Von Wolf Stegemann
Professor Werner Maser schreibt in seinem Buch »Das Regime. Alltag in Deutschland 1933 – 1945«:
»Dass die Jugend sofort sichtlich in den Dienst des Staates genommen wurde, erfuhr sie unmittelbar nicht nur durch die ideologisch artikulierten Erklärungen ihrer Lehrer in den Schulen, sondern erlebte es konkret am eigenen Leibe durch die gravierend radikale Aufwertung des Turnens und dessen Einordnung als ,Leibesübungen’ im Rahmen des gesamten Erziehungssystems. Sport sei vom Gedanken der Volksgemeinschaft betrachtet worden. «
Diese von Hitler genannte »körperliche Ertüchtigung« rangierte lt. Maser bald an erster Stelle jeder Erziehung. »Weltanschauliche Hörigkeit ersetzte das traditionelle pädagogische Ethos.«
Der mit Dorsten verwandtschaftlich verbundene Oldenburgsche Staatsminister Heinz Spangemacher sagte am 12. April 1933:
»Das wichtigste aber scheint mir zu sein, eine Gleichschaltung auch auf dem Gebiete der Schule vorzunehmen. Das Endziel, das wir erstreben, ist der nationalsozialistische Mensch und damit das nationalsozialistische Volk und der nationalsozialistische Staat. […] So haben wir da auch die Aufgabe der Schule: die Erziehung des deutschen Menschen zum bewusst völkischen Kämpfer. […] Wenn ich Schulräte abbaue, wenn ich Rektoren aus ihren Stellen herausnehme und sie als Klassenlehrer beschäftige, so tue ich das nur, um an ihre Stelle Menschen zu setzen, die als Führer und Lehrer aus heißen Herzen heraus den Ideen zur Wirklichkeit verhelfen, die wir predigen. «
Lehrer bekamen früh Parteiämter
Eine geistige Auseinandersetzung mit dem von der Weimarer Republik übernommenen Schulsystem, das befasst war mit den umstrittenen Fragen der Strukturreform und des kirchlichen Einflusses, schob die NSDAP auf. Vielmehr zeigte sie nach Übernahme der Regierungsverantwortung einen Machtpragmatismus: Entlassung nicht konfessionell gebundener Lehrer, Überhäufung der Lehrerschaft mit Parteiämtern, vornehmlich NSDAP-Propagandaleiter oder Ortsgruppenleiter, Schließung der »weltlichen« Schulen (ohne Religionsunterricht), wie die Baldurschule in Holsterhausen, Auslese nach dem 4. Schuljahr nach neuen Gesichtspunkten der körperlichen, charakterlichen und »völkischen« Eignung. Anstelle eines 9. Volksschuljahres richtete Preußen 1934 das so genannte Landschuljahr ein. Die Zahl der humanistischen Gymnasien wurde stark reduziert, wodurch deren Prestige stark erhöht wurde. 1937 wurde das 13. Schuljahr abgeschafft. Dazu Dr. Harald Steffahn (Hamburg):
»Trotz ihrer Widersprüchlichkeit ist die Schulpolitik in ihrem Ergebnis als konsequente Durchsetzung von Hitlers Maximen zu interpretieren: Verkürzung und Ideologisierung des Unterrichts, Ausweitung der Leibeserziehung, Geschlechtertrennung, Aussonderung der Juden, Zurückdrängen des kirchlichen Einflusses, Sicherung der politischen Kontrolle über schulische Ausleseprozesse, Differenzierung der beruflichen Ausbildung, Erzeugung von Kriegsbegeisterung bei Jungen und Vorbereitung auf die Mutterrolle bei den Mädchen.«
Eine große Rolle spielte die Person des Führers auch und gerade in der Schule. Dazu S. Johanna Eichmann OSU im 3. Band „Dorsten unterm Hakenkreuz«. Sie veröffentlicht darin einen Teil der Rede des NS-Lehrerbund-Ideologen und Studienrats Kregeler aus Bottrop, die er 1934 im Saal Koop am Markt gehalten hatte, abgedruckt in der Dorstener Volkszeitung. Der Redner schilderte
»die heroische Persönlichkeit des Volkskanzlers, den das Erleben der Frontjahre im unerschütterlichen Glauben an das deutsche Volk, an die Nation befestigt habe. Hitler, der packte, gewann und formte, nicht beherrschte, sondern diente, nicht hasste, sondern liebte, habe aus innerstem Herzen heraus die Herzen gewonnen. Der Führer habe mit flammendem Herzen Tag und Nacht gearbeitet, um ein Problem nach dem andern zur wohlüberlegten Entscheidung zu bringen. Dieser Führer des deutschen Volkes kenne auf profanem Gebiete nicht seinesgleichen, höchstens auf religiösem.«
Lehrer waren im Nationalsozialismus »ideologische Vordenker«
Warum ließen sich gerade Lehrer vom Nationalsozialismus so hochgradig begeistern? Dazu S. Johanna Eichmann:
»Ein wichtiger Grund liegt sicher im Erziehungsnotstand der frühen Dreißiger Jahre. Auf welches Ziel hin konnte man die Jugend noch erziehen? Welche Vorbilder konnte man ihr mitgeben? Die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Liberalisierung auf allen Ebenen hatte weniger Befreiung gebracht als Verwirrung. In dieser schwierigen Situation lieferte der Nationalsozialismus eine Fülle an völkischen und pseudoreligiösen Idealen, die darüber hinaus in dem sakral überhöhten Vorbild des Führers zusammengefasst waren.«
Lehrer wurden von der NSDAP als die »ideologischen Vordenker« angesehen.
