Von Hiltrud Landua
Eine begründete Vorbemerkung zu diesem Kapitel sei gestattet: Schon früh fanden Zeit- und Parteigeschichtsforscher Interesse an der Politik der Sozialdemokratischen Partei des Nachkriegsdeutschlands und insbesondere an der Rolle des Vorsitzenden Kurt Schumacher. Dagegen wurde die Geschichte der SPD nach 1945 in den Bundesländern und Parteibezirken nur ansatzweise erforscht, auf regionaler und lokaler Ebene bis Mitte der 1980er-Jahre stark vernachlässigt.
Spuren der Nachkriegs-KPD in Dorsten sind kaum vorhanden. Es gibt nur noch wenige Beteiligte, die die Geschichte der KPD-Gründung aus dem engen Sichtbereich des eigenen Miterlebens her kennen. Erinnerungen mit all ihren Vorbehalten sind das Einzige, das wiedergegeben werden kann. Die Geschichte der KPD ist bis heute ein Tabu-Thema. 1956 als verfassungsfeindlich verboten, wurden Parteiunterlagen beschlagnahmt oder vernichtet; etliche Mitglieder sagten sich los, andere gingen wieder einmal in die Illegalität oder wurden mit Zuchthaus oder Gefängnisstrafen verurteilt. Darunter der Dorstener Edmund Labendz, der später der SPD angehörte und heute Mitglied der Linken ist.
SPD versuchte den Anschluss an die Zeit von vor 1933
Über die Mitgliederrekrutierung, innerparteiliche Willensbildungsprozesse, Programmdiskussionen der SPD- und KPD-Ortsgruppen nach dem Kriege und über ihre Beiträge zum Aufbau des politischen Systems ist wenig bekannt, sieht man von den Sitzungsprotokollen der Beiräte und der Stadt- und Amtsvertretung ab, in denen sowieso nur dürftige Anhaltspunkte zur Aufbaugeschichte der Stadt herauszulesen sind, nicht aber parteipolitische Ziele und Stellungnahmen, die über tagespolitische Aktualität hinausgehen.
1945 versuchten die Sozialdemokraten an ihre Organisationsformen und an die Entwicklung anzuknüpfen, die 1933 gewaltsam unterbrochen worden waren. Karl Teppe kommt in seinem Aufsatz über die SPD-Wiederbegründung, erschienen in „Geschichte von Westfalen“, zu dem Schluss, dass der Aderlass durch Verfolgung, Inhaftierung und Emigration in den Reihen der Sozialdemokratie erheblich gewesen war, allerdings doch nicht so einschneidend, dass darunter der Wiederaufbau der Partei und die vergleichsweise rasche Rekrutierung in den zahlreichen Orts- und Stadtverbänden in Frage gestellt gewesen wäre. Führungsmitglieder waren fast durchweg die von vor 1933.
KPD litt stark unter der Verfolgung durch das NS-Regime
In Dorsten hat sich die SPD mit drei arbeitsfähigen Ortsvereinen schnell stabilisiert. Am 1. Juli 1945 wurde der Ortsverein Hervest-Dorsten, am 15. Juli der Ortsverein Dorsten wieder begründet, wenn auch zu dem Zeitpunkt noch „illegal“. Unverzüglich wurde auch ein provisorischer Stadtverband mit Gustav Emmrich aus Holsterhausen an der Spitze ins Leben gerufen. Die KPD hat wie kaum eine andere Partei unter den Verfolgungen des NS-Regimes gelitten. Noch vor Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde vom 8. Mai 1945 bildeten sich in zahlreichen Städten sofort wieder Organisationskomitees der kommunistischen Partei. Sie wurden Anlauf- und Sammelstellen ehemaliger Funktionäre, die in den ersten Stunden eine außerordentliche Betriebsamkeit entfalteten. Bereits am 8. Mai 1945 wählten die Vertreter der Städte Essen, Oberhausen, Dortmund, Hamm, Gelsenkirchen und Recklinghausen das Sekretariat der Bezirksleitung „Ruhrgebiet“ und beauftragten Adolf Prinz mit der politischen Leitung, Walter Jarreck mit der Organisation und Josef Ledwohn mit der Agitation und Propaganda. Der Aufbau der KPD vollzog sich in der Illegalität, da zu diesem Zeitpunkt noch jegliche politische Arbeit verboten war. Auf diese Weise verschaffte sich die KPD einen politischen Vorsprung vor den anderen Parteien.
