Von Wolf Stegemann
»Der kirchenfeindliche Geist des Nationalsozialismus ist auch an unserer St. Urbanus-Gemeinde nicht spurlos vorübergegangen.« So beginnt die nach dem Kriege geschriebene Chronik der Pfarrei in Rhade. Die kirchlichen Vereine wurden aufgelöst, ebenso der Arbeiterverein und die Jünglings-Sodalität, deren Vermögen die Gestapo beschlagnahmte. Während auch die Fahne des Arbeitervereins mitgenommen wurde, konnte »dank des schnellen und mutigen Eingreifens beherzter Männer die neue Sodalitätsfahne gerettet werden. Franz Vienken verbarg sie bis Kriegsende. Wie überall verlor die Borromäusbibliothek viele Bücher, und der Religionsunterricht durfte nur in der Kirche oder in kircheneigenen Räumen abgehalten werden.«
Prozessionen nur auf kircheneigenen Grundstücken
Bei Prozessionen musste sich die Pfarrgemeinde auf kircheneigene Grundstücke beschränken. Der Schreiber der Kirchenchronik, Definitor Westermann, vermerkt am 23. Oktober 1946:
»Dass die Abhaltung des Gottesdienstes in keiner Weise behindert wurde, verdanken wir unserem Ortsgruppenleiter Herrn Lehrer Johann Wensing, der nach dem ersten Ortsgruppenleiter, Herrn Hamann, auf Anraten des verstorbenen Pfarrers Tillmann im Jahre 1934 diesen Posten übernahm … Es muss ihm in Ehren nachgesagt werden, dass er keinen bei der Partei denunziert hat. Obschon es für ihn als Lehrer und Führer der Partei verboten war, ein kirchliches Amt zu übernehmen, spielte Herr Wensing jeden Morgen abwechselnd mit der Lehrerin, Fräulein Greuling, die Orgel, die er 1934 mit dem Kirchenchor finanzieren und erbauen ließ. Außerdem blieb er Leiter des Kirchenchors und Kirchenrendant, obschon die Ausübung dieser Ämter ihm bei der Partei Schwierigkeiten bereitete.«
Im Mai 1945 wurde der Ortsgruppenleiter Wensing verhaftet und in das Internierungslager Staumühle bei Paderborn gebracht. Die Kirchengemeinde wie auch die politischen Gemeindevertreter setzten sich für ihn ein, um seine Befreiung zu erwirken. Zwei Jahre später schreibt der Chronist enttäuscht: »Sind bis jetzt – April 1947 – gescheitert.«
Wehrmacht nahm Quartier in Rhade
Im September 1939 zogen bespannte Transportkolonnen, vorwiegend Pommern, unter Hauptmann Butzhoff durch Rhade und nahmen dort Quartier. Die Kirchenchronik berichtet:
»Hauptmann Butzhoff war (…) kirchenfeindlich eingestellt. Als man ihm bei Pfarrer Tillmann Quartier anweisen wollte, sagte er: „Lieber auf der Straße verrecken, als beim Pfaffen Ouartier beziehen.“ Sein gotteslästerlicher Wunsch ging buchstäblich in Erfüllung. Bald nach seinem Fortgang von Rhade ist er mit dem Motorrade verunglückt und auf dem Transport zum Krankenhaus – auf der Straße – gestorben.«
Wegen Krankheit musste Pfarrer Tillmann die Pfarrstelle aufgeben. Für ihn kam am 10. Juni 1942 Josef Debbing, bis dahin Pfarrer in Lenkerbeck. Debbing wurde »von dem hochedlen Herrn Ferdinand Grafen von Merveldt vorgeschlagen« (Originalton Chronik) und am 16. Juni vom Bischof Clemens August zum Pfarrer von Rhade ernannt. Die Chronik berichtet:
»Am 19. Juli war die feierliche Einführung. Von der Michaeliskapelle kommend, traf bei strömendem Regen der neue Pfarrer gegen 9 Uhr ein, wo er auf dem Kirchplatz von Kaplan Brüning im Namen des Kirchenvorstandes begrüßt wurde. Bei dem feierlichen Levitenamt, das von Pfarrer Debbing celebriert wurde, assistierten Pfarrer Boeing und Pfarrer Wellekötter. Die Einführung erfolgte durch Dechant Eing aus Holsterhausen. In seiner Einführungspredigt versprach Pfarrer Debbing allen Pfarrkindern ein lieber Freund und treuer Führer auf dem Wege zur Ewigkeit zu sein. Die Einwohner von Rhade hatten es sich nicht nehmen lassen, trotz der ernsten und sorgenvollen Kriegsverhältnisse, ihrem neuen Pfarrer einen würdigen Empfang zu bereiten.«
Das kirchliche Leben in Rhade verlief nicht anders als in anderen Dörfern dieser Größenordnung. Der Pfarrer ist trotz Ortsgruppenleiter, Partei-Gliederungen und NS-Propaganda die Autorität im Dorf geblieben. Rhade mag mit seinem Orgel spielenden Ortsgruppenleiter, der gleichzeitig die Kirchenkasse verwaltete, für viele andere Dörfer im Münsterland stehen.
Einquartierte SS-Soldaten zerschlugen das Wegkreuz
1939 bezog SS-Artillerie Quartier in Rhade. Sie blieb bis März 1940. In dieser Zeit wollte man Pfarrer Tillmann wegen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus verhaften. Der Kirchenchronist vermerkt dazu, dass die Äußerungen nicht »den Tatsachen entsprachen“. – Die SS-Soldaten zerschlugen das Wegekreuz bei Krampe-Focke; bei Sieverding wurden abends große Trinkgelage mit Sekt abgehalten. In betrunkenem Zustand schoss die SS mit den Pistolen in die Luft. Die Chronik: »Ganz Rhade atmete bei ihrem Fortzug auf.«