Von Wolf Stegemann
»Der Gronover, nein, das war kein echter Nazi.« So oder ähnlich gaben etliche Dorstener ihre Erinnerung wieder, wenn sie sich an ihren von der Partei eingesetzten Bürgermeister während der NS-Zeit erinnern. Sein Vorgänger, Dr. Franz Lürken, wurde 1933 von den Nazis mit konstruierten Vorwürfen aus dem Amt gehebelt Dafür kam aus St. Mauritz der Grevener Dr. Josef Gronover, ein deutschnationaler Zentrumsmann, über den auch anders gedacht wurde, als eingangs zitiert: »Wenn der kein Nazi war, wer dann?« Diese Frage zeigt das Dilemma einer gerechten Beurteilung des doppeldeutigen Verhaltens vieler ehemaliger Parteigenossen. Nach dem Krieg wollte keiner von denen, die sich in der NS-Zeit zum Nationalsozialismus und zum Führer, zu den Maßnahmen des Regimes, zum Krieg bekannt haben, Nazi gewesen sein. Und doch waren es Leute wie Dr. Gronover, die das NS-System vor Ort zu installieren halfen.
Er gab an, dem NS-Regime gedient zu haben, um ihm zu schaden
Nach 1945 rechtfertigte sich Gronover mit der Einlassung, nie wirklich Nationalsozialist gewesen zu sein; lediglich nach außen hin hätte er sich als ein solcher ausgegeben. Mehr noch. Er will zwölf Jahre lang in der braunen Uniform der SA ein »Spion« in eigener Sache gegen die Nazis gewesen sein. Allein von diesem »edlen« Motiv sei er 1933 bewegt gewesen, dem Regime zu dienen, in die SA und in neun andere NS-Gliederungen einzutreten sowie 1937 in die NSDAP.
Nach 1945 wollte er wieder Bürgermeister von Dorsten werden
Gronover, katholisch, wurde am 18. Mai 1880 in Greven geboren, besuchte das Gymnasium in Reine, wurde im Ersten Wellkrieg Frontkämpfer, Leutnant, und mit dem Eisernen Kreuz der Klassen I und II ausgezeichnet sowie 1918 mit dem Frontkämpferkreuz. Danach arbeitete er als Gerichtsreferendar. Als er Deutschland durch die Spartakisten und die Rote Armee 1919/20 bedroht sah, schloss er sich den Freikorps Lichtschlag/Loewenfeld als Verbindungsoffizier zur »Akademischen Wehr« an. Danach war er bis 1932 Syndikus beim Westfälischen Bauernverein, wurde Bürgermeister in St. Mauritz (Münster) und 1933 Stadt- und Amtsbürgermeister in Dorsten. Seine Dienstgeschäfte versah er bis 1944, dann wurde er krank. Kurz vor der Bombardierung verließ er mit seiner Familie Dorsten in Richtung Münster-Wolbeck, wo die Familie seiner Frau ein Gut hatte. Seine Tochter Ursula erinnert sich: »Es ging alles Hals über Kopf.« Als alles vorbei war, kam Gronover wieder. Als Berufsbeamter stellte er nach dem Krieg bei der Stadt Dorsten den Antrag auf Wiederverwendung. Anstatt eines Amtes bekam er 1946 die Pensionierung. Seine Tochter erzählt, dass ihr Vater darüber verbittert seinen Lebensabend mit dem Schreiben von Gedichten verbrachte. Gronover starb 1963.
Lügenhafte Entlastungszeugnisse für den NS-Bürgermeister
Dabei hatte er zur Verbitterung kaum Anlass. Auch er bekam ein dickes Paket »Persilscheine« mit auf den Weg in die Entnazifizierung. Pfarrer Westhoff: »Überzeugter Katholik und Nazigegner«; Verleger Weber: »Erretter der Heimat 1919/20«; Wilhelm Norres (CDU): »Er war niemals Verfechter oder Anhänger der damaligen politischen Ideen«; M. Petra Brüning (Ursuline): »Antinationalsozialistische Einstellung«; Prof. Maas: »Dem christlichen Geiste seines bäuerlichen Elternhauses während der Hitlerherrschaft die Treue gehalten«; Hausangestellte Maria Große-Büning: »Machte sich lustig über die Partei«; Franziskanerpater Dr. Raymund Dreiling: »Der vielbemerkte maßvolle Charakter der Dorstener Partei (ist) auch auf den stets mäßigenden Einfluss von Herrn Dr. Gronover zurückzuführen.« Gerade die letzte Bemerkung entlarvt das Lügengebäude solcher Aussagen.
