Von Frank Gläßner
Beinahe 700 Jahre alt ist die Stadt Dorsten am frühen Nachmittag des 22. März 1945. Alt ist das städtebauliche Gefüge innerhalb der Wälle. Nahezu unverändert, seit Hunderten von Jahren, ist das System der Straßen, Wege und Plätze, sind der Zuschnitt und die Größe der Parzellen. Erneuert wurden im Laufe der Zeit nur die baufällig gewordenen Häuser, die Harmonie des Stadtbildes aber blieb auch dann erhalten. Mitte des letzten Jahrhunderts aber fand ein neuer Zeitgeist allmählich seinen gestalterischen Ausdruck. Gewachsener Wohlstand musste nicht nur bei den ersten größeren Stadterweiterungen außerhalb der Wälle, sondern auch unter den hemmenden städtebaulichen Bedingungen des historischen Stadtkerns mitgeteilt werden. Die einst das Stadtbild bestimmende bürgerliche Schlichtheit wurde in die untergeordneten Bereiche zurückgedrängt, die Häuser in den Geschäftsstraßen erhielten »einen Zementvorhang mit allem denkbaren Unfug« (Dr. J. Wiedenhöfer: Die Baukunst im Vest Recklinghausen und das Vest im Bilde, Münster 1910).
Trotz aller verkrampften Modernisierungsbemühungen konnte das alte Stadtgefüge den Anforderungen unseres Jahrhunderts an gesunde Wohnverhältnisse nicht mehr gerecht werden. Wie vielerorts, so wurde auch in Dorsten die Notwendigkeit einschneidender baulicher Veränderung des Stadtkerns diskutiert. Konkrete Planungen oder Maßnahmen entstanden aus solchen allgemeinen Überlegungen nicht, da die rechtlichen Grundlagen für ihre Durchsetzung fehlten und die geringe Mitwirkungsbereitschaft der vielen Kleineigentümer die Planer früh entmutigte.
Innerhalb von Minuten war die Stadt zerstört
1941 wurden die Bauämter in allen Städten angewiesen, die Arbeit an Neugestaltungsplänen gänzlich einzustellen und sich auf Bauten der zivilen Verteidigung und Schadenskartierungen zu konzentrieren. Auf Dorsten fiel die erste Bombe zwar schon im November 1940, aber trotz verschiedener Bombardierungen in den folgenden Jahren schien es bis zum März 1945, als wenn der Stadtkern von größeren Zerstörungen verschont bleiben sollte. Diese Hoffnung erlosch an jenem 22. März 1945 in wenigen Minuten im alliierten Bombenhagel. Die alte Stadt sank in Schutt und Asche. Schon Stunden nach dem Angriff vom 22. März, bei welchem mehr als 80 v. H. der Häuser in der Innenstadt zerstört wurden, begannen die notdürftigen Aufräumungsarbeiten, die ersten konzeptionellen Gedanken über einen Wiederaufbau wurden bald nach Kriegsende diskutiert.
»Anfangs wurde von verschiedenen Seiten die Meinung vertreten, dass es wohl das Richtigste wäre, die Trümmerstätten zunächst liegen zu lassen und die Stadt ganz neu, außerhalb des alten Weichbildes, unter Verwendung der Trümmer zu errichten. Diese Vorschläge wurden von fachmännischer Seite aus vielen Gründen verworfen, besonders weil durch einen derartigen Wiederaufbau zu viel wertvolles gärtnerisch und landwirtschaftlich genutztes Land der Volksernährung verloren gehen würde, und sie gerieten sehr bald in Vergessenheit« (Betrachtungen zum Wiederaufbau Dorstens unter besonderer Berücksichtigung der Grundstücksumlegung vom bei der Amtsverwaltung angestellten Landmesser Zahn, Dorsten, 18. Juli 1956).
