Von Wolf Stegemann
Als der Verfasser öffentliche Vorträge über die Zeit des Nationalsozialismus in Dorsten hielt (Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz), wurde bei älteren Zuhörern die anschließende Diskussion fast immer nach einem peinlich anmutenden Schweigen mit zwei kritischen Fragen von eben diesen älteren Zuhörern eröffnet: „Wie alt sind Sie?“ und dann mit einem Anflug von Triumph in der Stimme, dass unter Hitler doch nicht alles schlecht war: „Wissen Sie denn auch, dass Hitler die Autobahnen gebaut hatte?“
Hitler hatte weder als erster die Idee zu den Autobahnen, noch hat er sie als erster gebaut. Die vorhandenen Strecken und die Vorarbeiten während der Weimarer Republik ermöglichten es ihm, in kurzer Zeit ein Projekt aufzubauen und propagandistisch auszuwerten, wie es für Diktaturen typisch ist. So nützlich die Autobahnen sich heute erweisen, für die damalige Wirtschaftslage und Motorisierungsdichte in Deutschland waren sie ein Luxus, für den der Normalverbraucher und schließlich bei der Währungsreform 1948 der Sparer zu zahlen hatte. Im Übrigen gibt es an der technischen Leistung des Autobahnbaus nichts zu verkleinern. Die Autobahnen sind nicht deshalb „schlecht“, weil Hitler sie gebaut hat. Aber Hitler ist nicht deshalb „gut“, weil er auch Autobahnen gebaut hat!
Schon in der Weimarer Republik wurde ein Verkehrsnetz von Reichsautobahnen geplant, dass die Nationalsozialisten ab 1933 zum Teil realisierten und neue Autobahnen auch nach den damals noch geheim gehaltenen Kriegsbedürfnissen planten und bauten. Bis heute hat sich vor allem bei älteren Menschen die Legende gehalten, dass der Autobahnbau ein Werk des Führers gewesen sei, eine als positiv zu bewertende Leistung.
Autobahnbau eine propagandistische Meisterleistung
Der Autobahnbau, größtenteils finanziert durch die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und unter der Verantwortung des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen Dr. Fritz Todt wurde als Beitrag zur Verringerung der Arbeitslosigkeit propagiert, doch dieses Ziel wurde nur bedingt erreicht. Die höchste Beschäftigungszahl gab es im Jahr 1936, als rund 120.000 Arbeiter an den Trassen eingesetzt waren. Auch die beteiligten Zulieferbetriebe brachten nicht den arbeitspolitischen Effekt, den die NS-Propaganda versprochen hatte. Ab 1935 wurden kleinere Autobahnteilstücke fertig gestellt, das erste im Mai von Frankfurt nach Darmstadt. Von den geplanten 6.900 km waren bis 1945 rund 3.800 km gebaut.
Erste RAB-Raststätte Recklinghausen-Stuckenbusch – berühmte Gäste
In der Dorstener Umgebung und im Vest wurden damals folgende Autobahnen eingerichtet: Oberhausen – Recklinghausen (heute A 2) 1937; die 1939 gebaute RAB-Tankstelle Stuckenbusch wurde 1955 in Hohenhorst umbenannt und 2005 geschlossen. Recklinghausen – Gütersloh Nr. 5 (heute A 2) 1939. Die Strecke Köln – Münster war als diagonale Linie (über Gladbeck, Dorsten) geplant und Köln – Kassel (über Gladbeck, Buer, Recklinghausen, Castrop, Henrichenburg, Lippramsdorf, Haltern) in Betrieb genommen.
Als erste Raststätte im Bereich Westfalens wurde am 29. Juni.1939 die Raststätte „Stuckenbusch“ in Recklinghausen eröffnet, die zwischenzeitlich wieder aufgegeben wurde. Der Parkplatz „Stuckenbusch“ erinnert an jene Raststätte. Als Besonderheit gilt, dass diese Raststätte in den frühen Jahren der Bundesrepublik ein bekannter Prominententreffpunkt war, wie das Gästebuch der damaligen Pächterfamilie Kersten belegt. Da findet man die Namen des Bundespräsidenten Theodor Heuss und von Jakob Kaiser, von Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer, von Willi Brandt und Herbert Wehner, aber auch der sowjetische Außenminister Andrei Andrejewitsch Gromyko hat sich in das Gästebuch eingetragen wie berühmte Sportler und Künstler auch, darunter Zarah Leander, Grete Weiser, Marika Rökk, Will Quadflieg, Mathias Wiemann, Max Schmeling, Fritz Walter. Der Schauspieler Hans Albers schrieb sich mit einem angebrannten Streichholz ins Gästebuch ein, weil sein Füllfederhalter streikte.
