wir wurden zum Glück nicht getroffen. Dieses Ereignis steht mir dennoch Zeit meines Lebens vor Augen.

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Quelle: Entnommen Wolf Stegemann „Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, hg. vom Ökumenischen Geschichtskreis Holsterhausen an der Lippe, 2009

 

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