Hermann Bogdal ist in Dorsten in bester Erinnerung – Als Kommunist in der NS-Zeit wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, nach 1945 Strafverfahren u. a. wegen Verteilen von Handzetteln

Hermann Bogdal (r.) am Lagerfriedhof Borckhorst in den 1980er-Jahren

Von Wolf Stegemann

Mit Dorsten verbanden ihn viele Freunde und politisch Gleichgesinnte. Darunter vor allem Bogdals politischer Weggefährte Edmund Labendz (Jahrgang 1931), der in den 1950er-Jahren wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD im Zuchthaus saß. Hermann Bogdal wurde ebenfalls in den 1950er- und 60er-Jahren bestraft bzw. angeklagt, allerdings mit Einstellung der Verfahren endete. Mit Dorsten verband Bogdal auch eine wochenlange Recherche im Stadtarchiv, die ihren Niederschlag vor allem in seinen beiden 1984 erschienenen Bänden „Rote Fahnen im Vest“ gefunden haben. Darin beschreibt er die Geschichte in den revolutionären Novembertagen 1918 im Kreis Recklinghausen und die Niederschlagung des Kapp-Putsches. Vor allem die historischen Dorstener Begebenheiten jener Zeit hat Hermann Bogdal in diesen beiden Büchern geschildert. Daher ist er auch immer wieder zu Lesungen und Diskussionen nach Dorsten eingeladen worden. Auf Einladung des Schulleiters Wolfgang Triptrap referiert er zur 40. Wiederkehr des Kriegsendes am 8. Mai 1985 in der Gesamtschule Wulfen. Zudem war Bogdal bei vielen ähnlichen Veranstaltungen in Dorsten anwesend, so dass mit der Zeit auch in Dorsten ein breitgefächerter Kreis von Gleichgesinnten, Freunden und Gesprächspartnern der Nachkriegsgeneration entstand. Darunter der bereits erwähnte Edmund Labendz, dann Karl Möhring und Uli Hengemühle. Auch Dirk Hartwich hat sich mit ihm politisch ausgetauscht und sein Leben, seine feste Haltung und sein Engagement stets gewürdigt. Auch die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ hatte Kontakte zu Bogdal. Die „Ruhr-Nachrichten“ schrieben 1983: „’Rote Fahnen im Vest’ ist der Versuch, Geschichte von unten aus eindeutig politischer Sicht zu schreiben. Deshalb ist es ein beeindruckendes Buch, und trotz der eingeschränkten politischen Sicht ein notwendiges Buch.“

Er wies andere Jung-Bergarbeiter auf die Kriegsgefahr hin

Hermann Bogdal wurde im November 1909 als sechstes von neun Kindern einer Bergarbeiterfamilie in Scherlebeck im Ruhrgebiet geboren. Seine Familie hat polnische Wurzeln. Sein Großvater floh kaum 20-jährig vor russischer Bedrohung von Polen nach Schlesien, stets in Angst, von den Deutschen an Polen ausgeliefert zu werden. Über Österreich kam dann sein Vater in den Kreis Recklinghausen, wo er als Bergmann Arbeit fand und 1898 heiratete. Hermann Bogdal wurde 1916 schulpflichtig, besuchte die katholische Realschule. Für seine geistige und politische Entwicklung war das Jahr 1923 und die Jahre danach maßgebend. Die Familie stürzte in große wirtschaftliche Not. „Meine Bekleidung, mit der ich zur Schule gehen musste, war reichlich zerschlissen und mit Flicken übersät. Der Rektor nannte mich vor der ganzen Klasse ein zerlumptes Bürschchen“ (in „…dann werden wir künden, wie wir einst lebten“). In Oberhausen und anderen Städten gab es „Hungerkrawalle“ und Arbeiterfamilien fielen immer mehr in soziales und existentielles Elend. Ihre Hilferufe wurden von den Behörden oft als „Ausschreitungen“ bezeichnet. Das war dann auch die Zeit, in der sich seine katholischen Eltern immer mehr von der Kirche abwandten, nicht aber vom Glauben. Hermann Bogdal wurde in dieser Zeit immer nachdenklicher über das, was um ihn herum und mit ihm geschah. Seine politische Blickrichtung in den Osten, hin zum Kommunismus, wurde stärker und klarer. 1925 trat er dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Damit trat für ihn, wie er schreibt, eine bemerkenswerte Veränderung in seinem politischen Leben ein. Er war Bergmann auf der Zeche Diergardt in Duisburg-Neuenkamp und die in Gruppen zusammengefassten kommunistisch orientierten Jung-Bergarbeiter machten andere junge Bergarbeiter auf die „Gefährdung ihrer demokratischen Rechte und die wachsende Gefahr eines Krieges“ aufmerksam. Dann reiste er als Delegierter der „Roten Betriebsräte“ der Ruhrgebietszechen zu einem internationalen Gewerkschaftskongress nach Moskau. Hermann Bogdal wurde endgültig gefestigter Kommunist im aufziehenden faschistischen Regime der Nationalsozialisten.