Autobahnplanungen bereits lange vor 1933
Die Idee, Nur-Autostraßen zu bauen, geht zurück auf das Jahr 1909, als die erste AVUS-Planungen stattfanden und 1912 der Bau begonnen hatte. Das Wort AVUS steht für „Automobil-Verkehrs und Übungs-Straße“. 1924 gründetet in Berlin 284 Teilnehmer die STUFA (Studiengesellschaft für den Automobilstraßenbau) mit der Aufgabenstellung: Verbesserung des Baumaterials, Entwicklung optimaler Straßenkonstruktion und Vervollkommnung der Baumaschinen. Auf Betreiben des Siedlungsverbandes Ruhrgebiet (SVR) in Essen lehnte 1926 die STUFA die Einrichtung von Nur-Autostraßen ab, die Bezeichnung Autobahn gab es noch nicht. In Frankfurt am Main wurde die HAFRABA e.V. (Hamburg-Frankfurt-Basel) mit 18 Betreibern gegründet. Ein Jahr später verbot das Finanzausgleichsgesetz die Erhebung von Wegegeldern (heute als Maut bekannt). 1928 wurde die STUFISTRA (Studiengesellschaft für die Finanzierung des Deutschen Straßenbaus) ins Leben gerufen. Der Streit um Benutzungsgebühren schwelte weiter. 1931 erklärte sich der Reichsverkehrsminister gegen den Bau besonderer Autostraßen und deren Finanzierung durch Benutzungsgebühren. Erst 1932 wurde erstmals der Begriff „Autobahn“ geprägt. Den Begriff kreierte Robert Kotzen (1872-1934), Professor für Eisenbau und Statik an der TU Hannover. Die offizielle Umbenennung in „Reichsautobahn“ (RAB) fand dann 1933 statt.
Die Nationalsozialisten trieben den Autobahnbau voran
1933 fand die Umbenennung in „Reichsautobahnen“ statt. Es wurde die GEZUVOR (Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahnen) gegründet und im Februar ließ Adolf Hitler in einer Rede auf der Automobilausstellung in Berlin Pläne zum Autobahnbau erkennen. Am 1. Mai kündigte er den Bau eines Autobahnnetzes an. Der mittlerweile gleichgeschaltete NS-Autobahnbaugesellschaft „Hamburg-Frankfurt-Basel e. V.“ (HAFRABA) gehörten inzwischen alle wichtigen Bauunternehmen im Reich sowie die Deutsche Reichsbahn an. Am 27. Juni erschien das Gesetz über die Errichtung eines Unternehmens „Reichsautobahn“. Dr. Fritz Tot wurde zum Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen ernannt. Er verkündete den Grundnetzplan für 7.000 km Autobahnen. Baubeginn der Reichsautobahn mit dem Ersten Spatenstich Hitlers war in Frankfurt am Main am 23. September. Rund 700 Arbeiter waren bereits im Einsatz. Oberste Bauleitungen für das Autobahnnetz wurden 1934 in Altona, Breslau, Dresden, Essen, Frankfurt a. M., Köln, Königsberg, München und Stettin eingerichtet. Die Strecken Frankfurt – Mannheim 67 km und München – Salzburg 12 km wurden gebaut. Für den Bau der Autobahnen enteignete der Staat 1935 mit dem „Gesetz über die Regelung des Landbedarfs der öffentlichen Hand“ insgesamt 29.000 Hektar Grundfläche. Über 1.100 Autobahnkilometer befanden sich im Bau. Erste Teilstücke konnten dem Verkehr übergeben werden (bei Frankfurt – Darmstadt; München – Holzkirchen durch A. Hitler). In den Jahren 1936/37 waren rund 130.000 Arbeiter im Einsatz, die 3.000 Streckenkilometer fertig stellten.
