Suche nach Gräbern – Über den Leichen lag zehn Zentimeter Erde – Die Umbettung der Ostarbeiter war 1949 beendet

Sowjetisches Ehrenmal von 1945 auf dem Russenfriedhof; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann

Den amerikanischen Kampftruppen, die Dorsten einnahmen, rückten bald Soldaten nach, die eine besondere Aufgabe zu erfül­len hatten. Diesem Stab, der mit großen Vollmachten ausgestattet war, gehörten so­wjetische, amerikanische, französische, pol­nische und englische Offiziere an. In ihrem Gepäck hatten sie meterlange Listen dabei. Sie suchten in den Städten und Dörfern, auf Friedhöfen und in Massengräbern, in Stan­desamtsakten und in befreiten Kriegsgefan­genenlagern nach Toten und Vermissten ih­rer Nationalität.

Diese Mitarbeiter des „International Tracing Service, 922 I.R.O. Interpendent Team“ (I.T.S.) mit Sitz im HQ British Zone Divi­sion in Göttingen, arbeiteten mit einem gro­ßen bürokratischen Aufwand, um festzustel­len, wo alliierte Flieger abgestürzt waren, wo sie beerdigt oder gefangen gehalten waren und wo die großen Ströme der Zwangsdeportierten, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge blieben. Bürgermeister, Polizeidienststellen und Bahnhofsvorstände wur­den aufgefordert, ihr Wissen über Gefange­nentransporte und Todesmärsche, so sie den Ort berührt hatten, bekannt zu geben.

Amtsverwaltung stellte eine detaillierte Liste auf

Polizei-Inspektor Quaschnowitz meldete, dass die Amerikaner beim Einmarsch alle Unterlagen mitgenommen hätten. Eine de­taillierte Liste stellte dagegen die Amtsverwaltung zusammen mit den Namen und den Grabstätten aller Ausländer, die in der Zeit vom 3. September 1939 bis 8. Mai 1945 in Dorsten und in den Landgemeinden ums Le­ben gekommen waren. Die Alliierten ließen der Verwaltung für diese Aktion drei Wo­chen Zeit.

Nebenbei musste sich die Verwaltung auch mit der Ausgrabung und Überführung von deutschen Wehrmachtsangehörigen befas­sen, die während der Kriegsereignisse in Dorsten und den Landgemeinden gefallen und beerdigt worden waren. Allerdings ver­bot der Oberpräsident der Provinz Westfa­len, Amelunxen, bald das Ausgraben deut­scher Leichen, weil dies die Ruhe auf den Friedhöfen störe und die in fortgeschritte­nem Stadium der Verwesung befindlichen Leichen hygienische Missstände hervorrufen würden. Anders die Alliierten. Mit Akri­bie suchten sie ihre gefallenen Soldaten, gru­ben sie aus und überführten sie in die Hei­mat.

Fremdarbeiter-Nachkriegsgräber von Polen 1945, Friedhof in Wulfen

Um die Begräbnisstätten der vielen toten polnischen Ostarbeiter sowie sowjetischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen musste sich die deutsche Verwaltung auf Anordnung der Alliierten kümmern. Diese for­derten würdige Friedhöfe mit Gedenksteinen. In Holsterhausen, gegenüber dem Kommunalfriedhof Holsterhausen, befindet sich auf Wulfen-Söltener Gebiet der so genannte Russenfriedhof, der schon 1942 angelegt, erst 1946 würdig herge­richtet und erweitert wurde. Dorthin sind die ausgegrabenen Leichen verbracht wor­den, die überall in der Umgebung von Dor­sten verscharrt gewesen waren. Auch die Friedhöfe an der Gladbecker Straße, in Wul­fen, in Hervest-Dorsten, Lembeck und Rhade beherbergen Gräber von Kriegsge­fangenen und Fremdarbeitern. Insgesamt sind in Dorsten 574 Kriegsgefangene und 748 Fremdarbeiter bestattet.

Eine letzte Suche nach verstorbenen Auslän­dern führte die „I.T.S. Regional Search Staff“ im Regierungsbezirk im März 1949 durch. In diesem Zusammenhang fand am 27. Mai 1949, frühmorgens, die letzte Umbettungsaktion »russischer Leichen« aus den Landgemeinden Wulfen, Lembeck, Rhade, Erle und Altschermbeck statt. Amtsdirektor Dr. Bänke an die jeweiligen Bürgermeister: „Die Freilegung der Leichen hat so zu erfol­gen, dass dieselben bis zum Eintreffen der Fahrzeuge mit etwa zehn Zentimeter Erde be­deckt bleiben.“

Kollaborateur von Landsleuten erschlagen

Im Jahre 1956 beschäftigten sich die Behör­den nochmals mit der Umbettung eines menschlichen Skeletts, das am 5. April auf der Weide des Bauern Ewald Huxel in Wul­fen gefunden wurde. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass es sich um die Leiche ei­nes Ostarbeiters handelte, der bis 1945 im Wulfener Muna-Lager als Dolmetscher fun­gierte. Ende März soll dieser von anderen Ostarbeitern erschlagen und in einen mit Wasser gefüllten Trichter geworfen worden sein. Wenige Tage später sei er dann von der Wulfener Hilfspolizei auf der Weide beerdigt worden. Warum der Dolmetscher umge­bracht wurde, konnte damals nicht mehr er­mittelt werden. Der Bauer Huxel erinnerte sich 1956, dass der Dolmetscher stets mit dem Lagerleiter, dem SA-Führer Ferdinand Aßmann zusammen gewesen war, der kurz vor Kriegende 1945 zwei kanadische udn einen englischen Flieger in diesem Lager ermordet hatte.

Am 26. Mai 1956 wurde der damals 75-jährige Max Brändel vom Ordnungsamt befragt. Er nannte den Namen des Toten: Iwan Kuripka stand auf der Stundenliste, die Brändel als Sanitäter und Vorarbeiter des Muna-Ostarbeiterlagers zu führen gehabt hatte. Der Zeuge bestätigte die Dolmetscherfunktion des 20-Jährigen. Am 27. März sei er noch mit Kuripka zusammen gewesen, anderntags be­setzten die Amerikaner die Muna. Einige Tage später habe er von anderen gehört, dass der Russe Kuripka von Landsleuten erschlagen worden sei. Das Skelett wurde auf dem Russenfriedhof beigesetzt.

 

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