1937 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vier Jahre Zuchthaus

Hermann Bogdal erlebte die staatliche Machtübernahme der Nationalsozialisten in verschiedenen Duisburger Bergarbeiterorten. Neugierige standen am Straßenrand, um den johlenden und singenden SS- und SA-Trupps zuzuwinken, doch die Masse der Bewohner blieb fern, ihre Fenster hielten sie verschlossen. Bogdal erlebte, wie Genossen verhaftet und  in das Konzentrationslager Börgermoor gebracht wurden. Im Herbst 1933 erhielt der 24-jährige Hermann Bogdal mit anderen jungen Arbeitslosen aus dem Raum Duisburg-Hamborn eine Einberufung zum „Freiwilligen Arbeitsdienst“ nach Ostpreußen. Nach sechs Monaten kehrte er nach Duisburg zurück, fand eine Unterkunft im Zentrum der Stadt, wo er illegal in der mittlerweile verbotenen KPD seine Tätigkeit fortsetzte, indem er u. a. im Untergrund hergestellte kommunistische Zeitungen und Handzettel verteilte. Daher wurde Hermann Bogdal am 6. Januar 1936 von der Gestapo verhaftet. Ihm und 42 anderen jungen Antifaschisten wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vom Oberlandesgericht Hamm der Prozess gemacht und Bogdal am 20. Juli 1937 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Er verbüßte die Strafe bis 1940 im Emslandlager Aschendorfermoor II.

1944 Schanzarbeiten im Bewährungsbataillon im Elsass

Militäramtliches Foto 1944

Seine Eltern hatten sich inzwischen in Recklinghausen niedergelassen. Dorthin kehrte er nach Verbüßung der Strafe 1940 zurück. Hermann Bogdal musste sich sofort bei der Gestapo in Recklinghausen melden. Durch Vermittlung seines Bruders bekam er eine Anstellung in einem Sägewerk, in dem im Laufe des Krieges auch Kriegsgefangene und Zwangsdeportierte arbeiten mussten. Immer wieder versuchte Hermann Bogdal, sich mit einstigen KPD-Genossen in Verbindung zu setzen, was der Gestapo unentdeckt blieb. Im August 1944 erhielt er einen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht. Bogdal wurde mit dem „Bewährungsbataillon 999 Gruppe Baumholder“ zu Schanzarbeiten ins Elsässische verbracht, wo er den aus Dorsten stammenden Kommunisten Max Hodler traf, mit dem Bogdal eine persönliche Freundschaft schloss. Bogdal geriet in amerikanische Gefangenschaft und wurde in das Lager Le Mans in Nordfrankreich geschickt. Im September 1945 kehrte er nach Recklinghausen zurück.

Die Stadt Recklinghausen war ihm politisch fremd

KPD-Genossen, die überlebt hatten, fanden sich wieder zusammen, darunter auch Hermann Bogdal. 1946 wurde in Herten die KPD für den Stadt- und Landkreis Recklinghausen neu gegründet. Allerdings war es keine wirkliche Neugründung, sondern eine organisierte Zusammenfassung der durch den Nationalsozialismus zerschlagenen Organisation. Bogdal übernahm hauptamtlich Aufgaben in dem neu gegründeten „Bezirk Ruhr“ der KPD. Ehrenamtlich tätig war er auch in verschiedenen antifaschistischen Gruppierungen wie in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), in der Deutschen Friedensunion (DFU) und im „Moorsoldatenkomitee“, der Lagergemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge im Emsland. Er half auch beim Aufbau des Dokumentations- und Informationszentrums über das Moor-KZ in Papenburg. Unermüdlich trat er als Zeitzeuge in Schulklassen mit Vorträgen und Diskussionsrunde auf,  darunter auch solche in Dorsten. Hermann Bogdal handelte nach dem von „Moorsoldaten“ gesungenen Lied: „Der Freiheit entgegen, es kommt die neue Zeit, dann findet die Fahne uns wieder bereit!“ Bogdal wurde zudem Korrespondent und später Redakteur der Zeitung „Neues Deutschland“ und durfte in der englischen Besatzungszone als Journalist arbeiten. 1947 heiratete Hermann Bogdal Anneliese Klapproth, die 1925 in Bad Sachsa (Südharz) geboren wurde und in Gelsenkirchen aufgewachsen war.

