Wie Bürgermeister Franz Lürken 1933 aus dem Amt gehebelt wurde – NSDAP-Beigeordneter F. Köster drohte Kritikern mit KZ

Von Wolf Stegemann

In der ersten Sitzung der Stadtverordneten­versammlung vom 30. März 1933 wurde auf Antrag der NSDAP eine Kommission gebil­det, die die Amtsgeschäfte von Bürgermei­ster Dr. Franz Lürken, damals 43 Jahre alt, zu untersuchen hatte. Schon am 25. Mai übergab der Untersuchungsausschuss das bis dahin gesammelte Material zur Überprü­fung an die Kreisleitung der NSDAP in Recklinghausen. Dem Untersuchungsaus­schuss, der einstimmig von allen Fraktionen gebilligt wurde, gehörten an: NSDAP-Pg. Hans Duesberg, Paul Schürholz, Rechtsanwalt Sanen (beide kurz vor ihrem Eintritt in die NSDAP) und Pg. Lehrer Lorenz. Die NSDAP-Kreisleitung setzte für den 13. Juni eine Besprechung des Untersuchungsausschusses mit dem Kreisleiter und dem Be­auftragten für Kommunalpolitik der NSDAP des Landkreises Recklinghausen an, die im Dienstzimmer von Bürgermeister Dr. Lürken stattfand.

Bürgermeister Dr. Franz Lürken musste zurücktreten

An der Besprechung nahmen teil: Kreislei­ter Barthel, der Beauftragte für Kommunal­politik der NSDAP, Pg. Rottmann, Beige­ordneter Pg. Fritz Köster, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses (für den verhin­derten Rechtsanwalt Sanen nahm de Weldige-Cremer teil) und Bürgermeister Dr. Lürken. Als Aufsichtsbehörde nahm auf Wunsch des Bürgermeisters Landrat Pg. Matthaei (NSDAP) an der Besprechung teil, de­ren Detailergebnisse auf Wunsch des Landrats weder veröffentlicht noch niederge­schrieben wurden. Der Ausschuss stellte fest: Das Gehalt des Bürgermeisters bewegte sich im Rahmen der gesetzlichen Bestim­mungen. Nebenbezüge und »wirtschaftliche Vorteile« durch sein Amt, welche der Auf­sichtsbehörde nicht gemeldet worden waren, hätten mit Sicherheit nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde gefunden. In zwei Fällen bekam Lürken im Bereich des Versorgungsdienstalters mehr Bezüge als ihm zustand. Schon seit 1926 wurde von der Stadtverwal­tung eine unhaltbare Finanzwirtschaft be­trieben. Das wurde bereits mehrmals vor 1933 kritisiert. Anstatt der 50.000 bewilligten Reichs­mark für das Annastift wurden 80.000 Reichsmark ohne Genehmigung der städti­schen Körperschaften überwiesen. Lürken wurde angelastet, dass die Stadt seit 1926 mehr als 1 Million Mark Bürgschaf­ten übernommen und Ausgaben getätigt hatte, die aufgrund der trostlosen wirtschaft­lichen Finanzlage der Stadt unbedingt hätten vermieden werden müssen.

Dr. Lürken trat sofort zurück

Der Untersuchungsausschuss erklärte so­dann, dass er die getroffenen Feststellungen nach bestem Wissen und unter Ausschaltung jedes persönlichen Moments gemacht habe. Der Ausschuss legte dem Bürgermeister nahe, seinen sofortigen Urlaub zu beantra­gen. Dr. Lürken reichte noch in der gleichen Stunde sein Pensionierungsgesuch bei dem anwesenden Landrat ein, der sofort zu­stimmte. Die Amtsgeschäfte übernahm am gleichen Tag der gesetzmäßige Vertreter des Bürgermeisters, NSDAP-Beigeordneter Fritz Köster. Dr. Franz Lürken trat nach seinem Abgang aus Dorsten, wo er fast zehn Jahre lang Bürgermeister gewesen war, am 1. Dezember 1933 das Amt des Bürgermeisters von St. Mauritz (bei Münster) an, wurde dort Kreis­feuerwehrführer des Kreises Münster-Land und Wehrführer der Amtsfeuerwehr St. Mauritz. Er verunglückte tödlich bei einem Autounfall am 23. April 1937.

