Von Dr. jur. Gerd Willamowski
Ein besonders dunkles Kapitel der Strafrechtspflege der nationalsozialistischen Zeit stellen die Sondergerichte dar, bei denen die Staatsanwaltschaft unter Umgehung des gesetzlichen Richters praktisch Anklage nach Belieben erheben konnte. Seit Inkrafttreten der »Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten« vom 21. März 1933 wurden Abertausende von Beschuldigten von Sondergerichten, die für den Bezirk jeden Oberlandesgerichts und als neue Form politischer Schnelljustiz ohne weitere Revisionsmöglichkeiten gebildet worden waren, bestraft. Diese Gerichte erwiesen sich als zuverlässiges Instrument zur Unterdrückung der freien Meinungsbildung. Bestraft wurde u. a., wer »abfällige Äußerungen über den Führer und die NSDAP« getan, den Führer »verhöhnt«, »beleidigt«, »beschimpft«, »gegen ihn gehetzt«, ihn »abfällig kritisiert«, »bösartig« oder »verächtlich« geschildert, »verdächtigt«, »verleumdet«, »gehässig geschmäht« und »Witze über ihn« gemacht hatte.
Auch in Dorsten fielen drakonische Urteile
In diesem Sinne wurde auch das für Dorsten zuständige Sondergericht Essen tätig: Politische Witze, auch in totalitären Staaten an der Tagesordnung, wurden unnachgiebig mit hohen Freiheitsstrafen (»Zuchthaus«) geahndet. Selbst nach heutigem Rechtsverständnis als »Lappalie« einzustufende Straftaten wurden unnachgiebig mit drakonischen Maßnahmen verfolgt.
In öffentlicher Verhandlung des Sondergerichts Essen in Dorsten wurde beispielsweise als »Volksschädling« eine Angeklagte, die aus einem ihr zur Beförderung übergebenen Brief 10 Reichsmark entnommen hatte, wegen Unterschlagung zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten kostenpflichtig verurteilt.
Eine Beamtin hatte ein Feldpostpäckchen – mit offensichtlich nicht sehr wertvollem Kleiderstoff -, das sie in amtlicher Eigenschaft empfangen hatte, unterschlagen, geöffnet und den Inhalt entnommen: Durch Urteil des Sondergerichts Essen in Dorsten am 20. November 1941 wurde die Angeklagte zu einem Jahr und 3 Monaten Zuchthaus nebst 50 Reichsmark Geldstrafe verurteilt. Die Strafe hat sie im Frauengefängnis Anrath verbüßt.
Sehr zahlreich sind die Urteile wegen »Kriegswirtschaftsverbrechen«, worunter vorwiegend die so genannte Schwarzschlachtung zu verstehen war. In solchen Fällen hat das Sondergericht Essen in Dorsten mehrfach Urteile von drakonischer Schärfe verhängt.
Ein 38-jähriger Mann wurde am 16. Januar 1943 wegen Schwarzschlachtung von zwei Schweinen und wegen Rückfalldiebstahls von 2 Säcken Roggen zu insgesamt drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus sowie vier Jahren Ehrverlust verurteilt; ein 35-jähriger Angeklagter wurde am selben Tage wegen Schwarzschlachtung eines Schweins mit einem Jahr und 6 Monaten Zuchthaus nebst zwei Jahren Ehrverlust bestraft. In einem weiteren Fall wurde eine Strafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt, weil der Angeklagte ein Schwein, das er zuvor in Coesfeld erworben hatte, ohne Genehmigung geschlachtet hatte.
Das Sondergericht Dortmund verurteilte am 20. Januar 1937 einen aus Dorsten stammenden Mann wegen illegaler Tätigkeit als Bibelforscher zu einem Jahr Gefängnis.
Frau von Aufseherinnen bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt
Am 13. Dezember 1939 wurde eine Dorstenerin vom Sondergericht Dortmund zu sieben Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt, weil sie in Dorsten als angebliche Rot-Kreuz-Schwester kleinere Geldbeträge – insgesamt 30 Reichsmark – gesammelt hatte. Zu diesem Zweck hatte sie sich eine Sammelliste erstellt und eine Rot-Kreuz-Armbinde umgebunden. Die Verurteilte kam nach ihrer Verhaftung zunächst in das Untersuchungsgefängnis Essen, wo sie bis zum 1. Januar 1940 verblieb. Bis zum 19. November 1943 verbüßte sie ihre Strafe im Frauenzuchthaus Ziegenheim bei Kassel und arbeitete – bis zur Entlassung durch die Alliierten – im Straflager Witten-Annen, wo sie als Fabrikarbeiterin einen Tageslohn von 40 Pfennig erhielt und von den Aufseherinnen – zusammen mit den übrigen Gefangenen – teilweise bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt wurde. Ein vom Rechtsanwalt der Verurteilten am 2. Februar 1941 beim Sondergericht Dortmund eingereichtes Gnadengesuch wurde abgelehnt. Erst durch Erlass der Alliierten wurde die Frau am 13. April 1945 entlassen.
Zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten unter gleichzeitiger Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf drei Jahre wurden zwei Angeklagte aus Dorsten verurteilt, die sich wegen Verbrechens gegen die Rundfunkgesetze zu verantworten hatten. Sie wurden »überführt«, mehrfach ausländische Sender – teilweise in Anwesenheit von Gästen und Nachbarn – gehört zu haben. In der Urteilsbegründung des Sondergerichts Essen wurde betont, dass mit dem Urteil wieder »ein Verbrechen gegen die deutsche Volksgemeinschaft« geahndet worden sei. Das Abhören ausländischer Sender sei verboten, da gerade die Mitteilungen der »hetzerischen feindlichen Sender« darauf abgestimmt seien, »Gift in die deutsche Volksseele zu träufeln«. Wer sie höre, begehe »geistige Selbstverstümmelung«; denn jede Meldung sei »erlogen« und solle »einzig und allein dazu dienen, die innere Widerstandskraft des deutschen Volkes auszuhöhlen und zu lähmen«. Als besonders schwer sei das Verbrechen zu werten, weil die Mitteilungen vorsätzlich verbreitet worden seien. Aber auch der »höfliche Gast«, der die Sendungen mit angehört habe, habe sich strafbar gemacht.
17-jähriger Handtaschendieb zum Tode verurteilt und hingerichtet
In einem anderen Termin hatte das Sondergericht Essen, das im Amtsgericht Dorsten tagte, über einen 17-jährigen Jungen, der im November oder Dezember 1941 einer Frau eine an der Lenkstange ihres Fahrrades aufgehängte Tasche entrissen hatte, zu urteilen.
Es galt das Kriegsrecht
Da die Tat unter einer Straßenlaterne, die aus Verdunkelungsgründen nicht brannte, begangen worden war, wurde Kriegsrecht angewandt: Der Jugendliche wurde »wegen Ausnutzung des Ausnahmezustandes der Verdunkelung« aus Gründen der »Abschreckung« zum Tode durch Köpfen verurteilt. In der weiteren Urteilsbegründung schloss das Gericht einen Gnadenakt aus: sechs Wochen nach der Urteilsverkündung wurde das Urteil in Essen vollstreckt.
Wegen Beleidigung als »Volksschädling« zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt
Im August 1941 verurteilte das Sondergericht Essen in Dorsten einen Polen wegen Beleidigung in Tateinheit mit Nötigung als »Volksschädling« zu drei Jahren Zuchthaus und Aberkennung der Ehrenrechte für die gleiche Dauer, weil er sich in angetrunkenem Zustand einem deutschen Mädchen genähert und dieses »mehrmals geküsst« hatte. In der Urteilsbegründung hob das Gericht hervor, eine harte Bestrafung sei unabdingbar, weil der Ausländer das Gastrecht – nach der Belehrung bei seinem Arbeitsantritt – schmählich mit Füßen getreten habe. Im übrigen sei aber auch eine Beleidigung in Tateinheit mit Nötigung gegeben, wofür im vorliegenden Fall das Volksschädlingsgesetz heranzuziehen sei. Die Anwendung dieses Gesetzes sei erforderlich, weil das eigentlich geringfügige Vergehen als »Tat im Zusammenhang mit den Geschehnissen der Kriegsjahre« betrachtet werden müsse. Man stehe im »Volkstumskampf«, der gerade in Polen Ausmaße angenommen habe, die an Grausamkeit, Verhetzung, Hemmungslosigkeit. Wut und Hass alles Bisherige verblassen ließen. Die Tat des Angeklagten sei Ausfluss seines polnischen Blutes und seiner polnischen Erziehung und damit die Fortsetzung des üblichen Kampfes. Aus diesem Grunde sei für den Angeklagten auch der Tatentschluss leichter gewesen; denn »niemals hätte er es gewagt, so hemmungslos gegen eine Frau oder ein Mädchen des eigenen Blutes« vorzugehen. Die Überschreitung des normalen Strafmaßes sei deshalb unerlässlich. Damit werde für jeden Polen das Gebot erhärtet, »von deutschen Frauen und Mädchen« weg zu bleiben. Diese seien kein Freiwild für »hemmungslose Elemente« und würden mit allen zu Gebote stehenden Mitteln vor »Polenküssen« geschützt.