Nach dem Anschluss Österreichs an das Reich 1938 nahm Hitler für die Reichsautobahnen der „Ostmark“ bei Salzburg den Ersten Spatenstich vor, im Dezember im Sudetenland bei Eger. Die Gesellschaft Reichsautobahnen wurde gesetzlich einer Reichsbehörde gleichgestellt. Zu der Zeit waren im Deutschen Reich 1, 2 Millionen PKW; 400.000 LKW und 1,6 Millionen Kräder zugelassen. Ende 1941 wurde der gesamte Autobahnen-Baubetrieb eingestellt. Fertig gestellt waren zu diesem Zeitpunkt 3.870 Streckenkilometer.
Im April1950 wurde der Autobahnbau durch den Bundesminister für Verkehr übernommen. Heute hat Deutschland eines der dichtesten Autobahnnetze der Welt und mit mehr als 12.845 Kilometern (Stand: 2012) nach den USA (75.376 km) und der Volksrepublik China (45.400 km) das drittlängste.
Julius Bansmer: Reichsautobahnen
Ein Wille wuchs und ward Befehl
und sprengte auf der Zukunft Tor.
Froh rückten die Kolonnen vor.-
Nun braust der Arbeit heller Chor.
Von Nord gen Süd, von Ost gen West
erwächst das Werk, wird stark und fest.
Des Führers Straßen ziehen stolz
durch Feld und Heide, Moor und Wald.
Ein Plan, gewaltig, wird Gestalt,
bannt trotzig die Naturgewalt;
ein Friedenswerk, Gemeinschaftsband,
geht zukunftsstark durchs deutsche Land.
Der Spaten blitzt, der Hammer dröhnt,
Spitzhacken zischen in den Grund.
Die Stirn schließt mit der Faust den Bund;
ein deutsches Wunder wird hier kund.
Und jeder, der hier dienend stand,
schuf mit am neuen Vaterland.
Autobahnen zur Kriegsvorbereitung – Mythos oder Motiv?
Die Nationalsozialisten benutzten das Motiv Arbeitsbeschaffung zur Begründung der Errichtung von „Reichsautobahnen“. Unter Wissenschaftlern ist es heute umstritten, ob das Autobahnnetz aus strategischen Gründen gebaut wurde. Die Reichswehrführung hatte vor 1933 Autobahnbauten abgelehnt. Auch nach 1933 bestanden unter den Militärs Zweifel über den strategischen Wert von Autobahnen. Gründe hierfür waren differierende Bewertungen der Einsatzmöglichkeiten motorisierter Verbände sowie der Produktionsmöglichkeiten der Kraftfahrzeugindustrie und der Luftabwehr. Aus der Sicht der Luftverteidigung kamen Bedenken, inwieweit die hellen und gut sichtbaren Betonpisten einfliegenden Bomberverbänden die Orientierung auf dem Reichsgebiet erleichtern würden. Allerdings verfolgten die Nationalsozialisten von Beginn an insbesondere strategische Aspekte. Fritz Todt: in der Denkschrift „Straßenbau und Straßenverwaltung“ 1932: „Linienführung und Ausgestaltung sind nach militärischen Gesichtspunkten vorgeschlagen.“
Autobahn für schnelle Truppenbewegungen
Bei den nationalsozialistischen Ausbauplanungen spielte insbesondere die Möglichkeit von schnellen Truppentransporten, die Schaffung zusätzlicher Aufmarschwege, die Entlastung der Eisenbahn und die Vornahme von Truppenverschiebungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Rolle. Die Wehrmacht wurde daher in jedem Stadium der Planung und des Baues der Autobahnen beteiligt. Man kann Autobahnen bzw. ein Autobahnnetz als ein „Dual-Use“-Gut betrachten: zivile und militärische Zwecke schließen einander nicht aus. Bei Bedenken gegen Details der Streckenführung von Nebenbehörden, wurde bei der Ablehnung jeweils auf „dringende Gründe der Wehrmacht“ verwiesen, die den Vorrang hätten. Zudem werde die Reihenfolge der Bauarbeiten durch Hitler nach wehrpolitischen und volkspolitischen Rücksichten festgelegt. Wichtige Strecken von verkehrswirtschaftlich hoher Bedeutung, wie etwa Frankfurt/Main–Nürnberg, Hamburg–Berlin, Bremen–Dortmund, Hamburg–Hannover–Göttingen–Würzburg standen bei der Realisierung hinter Strecken, wie z. B. Berlin–Frankfurt/Oder–Posen, Berlin–Stettin–Danzig–Königsberg, Breslau–Wien, Bayreuth–Eger–Karlsbad, Stettin–Görlitz–Reichenberg, Falkenburg–Berlin, obwohl hier aus verkehrswirtschaftlicher Sicht nur ein geringes Bedürfnis an einem zügigen Bau bestand. Zudem arbeiteten Planungsgruppen seit 1934 bereits insgeheim in Nachbarländern (Polen, CSR, Frankreich, Österreich) an Planungen für Reichsautobahnen bzw. folgten die Planungsgruppen den Einheiten der Wehrmacht umgehend. Auch von den Baueinstellungen infolge des Krieges wurden strategisch bedeutsame Strecken, wie Stettin–Bärwalde, ausgenommen. Ganz im Gegenteil wurden vor den Überfällen auf die damalige Tschechoslowakei und auf Polen die Fertigstellung der Strecken Berlin–Forst und Berlin–Dresden verlangt.