Georg Feil leitete das Gymnasium Petrinum von 1932 bis 1945
Nicht nur die Volksschullehrer, die in besonderem Maße, aber auch unter den Gymnasiallehrern gab es begeisterte Nationalsozialisten, wie in Dorsten beispielsweise den 1932 aus Altersgründen pensionierten langjährige Schulleiter des Gymnasium Petrinum, Dr. Josef Wiedenhöfer, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl machte und als Pensionär in der Öffentlichkeit immer wieder im Geiste des Nationalsozialismus auftrat.
Dr. Georg Feil wurde Wiedenhöfers Nachfolger und blieb es auch nach 1933. Er wollte »aus finanziellen Gründen« Schulleiter bleiben, nämlich wegen seiner Familie mit damals drei Kindern, sowie »um unsere alte christliche Schule nicht einem Nationalsozialisten in die Hände fallen zu lassen«. Mit diesem Argument versuchte sich Feil bei der Entnazifizierung zu rechtfertigen. Da ist er nicht der Einzige, der sich mit dieser Argumentation rein zu waschen versuchte. Aus den Entnazifizierungsakten von Dorstenern geht hervor, dass fast jeder Funktionsträger diese Begründung ins Feld führte, warum er zwölf Jahre lang mitmachte und somit das Regime stützte.
Um Feil entbrannte nach der Veröffentlichung seiner Tätigkeit in nationalsozialistischer Zeit ein heftiger Streit zwischen der Autorin des Berichts, S. Johanna Eichmann, und dem Sohn des Schulleiters über die Frage, ob der Schulleiter nun Nazi war oder nicht. Der Sohn sagte Nein. Dem widerspricht aber nicht nur die ausgezeichnete Belegung durch die Autorin, sondern auch der Umstand, dass das eigene Kollegium ihn, den Schulleiter Dr. Feil, nach 1945 nicht mehr haben wollte. Dem entsprach die Regierung. Feil kam nicht mehr an das Gymnasium zurück.
Als das Petrinum am 26. September 1942 seine 300-Jahrfeier beging – wegen des Krieges in aller Stille –, gab der Schulleiter einen geschichtlichen Überblick, der am 27. September im »Westfälischen Beobachter« veröffentlicht wurde. Darin heißt es u. a.:
»Aus der Geschichte ergibt sich die Aufgabe der Schule (…). So will sie auch den neuen Forderungen der Volksgemeinschaft und der nationalsozialistischen Erziehung gerecht werden. (…) Von der Gegenwart ist ihr die Aufgabe gestellt in der Hinwendung zum Führer und zum Nationalsozialismus, auf die unsere Schule ausgerichtet ist. – Beim Besuch des Führers in Gladbeck 1931 nahmen am Aufmarsch vor dem Führer schon der Direktor (Wiedenhöfer; Anm. d. Red.) mit Lehrern und Schülern teil. Anschließend wurde der nationalsozialistische Schülerbund gegründet. Beim Umbruch fügte sich das Dorstener Gymnasium sofort dem Nationalsozialismus ein. Beim Aufbau der Hitler-Jugend in Dorsten und in den Orten der Umgebung haben die Schüler der Prima in ihrer ungeheuren Begeisterung für den Führer noch eine gewaltige Arbeit neben ihrer Schularbeit geleistet. (…) Der Prozentsatz der Schülerbeteiligung in der HJ, die damals noch freiwillig war, war einer der höchsten im Lande. Die Führer in HJ und DJ wurden und werden überwiegend unserer Schule entnommen, und mit Stolz dürfen wir sagen, dass sie sich bewährt haben. Jahrelang saßen die Unterbannführer im DJ des westlichen Kreises in unserer Sekunda und Prima. Das Einvernehmen zwischen Schule und HJ war von Anfang an bis heute ausgezeichnet.«
Hinwendung zum Führer gefordert