Obwohl die geistige Auseinandersetzung mit der Frage »Wiederaufbau oder Neubeginn an einem anderen Standort« in Dorsten nicht dokumentiert ist, dürfte der Entzug landwirtschaftlicher Fläche kaum der Hauptgrund für den Wiederaufbau gewesen sein. Es gab zumindest in anderen Städten starke Kräfte, für die es wichtig war, den Bruch mit dem Faschismus möglichst deutlich zu veranschaulichen. Die »Stunde Null« wurde zu ihrem Schlagwort, die grundlegende Auseinandersetzung mit den Rudimenten der Vergangenheit war dementsprechend überflüssig und wurde verdrängt. Der Bau einer gänzlich neuen Stadt hätte geholfen, den Blick strikt in die Zukunft zu richten. Dass solche Strategien nirgendwo Realität wurden, lag wohl in erster Linie am Materialmangel und den unzureichenden technischen Möglichkeiten. »Es galt, sich zu grenzenloser Armut zu bekennen und einen Aufbau unter Verwendung vorhandener Werte und bestimmt von nackten Notwendigkeiten zu durchdenken.« (Niels Gutschow: Stadträume des Wiederaufbaus – Objekte der Denkmalpflege? in: Deutsche Kunst- und Denkmalpflege, München 1985).
Was war erhalten geblieben?
Welche Werte waren den Dorstenern erhalten geblieben? 61 v. H. der Kanalisation, 30 v. H. des Gasversorgungsnetzes und 50 v. H. des elektrischen Versorgungsnetzes waren in der Innenstadt unzerstört; unbeschädigt oder mit geringem Aufwand instand zu setzen waren 20 v. H. der Gebäude. Außerdem hatten die Dorstener ihre Stadt geliebt. Wollte man diese Werte für die Zukunft nutzen, war beim Wiederaufbau zumindest das historische Straßennetz weitgehend wieder aufzunehmen. Die traditionelle städtische Raumfolge jedoch, darin waren sich alle an den Vorüberlegungen Beteiligten einig, musste den durch die wachsende Motorisierung zu erwartenden Verkehrsbedürfnissen angepasst werden, indem die Hauptstraßen verbreitert und die Reste des die Lippestraße teilenden Drubbels abgeräumt wurden.
Auch die neue Bebauung sollte auf die sozialen und ökonomischen Belange der Zukunft ausgerichtet werden, denn »die alten Stadtviertel waren entweder Elendsquartiere der ärmsten Bevölkerung oder aber, nach außen, reizvolle alte Winkel und Gässchen, die dem Maler und Photographen unzählige Motive für Stimmungsbilder boten, im Innern aber Rattennester und Seuchenherde. Die Wohndichte in ihnen war um ein Vielfaches höher als in den neueren Außenbezirken, und die in allen Teilen Deutschlands aufgestellten Statistiken bewiesen, dass in den übersiedelten Städten die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit, die Tuberkulosehäufigkeit, die Ausbreitung von epidemisch auftretenden Krankheiten, die Jugendkriminalität und andere Schäden am Volkskörper weit höher lagen als in den Außenbezirken« (Landmesser Zahn).
Eine hygienisch saubere Stadt sollte erblühen
Vor allem hygienisch, aber auch wirtschaftlich gesund, schön und liebenswert sollte Dorsten wieder erblühen. Zunächst aber waren die Voraussetzungen für die Realisierung dieser Ziele zu schaffen. Die Probleme des Tages, Hunger und Obdachlosigkeit, mussten bewältigt werden, der riesige Trümmerberg war zu beseitigen, und die für den planvollen Wiederaufbau notwendigen Rechtsinstrumente waren zu erarbeiten und in den hierfür vorgesehenen Verfahren zur Rechtskraft zu bringen. Mehr als ein Jahr vor dem Beginn systematischer Planungsarbeiten im Bauamt wurde unter Leitung eines im Januar 1946 gebildeten Wiederaufbauausschusses die Enttrümmerung der Innenstadt in Angriff genommen. Über den Verlauf der Enttrümmerung, die im Herbst 1948 im Wesentlichen abgeschlossen war, gab es unterschiedliche, mit Leidenschaft in der Öffentlichkeit diskutierte Auffassungen.
Am 5. Juni 1948 erschien ein Artikel in den »Westfälischen Nachrichten«, in welchem hervorgehoben wurde, dass es nur »dem zielstrebigen, unbändigen Willen, der überschäumenden Tatkraft« und der »freien Initiative« der Dorstener Bevölkerung zu verdanken sei, dass die Innenstadt bis zu diesem Zeitpunkt zu 90 v. H. enttrümmert ist. Bittere Klage wurde im gleichen Artikel gegen die Stadtverwaltung geführt, weil sie ihrer Verpflichtung, während dieser zwei Jahre die Stadtplanung soweit voranzutreiben, dass mit dem Wiederaufbau sofort nach der Enttrümmerung begonnen werden konnte, nicht nachgekommen sei. Die Schuld wurde dem »bunten Hin und Her in der Verwaltung« gegeben, »das die wirklich ersprießliche Arbeit für den Wiederaufbau unendlich erschwert«.
