NS-Karneval in Dorsten – Sitzungen mit dem Hitlergruß – NSDAP-Ortsgruppenleiter Ernst Heine bekam vom Elferrat den „Dorsteraner Orden“

Straßenszene beim Rosenmontagszug in Köln

Von Wolf Stegemann

Spätestens 1935, in Bayern schon früher, hatten die Nationalsozialisten den Karneval, in Süddeutschland sagt man Fasching, vollständig vereinnahmt und für ihre propagandistischen Zwecke eingesetzt. Veranstalter und Teilnehmer mussten sich den politischen Verhältnisse anpassen. Zum Beispiel war eine Gestaltung von Umzugswagen, die eine kritische Haltung dem Regime gegenüber vermittelten, nicht möglich.

Karnevalsplakat Köln 1937 im Stil nationalsozialistischer Darstellung

Anfangs misstrauten die Nationalsozialisten dem karnevalistischen Treiben. Sie befürchteten, dass der Karneval zu Opposition, Widerspruch, Insubordination, Aufständen und Verschwörungen führe. Außerdem hatten sie davor Angst, lächerlich gemacht zu werden. In seinem 2010 erschienen Buch „Heil Hitler und Alaaf“ berichtet der Autor Marcus Leifeld, dass die Nationalsozialisten das wilde Treiben des Straßenkarnevals gefürchtet hätten. Deswegen hielten sie ihre NS-Symbolik vom Karneval fern. Die Mitglieder des Bundes Deutscher Mädel zum Beispiel durften nicht ihre Uniformen tragen. In Westfalen jegliche NS-Funktionäre auch nicht. Dennoch war die Nazi-Ideologie stets im inszenierten Karneval präsent. In den Umzügen gab es etliche propagandistisch genutzte Wagen. Einer der schlimmsten war sicherlich ein Wagen im Nürnberger Umzug des Jahres 1938. Dort sah man eine Puppe an einem Galgen hängen, die einen Juden darstellte. Überall in den Städten gab es Wagen und Fußgruppen, die „jüdische Devisenschieber“ anprangerten oder die Nürnberger Rassegesetze feierten. Gleichzeitig wurden in der Bütt die nationale Erhebung und die Nationalsozialisten verherrlicht.

Dorsten NSDAP-Ortgruppenleiter veröffentlichte Uniformverbot

In Dorsten durften während der tollen Karnevalstage vom 5. bis 9. Februar 1937 politische Leiter und Parteigenossen ihren Dienstanzug sowie das Parteiabzeichen nicht tragen. Ausnahmen mussten bei der NSDAP-Ortsgruppe beantragt werden. Auf Anordnung der NSDAP-Kreisleitung Recklinghausen teilte dies der Dorstener Ortsgruppenleiter Ernst Heine über die Zeitung den Parteigenossen mit. Die „Dorstener Volkszeitung“ schrieb am 5. Februar 1937:

„Durch die Kreisleitung werden die politischen Leiter und Parteigenossen darauf hingewiesen, dass das Tragen des Dienstanzuges (Uniform) sowie das Tragen des Parteiabzeichens auf allen karnevalistischen Veranstaltungen untersagt ist.“

Auch der NS-Verein "Kraft durch Freude" beteiligte sich am Rosenmontagszug in Köln

In der Hochburg Köln konnte der „Westdeutsche Beobachter“ schon im am 1. März 1933 über den Kölner Rosenmontagszug berichten:

„Der Zug hatte nichts Improvisiertes, Volksfremdes, wie das in den Nachkriegsjahren unter den mannigfachen Einflüssen liberalistisch-marxistischer Strömungen der Fall gewesen war. Kein überladener Schmuck, kein verlogener Prunk, sondern urwüchsiger Humor, volkstümlich in der Darstellung, passte er sich ganz natürlich in den Rahmen des Volksfestes ein.“

Lebenslanges Redeverbot für bekannten Humoristen

Viele der bekannten Karnevalhumoristen, darunter Karl Valentin in München, gestalteten ihre karnevalistischen Auftritte und Umzüge freiwillig nach den Vorgaben der Nazis. Einige taten dies nicht. Darunter in Köln der legendäre Karl Küpper. Da zu Beginn jeder Karnevalssitzung das Heben des Arms zum Hitlergruß Pflicht war, erwarteten die Nazis auch Küppers Hitlergruß auf der Bühne. Dies nutzte Karl Küpper. Er betrat die Bühne, hob den rechten Arm und sagte zur Überraschung des Publikums: „Su huh litt bei uns dr Dreck em Keller!“ – „So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller!“ Für diese Nummer wurde er zu lebenslangem Redeverbot verurteilt.