Drohung: Im Konzentrationslager über Deutschland nachdenken

Fritz Köster hebelte Dr. Lürken aus dem Amt

Drei Tage nach der Besprechung im Dienst­zimmer des zurückgetretenen Bürgermei­sters informierte der Untersuchungsaus­schuss am 16. Juni 1933 die Stadtverordneten­versammlung vom Ergebnis der Untersu­chung gegen Dr. Lürken. Die Magistratsmit­glieder des Zentrums, Hörsken und Norres, kritisierten den Bericht. Daraufhin wurden sie von NSDAP-Rednern aufgefordert, ihre Mandate niederzulegen. Beigeordneter Kö­ster drohte den Kritikern sogar mit Konzen­trationslager. Er sagte:
»Dank der tiefgründigen Arbeit des Unter­suchungsausschusses ist ein völlig klares Bild über die Verhältnisse bei der Stadtver­waltung Dorsten entworfen, Fehler und Fehlerquellen festgestellt worden. Die Mit­glieder des Untersuchungsausschusses haben nur eine hl. Pflicht gegenüber dem Volk erfüllt. Sie mit irgendeiner Schuld zu belasten, grenzt an ein Verbrechen. Die NSDAP verwarnt ernstlich alle Pharisäer, die auch nur in der kleinsten Form dazu beitragen, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses irgendwie zu belasten. Wer aufgrund dieses Berichtes Unruhe in die Bevölkerung tragen wolle, der kann sich in einem Konzentrationslager darauf besinnen, was im nationalsozialistischen Deutschland notwendig ist.«

Dr. Josef Gronover (NSDAP) wurde Lürkens Nachfolger

Ehrenerklärung der NSDAP für den verdrängten Bürgermeister

Nach dem Bekenntnis des Redners zu Adolf Hitler sangen die Mitglieder der Stadtver­ordnetenversammlung, so die Dorstener Volkszeitung, spontan das Horst-Wessel-Lied. Beigeordneter Fritz Köster verlas danach eine Ehrenerklärung für den von ihm ver­drängten Bürgermeister Dr. Lürken:
»Nachdem Ihnen soeben die Feststellung und das Ergebnis des Untersuchungsausschusses zur Kenntnis gebracht worden ist, möchte ich als der gesetzliche Vertreter des Bürgermeisters Gelegenheit nehmen, die Erklärung vor Ihnen abzugeben, dass die persönliche Ehre des Bürgermeisters Dr. Lürken von der NSDAP in keiner Weise angetastet wird. Auch was die politische Ehre des Bürgermeisters Dr. Lürken angeht, so haben wir von der NSDAP keine Veranlassung, diese in Zweifel zu ziehen, und zwar vornehm­lich im Hinblick auf die Verdienste, die Herr Bürgermeister Dr. Lürken sich in Zeiten des Krieges, des Grenzschutzes und der Ruhrbesetzung zum Wohle unse­res Vaterlandes erworben hat. Dies Ihnen zur Kenntnis zu bringen, halte ich mich für verpflichtet.«

Hauptamtlicher Nachfolger von Dr. Lürken  wurde Dr. Josef Gronover (NSDAP), der zuvor Bürgermeister in St. Mauritz war.

Der Eid der Ratsherren

Ratsherren mussten arischer Abstammung sein und eine nationalsozialistische Gesinnung durch Mitgliedschaft in der Partei oder ih­ren Gliederungen nachweisen. Die Eides­formel lautete:

»Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.«

 

 

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