Wenige Tage später nahm der im Dezember 1946 von der Amtsvertretung Hervest-Dorsten zum Amtsbauamtsleiter gewählte Bauassessor Ludwig Maduschka in der gleichen Zeitung zu diesen Behauptungen und Vorwürfen Stellung. Er erkannte zwar die Beteiligung der Bevölkerung bei der Enttrümmerung grundsätzlich an, wies aber darauf hin, dass diese erst nach zahlreichen Aufrufen und unter immerwährendem Drängen der Stadtverwaltung angelaufen war und letztlich sogar mindestens zur Hälfte von der Stadt selbst durchgeführt wurde. Für die Verzögerung bei der Wiederaufbauplanung machte er neben verschiedenen äußeren Hinderungsgründen vor allem die mangelnde Mitwirkungsbereitschaft vieler Grundstückseigentümer bei der zunächst erforderlichen Baulandumlegung verantwortlich.
Streit um die Leistungen der Enttrümmerung
Dieser Auffassung wurde wiederum vom Vorsitzenden des Enttrümmerungs- und Wiederaufbauausschusses und späteren Bürgermeisters Paul Schürholz heftig widersprochen. Er stellte heraus, dass nur ein kleiner Teil der Trümmerstätten, nämlich die der wirtschaftlich Schwächsten, der Witwen und Waisen, von städtischen Kolonnen beseitigt worden war. Die hierbei entstandenen Kosten seien zudem von den übrigen Bürgern getragen worden. Ansonsten hätte sich »das System der Selbsthilfe auf privater Grundlage ohne direktes Eingreifen der Amtsverwaltung und ohne Zuhilfenahme gesetzlicher Unterlagen oder Dienstverpflichtungen« außerordentlich bewährt und in kürzester Zeit zu einem vollen Erfolg geführt. Als Hauptursachen für den zeitlichen Rückstand bei den Planungsarbeiten nannte Paul Schürholz vor allem das mangelnde Einfühlungsvermögen des Bauassessors in die speziellen Probleme der Bevölkerung und seine fachliche Arroganz gegenüber den am Aufbau beteiligten Architekten und den zuständigen Ausschüssen.
Welche Leistungen bei der Enttrümmerung von wem erbracht worden sind, ist heute aufgrund der vorhandenen Quellen nicht mehr objektiv nachvollziehbar. Tatsache ist, dass die Trümmermenge in der Innenstadt 110.000 cbm betrug und damit, bezogen auf die Einwohner in diesem Bereich, sogar über dem Wert für das nahezu völlig zerstörte Dresden lag, dass die Enttrümmerung deutlich zügiger ablief als in vergleichbaren Städten, dass es besonders ab Herbst 1947 zahlreiche von der Stadtvertretung und der Verwaltung initiierte Aufrufe gab, durch welche die erlahmende Initiative der Bevölkerung erneut geweckt werden sollte, dass der zunächst zum Ende des Jahres 1947 vorgesehene Abbau der zum Abtransport der Trümmer notwendigen Gleisanlagen erst im September 1948 erfolgte und dass Dorsten die erste total zerstörte Stadt gewesen ist, die im Dezember 1948 den Abschluss der Enttrümmerung der Innenstadt melden konnte.
Zu diesem Zeitpunkt waren wesentliche Weichen zur Erfüllung der für den geordneten Wiederaufbau erforderlichen formalen Voraussetzungen gestellt. Dem Antrag der Stadtvertretung vom Juli 1947 beim Wiederaufbauminister auf Ermächtigung zur Aufstellung und Durchführung eines Neuordnungsplanes für den Bereich der Innenstadt war stattgegeben worden. Wie unter den gegebenen Umständen nicht anders zu erwarten war, gestaltete sich die Durchführung des Neuordnungsplanes als äußerst schwierig. Besonders die Grundstücksumlegung beschäftigte die Planer, die betroffenen Eigentümer und die Stadtvertretung über Jahre.