In der Kölner „Narrenrevolte“ im Jahre 1935 widersetzte sich der organisierte Kölner Karneval gegen die Gleichschaltung der Karnevalsfeierlichkeiten. Die Nationalsozialisten kamen der Forderung der Narren, dass die Belange des Karnevals von den Karnevalsgesellschaften getragen werden sollen, nach, vermutlich weil die Nazis keinen größeren Aufstand auslösen wollten und weil sich die Narren bisher auf für die Nazis leicht zu erfüllende Forderungen beschränkten. Das Gros des rheinischen Karnevals ließ sich jedoch gleichschalten. Die meisten Karnevalisten zeigten keinerlei Initiative gegen den Nationalsozialismus.

Antisemitische Darstellungen beim Rosenmontagszug

Funkenmariechen und Jungfrau wurden von Frauen dargestellt

1936 wurden die bis dahin männlichen Funkenmariechen durch Frauen ersetzt, weil Männer als Frauen verkleidet angeblich dem deutschen Mannestum widersprach und der Homosexualität und dem Transvestitentum Vorschub leiste. Im Jahr 1938 und 1939 wurde die Jungfrau im Kölner Karneval ebenfalls von einer Frau verkörpert. Während das Funkenmariechen bis heute eine Frau blieb, wurde im Dreigestirn nach 1945 aus der „Jungfrau“ wieder ein Mann. Nach dem Krieg unternahm die „NS-Humorabteilung“ (taz) die auch sonst verbreitete Weißwaschung ihrer selbst, vernichtete Dokumente und Aufnahmen, bereinigte Manuskripte. 1949 meldet sich der Kölner Karneval zurück mit dem Motto „Mer sin widder do“. Als habe es den Nazi-Karneval nie gegeben.

Brief an "Onkel Heinz", dass man ihn zur Karnevalssitzung abholen werde

Erste Karnevalssitzung 1939 in Dorsten

Will man der „Dorstener Volkszeitung“ und dem „General-Anzeiger“ vom 23. Januar 1939 glauben, dann war diese Veranstaltung im Gesellenhaus die erste größere Karnevalssitzung in Dorsten überhaupt. Beide Zeitungen überschlugen sich vor Enthusiasmus für diesen Karneval. Eine solche enthusiastische Berichterstattung kam in er Lokalpresse ansonsten nur dann vor, wenn es um den Führer oder die NSDAP ging.

Der Krieg war im Januar 1939 noch nicht in Sicht. Daher konnte noch ausgelassen gefeiert werden. Und das taten die Dorstener. „Die Wogen des Dorstener Karnevals schlugen im Gesellenhaus hoch“, schrieb der General-Anzeiger, „das Publikum kam, sah und staunte“ und brach „in wahre Heiterkeitsstürme“ aus. Veranstalter dieser Karnevalssitzung war der  Dorstener Sängerbund. Daher stand auch das Lied vom Gassenhauer bis zum umgedichteten Schiller-Lied von der Glocke im Mittelpunkt. Zum Dorstener Karnevalsschlager entpuppte sich das Lied vom Blumental, dessen erste Zeilen stark an Heinrich Heines Vers „Mein Fritz“ erinnert:

„Wo in Dorsten die Bohnen blühen, / der Spinat, das Suppengrün, / wo in der Laube der Kaffee schmeckt / und die Jugend Streiche ausheckt, / dort gibt es lauschige Ecken, / auf Wegen mit dunklen Hecken. / Und am Abend spricht der Bursch zur Maid, / und sein Herz klopft voller Freud!

Refrain: „Mädel, komm mit ins Blumental, / Mädel, küss mich zum letzten Mal, / Mädel, ich bleib dir treu,/ Mädel, sei nicht so scheu, / Mädel, du bist mein liebster Schatz, /Mädel, komm mit zum stillen Platz, / denn in der Lippestadt küsst man sich satt!“

Dankeskarte von "Onkel Heinz" aus Duisburg

Seekrank in der Straßenbahn

Höhepunkt war der Auftritt des „Karnevalspräsidenten Onkel Heinz“ (Heinrich Zensen), der mit Humor das städtische Leben in Dorsten betrachtete. Ihm folgten weitere Büttenredner wie C. P. Feuerboom als „Jan Schulte-Bohnenkamp“, „Karl und Franz“, auch als „Schaf und Eierkopp“ bekannt, und Willi Dittgen, der den Charakter des Blumentals zum Gegenstand seiner humorigen Ausführungen machte.

Im zweiten Teil des Abends trat „Tante Stina ut de Herrlichkeit“ (Sangesbruder Koch) auf, dessen Vortrag über Erlebnisse in Dorsten Lachsalven auslöste. Er nahm auch die Vestische Straßenbahn aufs Korn, in der man „für billiges Geld“ seekrank werden konnte. Natürlich wurde auch der anwesenden Parteiprominenz gedacht. NSDAP-Ortsgruppenleiter Ernst Heine „erhielt unter viel Beifall“ auf der Bühne vom Elferrat den „Dorsteraner Orden“.

 

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