Eine Fusion von SPD und KPD scheiterte
Nach einer kurzen Zeit erheblichen Mitgliederzulaufs und großer Erfolge bei Gewerkschafts- und Betriebsratswahlen, vor allem im Bergbau, stagnierte und verfiel der Mitgliederbestand, weil sich die KPD-Komitees nach wenigen Monaten einer freien, ungebundenen Zeit an die politische Leine des Zentralkomitees (ZK) in Ost-Berlin bzw. von Moskau legten. Eine Fusionsanstrebung der KPD mit der SPD nach dem ostzonalen Vorbild, wo sich KPD mit SPD unter dem Führungsanspruch der Kommunisten zur SED vereinigten, scheiterte an der SPD und an dem Einspruch der britischen Militärregierung. Die politische Großwetterlage machte die anfänglich gut funktionierende punktuelle Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten mehr und mehr unglaubwürdig und schließlich gar unmöglich. Am 20. April 1947 vermochte bei den Landtagswahlen die KPD im Regierungsbezirk Münster noch 14 Prozent der Stimmen zu holen, drei Jahre später erreichte die Partei nur noch einen Landesdurchschnitt von 5,5 Prozent. Damit stand die Partei am Rande der parlamentarischen Existenz, deren Ende besiegelt war, als die KPD bei den Wahlen vom 27. Juni 1954 mit 3,8 Prozent den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag verfehlte.
Gemeinsamer Kampf für die Sicherung der Ernährung
Im Jahre 1945 ergaben sich für Sozialdemokraten und Kommunisten in Dorsten vielfältige Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit in tagespolitischen und grundlegend gesellschaftspolitischen Fragen. KPD und SPD kämpften gemeinsam für die Sicherung der Ernährung und anderer wichtiger Lebensbedürfnisse der Not leidenden Dorstener. Auch beim Aufbau der Betriebsgewerkschaft und in den Betriebsräten arbeiteten SPD und KPD eng zusammen. In einem Haus an der Halterner Straße fanden die gemeinsamen Besprechungen zwischen SPD und KPD statt.
Wortführer waren bei der SPD Alex Kostulski und bei der KPD Gustav Labendz, der Vater von Edmund Labendz. Beide waren fest davon überzeugt, so erinnert sich Edmund Labendz, dass die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung nur gemeinsam überwunden werden könne und dass die Fehler der Jahre 1918 bis 1920 und 1933 nicht wiederholt werden dürften. Bereits in Konzentrationslagern beschworen Sozialdemokraten und Kommunisten politische Gemeinsamkeiten für eine neue Demokratie nach der Befreiung. Der Dorstener Kommunist Gustav Ossa besprach diese Gemeinsamkeiten mit dem Sohn des ersten deutschen Reichspräsidenten, Friedrich Ebert, im KZ Papenburg (Moorland), wo beide einsaßen. Friedrich Ebert (SPD, dann SED) wurde nach dem Krieg Bürgermeister von Ost-Berlin; Gustav Ossa, Mitglied der Amtsvertretung Hervest-Dorsten, besuchte ihn dort des Öfteren.
Unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner in Dorsten am 29. März 1945 haben sich in Holsterhausen und Hervest-Dorsten Kommunisten zu ersten Besprechungen unter Führung von Gustav Ossa zusammengefunden, der vor 1933 Vorsitzender der KPD in Dorsten gewesen war. Nach ihrer offiziellen Zulassung am 15. September 1945 entwickelte sich die Dorstener KPD schnell zu einer mitgliederstarken Partei. Traditionsgemäß war sie am stärksten in Holsterhausen und Hervest-Dorsten. Nach Schätzungen von damals Beteiligten gehörten ihr im Jahre 1946 etwa 500 eingeschriebene Mitglieder an.
KPD- und SPD-Amtsinhaber mussten den „rein gewaschenen“ Nazis weichen
Sozialdemokraten und Kommunisten waren die Männer der ersten „Stunde nach Null“. Die amerikanischen Besatzungsbehörden griffen bei der Neuordnung auf diese faschistisch unbelasteten Männer zurück, mehr noch, die Amerikaner waren auf sie angewiesen. Allerdings stellte sich bald heraus, dass vielen von ihnen Erfahrung bei der Bewältigung von Verwaltungs- und Ordnungsaufgaben fehlte. Noch 1945 wurden die meisten Sozialdemokraten und Kommunisten spätestens von der englischen Militärverwaltung aus dem Dienst wieder entlassen. Mitarbeiter der früheren NS-Behörden kehrten – „rein gewaschen“ durch die Entnazifizierung – an ihre Schreibtische zurück.