Selbstgeschriebene Liste seiner guten Taten
Gronover selbst, der zwölf Jahre lang bei jeder Feier und jedem Fest seine Mitbürger auf die nationalsozialistische Idee des Führers einschwor (nachzulesen in den Zeitungsbänden ab 1933), stellte für sich u. a. folgende Verdienste heraus: Erfolgreicher Widerstand gegen den Antrag der NSDAP, dem Reichsleiter und Oldenburgischen Staatsminister a. D. Spangemacher das Ehrenbürgerrecht der Stadt Dorsten zu verleihen (1934); Vereitelung des Partei-Vorhabens, das Gymnasium als Stabsgebäude für die österreichische SA einzurichten (1935); Ablehnung des Ansinnens der SS-Reichsführung, Dorsten zum SS-Standort zu machen (1937); erfolgreicher Widerspruch bei der NSDAP-Gauleitung gegen die Berufung »eines geistig defekten Alten Kämpfers« zum Bürgermeister-Stellvertreter (1938); erfolgreicher Kampf für die Erhaltung des Ursulinenklosters nebst Lyzeum und des Franziskanerklosters (1933-1944); erfolgreiche Weigerung, an Neuvermählte Hitlers »Mein Kampf« zu verschenken (1933-1944). Von seinem Beitritt in die Reiter-SA im Jahre 1933 will Dr. Gronover nichts gewusst haben. Seinen Eintritt in die NSDAP begründete er so:
»Ich hielt es für ehrenhaft und glaubte, meinem Volk besser zu dienen, wenn ich getarnt die schädigenden Absichten der Partei von meinem Verwaltungsbezirk abwehrte, als wenn ich untätig das Ruhegeld vom Nazistaat bezog. … Ich nehme für mich in Anspruch, an der vorzeitigen Ausschaltung maßgeblicher Nazi-Vertreter in meinem Verwaltungsbezirk führend beteiligt gewesen zu sein, die nationalsozialistische Bewegung in meinem Amt sichtbar gehemmt, durch den Einsatz der eigenen Person größeres Übel abgewendet zu haben.«
Schließlich wurde Gronover als „entlastet“ eingestuft
Die Mitglieder des Entnazifizierungsausschusses Recklinghausen-Land waren nach eigenen Erkundungen innerhalb des Amtes Hervest-Dorsten dennoch der Ansicht, dass Gronover als »aktiver Kämpfer bei der Niederringung der Demokratie« mitgewirkt habe. Am 31. Juli 1947 erhielt Gronover den Einreihungsbescheid (28290/MUN/LK/MU/ AD/223) in die Kategorie IV (Mitläufer). Sieben Ausschussmitglieder stimmten für die Gruppe IV, zwei für die Gruppe III und zwei für die Kategorie V. Gegen diese Entscheidung legte Ex-Amtsbürgermeister Gronover am 25. August 1947 Berufung beim Berufungsausschuss in Telgte ein. In der Einreihung als Mitläufer sah der NS-Bürgermeister »eine Diffamierung und einen Makel«, der seiner »Betätigung als Mensch und Beamter während des Naziregimes stets zu Unrecht anhaften würde«. In dem Schreiben setzt er sich mit der Bezeichnung »Mitläufer« auseinander. »Mitläufer«, so Gronover, »könne nur der sein, der mit Wissen und Willen die Tätigkeit eines anderen mitmacht«. Er begründet nochmals seine »getarnte Oppositionstätigkeit« als Bürgermeister und verglich sein Handeln im Dienste des Regimes mit dem eines »Spitzels in einem fremden Unternehmen«. Gronover: »Der getarnte Soldat aber galt bisher nicht als der schlechtere, sondern als der gefährlichere Gegner.« An anderer Stelle verteidigte sich Gronover so:
»Ich nehme für mich in Anspruch, in der Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen mehr geleistet zu haben als jene, die ihre nazifeindliche Haltung lediglich durch ihre vor 1933 betätigte politische Einstellung dokumentierten, im übrigen aber sich mit den gegebenen Verhältnissen abfanden . . .«
Der Berufungsausschuss in Telgte würdigte vor allem Gronovers Einsatz für den Erhalt der Dorstener Klöster, bewertete die Mitgliedschaft in der SA als nicht schwerwiegend, ebenso wenig die markigen Reden des Bürgermeisters im NS-Geiste. Der Berufungsausschuss widersprach auch der Erkenntnis des Hauptausschusses, dass Gronover an der »Niederringung der Demokratie« beteiligt gewesen sei. Somit sei die Behauptung, Gronover sei Aktivist gewesen, nicht zu beweisen. Dr. Gronover wurde in Kategorie V (entlastet) eingereiht. Im Juni 1948 bestätigte der Sonderausschuss für Entnazifizierung des Landes NRW diese Entscheidung.