Militär sah in den Autobahnen eine „Segnung“
Vertreter der Auffassung, dass die Reichsautobahnen nicht aus strategischen Gründen angelegt wurden, tragen vor, dass die Fahrbahndecke der meisten Streckenabschnitte für Schwertransporte zu dünn und zu locker gewesen sei. Die Bauausführung habe sich am Verkehr mit Personenwagen und den damals verbreiteten, im Vergleich zu heute relativ leichten Lastkraftwagen ausgerichtet. Allerdings: Fritz Todt schrieb am 21. Januar 1938, dass die Autobahnen den Anforderungen des „eisenbereiften Verkehrs“ entsprechen müssen.
Als Argument gegen die Annahme von militärisch-strategischen Motiven beim Autobahnbau wird angeführt, dass die Autobahnen für die Verlegung größerer Formationen nicht geeignet und die zugehörige Infrastruktur für Truppentransporte nicht ausreichend gewesen seien und größere Konvois die Autobahnen über weite Bereiche blockiert hätten. Das Militär habe weiterhin auf das Zeit raubende Verladen von Militärfahrzeugen auf die Reichsbahn gesetzt. Dem widerspricht eine Einschätzung des Wehrmachtgeneral Heinz Guderians von 1940: „Auf den Reichsautobahnen lassen sich hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten bei voller Schonung von Mann und Gerät erzielen, die Zahl der Unfälle ist gering, der Überholungs- und Gegenverkehr stets mühelos durchführbar.“ Und: „Wir haben die Segnungen der Reichsautobahnen schon auf dem Befreiungsmarsch nach Wien und dann beim Aufmarsch gegen die Tschecho-Slowakei, gegen Polen und gegen die Westmächte genossen.“ Dieser Bericht mag zu propagandistischen Zwecken geschönt worden sein. Die Autobahnen wurden tatsächlich für Aufmärsche benutzt, wie etwa bereits bei der Besetzung des Rheinlandes im März 1936 oder beim Überfall auf Polen. – Unbestritten ist, dass die tatsächliche Bedeutung der Reichsautobahnen für den Zweiten Weltkrieg sank, je weiter die Front von den deutschen Landesgrenzen entfernt war.
Steigende Motorisierung durch die Autobahnen
Es ist allgemein anerkannt, dass der Reichsautobahnbau im Zusammenwirken mit anderen Straßenbauprojekten und der Aufhebung der KFZ-Steuer am 10. April 1933 einen wachsenden Motorisierungsgrad in Deutschland begünstigt hat. Der gleichzeitig forcierte Bau von Kraftfahrzeugen, der letztendlich zu den höchsten Zuwachsraten in der weltweiten KFZ-Produktion führte, sollte nicht unbedingt der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse dienen, sondern die Wirtschaftsmotorisierung sollte später durch deren Requirierung der privaten Fahrzeuge eine schnelle Heeresmotorisierung ermöglichen. Die Wehrmacht argumentierte, dass sich eine große Zahl von Fahrzeugen im zivilen Kraftverkehr positiv auf die Bereitstellung von motorisierten Truppenteilen bei Kriegsausbruch auswirken werde. Der Autobahnbau und die damit verbundene Motorisierung der Wirtschaft war somit auch indirekt ein Teil des Rüstungsplanes.