Strafbefehl wegen Verteilung von Handzetteln 1951 aufgehoben

Seine politische Verfolgung wegen seiner kommunistischen Parteitätigkeit endete auch in der Bundesrepublik nicht. Am 27. Juli 1951 verteilte Hermann Bogdal am Zechentor in Waltrop Abstimmzettel an Bergleute, ob sie für oder gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik seien. Die Staatsanwaltschaft Recklinghausen sah darin eine Straftat. Im Strafbefehl vom 29. September 1951 steht (Auszug): „Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie (…) durch (…) Befragung der Bergleute die Bergleute zum Ungehorsam gegen Gesetze und rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb der Zuständigkeit getroffenen Anordnungen aufgefordert zu haben…“ Bogdal sollte 50 DM Geldstrafe zahlen oder zehn Tage im Gefängnis sitzen. Dagegen legte er Widerspruch ein. Das Amtsgericht Recklinghausen verschob die mündliche Verhandlung auf die Zeit nach 1954, denn es war bekannt, dass dieses Gesetz entschärft werden sollte. Daher erging erst 1954 der richterliche Beschluss, das Verfahren von 1951 nach dem neuen Straffreiheitsgesetz einzustellen (Gs 1261/1261/51).

Beschlagnahmeliste der Hausdurchsuchung durch die Staatsanwaltschaft 1963

1964 wegen Handzettelverteilung angeklagt, 1971 Verfahren eingestellt

In den 1960er-Jahren erfolgte eine weitere strafrechtliche Ermittlung gegen Hermann Bogdal „wegen Aufruhr und anderer Straftaten“, weil er (und andere) an einer Gegendemonstration gegen eine NPD-Kundgebung an der Recklinghäuser Vestlandhalle teilgenommen hatte. Dabei wurde seine Wohnung in Oer-Erkenschwick polizeilich durchsucht. Aus der Anklageschrift: „In strafrechtlicher und kriminalpolizeilicher Hinsicht ist er wiederholt in Erscheinung getreten…“ Dabei wurde von der Staatsanwaltschaft auch sein Widerstand von 1937 gegen die nationalsozialistische Diktatur (Verteilung von Flugblättern) noch 1964, also in der demokratischen Bundesrepublik, als „Verbrechen der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens … mit Verurteilung von vier Jahren Zuchthaus“ als Vorstrafe zitiert, was die Staatsanwaltschaft als negativ bezeichnete. Doch die Richter des Amtsgerichts Recklinghausen stellten 1971 das Verfahren ein (52 Js 5254/63, 25 Gs 1829/63, 33 Gs 479/70).

Seine gedruckten Lebenserinnerungen

Hermann Bogdal war bereits 90 Jahre alt, als er seine Lebenserinnerungen auf Band sprach. Daraus entstand das 2003 herausgegebene Buch „…dann werden wir künden, wie wir einst gelebt“.  Diese Lebenserinnerungen lassen mehr als ein ganzes Jahrhundert Revue passieren, schreibt Kurt Buck im Vorwort. Hermann Bogdal ist überzeugter Kommunist geblieben. Dabei war er immer kritisch und offen gegen Fehlentwicklungen in seiner Partei oder Gruppierung, wenn sie seiner Überzeugung widersprachen. Die Titelseite des Buches (Foto links)  zeigt eine Kohlezeichnung „Moorsoldaten“ der Dorstener Ursuline und Künstlerin Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula), welche diese Zeichnung Hermann Bogdal 1989 zu dessen 80. Geburtstag geschenkt hatte. – Hermann Bogdal starb 2004, ein Jahr nach Erscheinen seiner Lebenserinnerungen.

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Quellen: H. Bogdal: „Rote Fahnen im Vest“, Band I und II Klartext-Verlag Essen 1983/84. – Gespräch Wolf Stegemann (Ruhr-Nachrichten) mit und Artikel über H. Bogdal 1983. – Hermann Bogdal: „Was ist wichtig?“, Edition Temmen, Bremen 1997. – H. Bogdal: „…dann werden wir künden, wie wir einst gelebt“, Books in Demand, Norderstedt 2004. – Auskunft des Sohnes, Prof. Dr. Klaus-Werner Bogdal, Bielefeld 2018. – Auskunft von Dirk Hartwig, Dorsten 2018. – Auskunft von Edmund Labendz, Dorsten 2018. – Landesarchiv NRW Abt. Westfalen Q 211a, Nr. 9204. – Bundesarchiv Oberreichsanwalt beim VGH Aktz. 9J1148/35.
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