In Hervest-Dorsten machten die Amerikaner den von den Nationalsozialisten verfolgten Kommunisten Gustav Ossa zum Bürgermeister, Robert Bernhard zum Polizeichef und Johannes Nuschler zum Kripochef. In Holsterhausen wurde Kaplan Bernhard van Heiden Bürgermeister, Otto Budzus (KPD) Polizeichef und Josef Schröter (KPD) Kripochef. An der Spitze der Polizei in Dorsten-Altstadt stand der Sozialdemokrat Jan ten Bulte. Zudem wurden als Hilfspolizisten zuerst ausschließlich Sozialdemokraten und Kommunisten eingesetzt.
Ungerechte Einteilung der Wahlbezirke zugunsten der CDU
Bei den ersten Gemeindewahlen, die Major Dunsmore bzw. Gadd von der Militärregierung auf den 15. September 1946 legte, bekamen in Dorsten Sozialdemokraten wie Kommunisten jeweils zwei Sitze (je 9,5 Prozent der Mandate), während die CDU 17 Sitze (81 Prozent der Mandate) erhielt. Diese damalige Sitzverteilung mag angesichts des tatsächlichen Stimmenverhältnisses stutzig machen: Für die CDU stimmten 53,8, für die SPD 23,9 und für die KPD 20,1 Prozent. Das von den Briten verordnete Wahlsystem, die Einteilung in Wahlbezirke, benachteiligte die Parteien der Arbeiterbewegung in Holsterhausen und Hervest-Dorsten. Den traditionellen Hochburgen der SPD und KPD wurden Stimmbezirke mit hohen CDU-Wähleranteilen angegliedert, so dass das Sitzverteilungsergebnis am Ende nicht mit der tatsächlichen Stimmabgabe im Einklang stand.
Während sich die Sozialdemokraten in die westlich orientierte Demokratie und Gesellschaftsform einbanden, verlor die KPD. die in diesem politischen Verhalten der SPD Verrat an der in Notzeiten gemeinsam beschworenen Sache sahen, im Zuge der westlich-demokratischen Willensbildung durch ihre starre ideologische Anbindung an Ost-Berlin und Moskau an Einfluss und wurde von den sich heranbildenden politischen Kräften in den anderen Parteien immer mehr zurückgedrängt, bis die KPD 1956 als verfassungsfeindlich verboten und aufgelöst wurde.
Die KPD enttäuschte
Die organisatorisch starke KPD hat es nach 1945 nicht vermocht, die ihr anfangs zuströmenden Menschen zu halten, die in dieser Partei einen Hoffnungsträger für ein neues und freiheitliches Deutschland sahen. Immerhin hatte die Partei am 1. März 1946 im Bezirk Ruhrgebiet-Westfalen schon über 24.000 Mitglieder, und Ende des Jahres waren es 50.500, ein Jahr später 67.000. Dieser Mitgliederstand verringerte sich in den folgenden Jahren schnell. Während sich die SPD gerade den jungen Menschen als politische Heimat erfolgreich anbot, kehrten diese der KPD immer mehr enttäuscht den Rücken.
Freie Deutsche Jugend: 60 gingen in die Illegalität
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war in der DDR die einzig erlaubte Jugendorganisation, gegründet am 7. März 1946 aus den seit Juni 1945 errichteten „antifaschistischen Jugendausschüssen“ Sie erfasste die Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr und erzog sie im Sinne der SED. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die FDJ im Juni 1951 als verfassungsfeindliche Organisation verboten. Zuletzt hatte sie etwa 35.000 Mitglieder. Dieses Verbot wurde 1954 durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. In Dorsten wurde die FDJ 1946 durch die Brüder Ehrenfried und Edmund Labendz gegründet. Wie Edmund Labendz mitteilte, war diese kommunistische Jugendorganisation mit 200 eingeschriebenen Mitgliedern die stärkste Jugendgruppe in Dorsten. Nach dem Verbot im Jahre 1951 gingen etliche Mitglieder in die Illegalität. 20 Jungbergleute, die auf der Zeche Fürst Leopold arbeiteten, wurden wegen ihrer Mitgliedschaft in der FDJ fristlos entlassen. In der Nacht zum 16. Juli 1951, wenige Wochen nach dem Verbot der FDJ, hissten unbekannt gebliebene Personen auf dem Dachstuhl der neu erbauten Franziskanerkirche eine FDJ-Fahne. Dazu die Ruhr-Nachrichten vom 17. Juli 1951:
„Eine Polizeistreife, die frühmorgens durch die Lippestraße kam, entdeckte die Fahne und entfernte sie. Die etwa drei Quadratmeter große Fahne, die aus blauem Tuch mit einem gelben FDJ-Schild besteht, wurde eingezogen.“
Als sich die FDJ 1954 auch in der Illegalität auflöste, bestand die Dorstener Gruppe noch aus 60 Mitgliedern. Ihre Gründer wurden 1954 in Dortmund wegen verfassungsfeindlicher Tätigkeit vor Gericht gestellt.