Ende 1945 wurde Georg Feil auf Grund seines Fragebogens zur Entnazifizierung vom Schuldienst suspendiert. Vorausgegangen war die Anzeige eines Kollegen beim Provinzial-Schulkollegium, der Feil vorwarf, für das »Hitlertum« eingetreten zu sein. Rehabilitierungsbemühungen Feils wurden von P. Raymundus Dreiling OFM unterstützt, der sich auf M. Petra Brüning von den Ursulinen, Robert Spaemann und andere Geistlichen berief. Wie solche »Gut-Schriften« jener Zeit zu würdigen sind, mag dahin gestellt bleiben. Denn gerade Kirchen, Pfarrer und Klosterobere schrieben auch in Dorsten vielfältig »Persilscheine« für erklärte Nationalsozialisten, ob NS-Bürgermeister, Ortsgruppenleiter oder Ortsbauernführer, die zwölf Jahre lang ihren Teil dazu beigetragen hatten, das NS-Regime an der Macht zu halten.
Dr. Georg Feil blieb bis 1948 de jure im Amt, danach wurde ein Nachfolger gewählt. Feil fand eine Anstellung in Marl-Hüls, dann am Gymnasium Paulinum in Münster, wurde 1952 pensioniert, befasste sich danach mit der Geschichte seiner Heimatgemeinde Meckenheim, die ihm 1960 die Ehrenbürgerschaft verlieh. Er starb 1969 in Münster. Er hinterließ neben seiner Frau, die 1992 starb, sechs Kinder.
Nazi-Sprüche nur, um die Schule zu retten?
Als der durch Zitate belegte Bericht über Dr. Feil 1985 in „Dorsten unterm Hakenkreuz« erschienen war, regten sich in der Dorstener Lehrer- und ehemaligen Schülerschaft Stimmen wie »Da stimmt was nicht«, »der hat nicht stramm gegrüßt. Aber die Reden, ja, die hat er gehalten«, habe aber als Katholik »nur so geredet«, um das humanistische Gymnasium vor der Umwandlung in eine neumodische Oberschule zu retten. Dazu die Autorin in einer veröffentlichten Stellungnahme in »Dorsten unterm Hakenkreuz«, Bd. 4:
»Und doch darf und muss gefragt werden: Sind alle die Sätze, die wir zitierten, nur opportunistisch gemeint im Dienst des Gymnasiums und seiner großen geistigen Tradition, um deren Erhaltung es ging? Heiligt der Zweck die Mittel? Die Sätze, so wurde gesagt, seien aus dem Zusammenhang gerissen. Wir haben den Zusammenhang geprüft: Die Sätze ändern sich dadurch nicht. Nach dem Krieg wurde der Schulleiter aus dem Amt entfernt. Da scheint Verleumdung im Spiel gewesen zu sein, denn wenn wir vergleichen, wer bleiben durfte, während er gehen musste, dann scheinen uns die Gewichte des Rechts bedenklich verschoben.
Wir haben von der Subjektivität der Informanten gesprochen. Es gibt natürlich auch die Subjektivität der Berichterstatter. In das Gehörte und Erlebte mischt sich unbewusst das eigene Urteil ein. Alle geschichtliche Überlieferung kommt so zustande. Jeder Chronist hat seine persönliche Perspektive. Wer aber diese Subjektivität als „Arroganz der Nachgeborenen“ abtun möchte, der irrt sich. Die Zeitzeugen sind nicht nur befragt worden, sie schreiben hier auch selbst. Sie schreiben als Betroffene, als Leidtragende, aber auch als Mitläufer und Aktivisten, die sie waren. Sie bilden ein ständiges Korrektiv in der Gruppe der Jüngeren, die als unmittelbare Nachkommen der braunen Generation, als deren Söhne und Töchter ein Recht haben, zu fragen und Antwort zu erhalten. Wo sie keine Antwort bekommen, weil die Betroffenen – welcher Art auch immer – nicht reden wollen, versuchen sie die Antwort selbst. Und die ist dann – notgedrungen – selber eine Antwort der Betroffenheit. «
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