Ludwig Maduschka: Neid, Habgier, Missgunst
Wie schwierig die zunächst auf eine einvernehmliche Lösung ausgerichteten Verhandlungen gewesen sind, wird aus einer Stellungnahme Ludwig Maduschkas in den Westfälischen Nachrichten vom 26. Juni 1948 deutlich:
»Das Bauamt, wie der zum Zweck der gütlichen Einigung der Eigentümer aus Stadtvertretern zusammengesetzte Schlichtungsausschuss, haben sich die erdenklichste Mühe gegeben, allen Wünschen gerecht zu werden. Wer aber erlebt hat, dass ein Anlieger durch sein wiederholtes Nichterscheinen zum Verhandlungstermin eine mögliche Einigung einfach sabotiert oder die erreichte Einigung eines halben Baublocks durch das noch keine 24 Stunden später fernmündlich eingehende Veto der Ehefrau eines Anliegers zunichte gemacht wird, wer das erniedrigende Feilschen um Zentimeter erlebt hat, wer erfahren musste, dass ein Besitzer sein Grundstück nur tauschen will, wenn es ein ehemaliger Nachbar nicht erhält, wer gesehen hat, wie Neid, Habgier und Missgunst oft unverhüllt zutage treten, der begrüßt die durch Ministeriums-Erlass vom 13. Mai 1948 ergangene Ermächtigung, nach der die Stadt Dorsten nunmehr erforderliche Neuordnungsmaßnahmen auch zwangsweise durchführen kann. Und dies muss im Interesse der Gutwilligen und Einsichtigen umgehend geschehen, damit fürderhin keiner mehr (in Anlehnung an Heinrich Heine) sagen kann: Und da keiner von den beiden wollte, dass der andere vor ihm baue, baute keiner von den beiden!«
Doch es wurde in Dorsten trotz aller Hinderungsgründe gebaut, wenn auch erst vereinzelt. Geschäftsleute hatten eine Aufhebung des generell geltenden Ladenbauverbotes erwirkt, so dass mit dem Wiederaufbau des Kaufhauses Kempa im September 1948 begonnen werden konnte. Bereits einen Monat später eröffnete mit dem Geschäft Siebel der erste Laden auf der Lippestraße, zur gleichen Zeit begannen die Ausbauarbeiten an der Essener Straße mit der Verlegung der Bordsteine.
Vorerst eine zaghafte Bautätigkeit
Auf welchem städtebaulichen Grundgerüst vollzog sich nun diese erste zaghafte Bautätigkeit? Durch die eher vorsichtige Vorbereitung der Hauptstraßen und die behutsame Zurücknahme der Baufluchten blieb der historische Stadtgrundriss nahezu unverfälscht erhalten, der spezifische Charakter der Stadt war weiterhin spürbar. Von der ehemaligen Bebauung allerdings waren spätestens nach der durchgeführten Enttrümmerung nur wenige Einzelbauten verblieben. Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, ob nicht doch Teile der für den städtebaulichen Zusammenhang und den geschichtlichen Kontext wichtigen historischen Alltagsarchitektur hätten gerettet werden können. Sicher ist, dass zahlreiche Fassaden und Fachwerkkonstruktionen zumindest teilweise den Bombenhagel überstanden hatten. Bei einigen war durch die bestehende akute Einsturzgefahr ein Abriss sicherlich unvermeidlich, manche Ruinen aber wären wieder herstellbar gewesen. Durch eine 1946 erlassene Kontrollratsverordnung, die „stärker zerstörte Bauten“ zum Abriss freigab, und die für Dorsten vielfach dokumentierte allgemeine Ablehnung der Rekonstruktion historischer Architektur wurden solche als konservativ abgestempelten Bestrebungen unterdrückt. Vielleicht war es auf dem Hintergrund der Wohnungsnot aber auch vernünftiger, billiger und schneller zu erstellende Neubauten zu verordnen.
Diese mussten sich in ein Konzept einfügen, welches eine eher schematische zwei- bis dreigeschossige, geschlossene Bebauung der Blockränder vorsah. Die neuen Grundstückszuschnitte und die Festlegung der Bautiefen begünstigten die Ausrichtung der Dachtraufen zur Straße, die einst überwiegende Giebelständigkeit der Häuser mit den für Dorsten typischen vielen schmalen Traufgassen wurde aufgegeben.
Keine bindenden Vorschriften der Fassadengestaltung
Bindende Vorschriften zur Fassadengestaltung hat es nicht gegeben, aber das Bauamt bemühte sich im Rahmen der Bauberatung um »die Förderung der Baukultur, nicht nur bei großen Bauvorhaben, sondern gerade auch bei den nun entstehenden kleinen oder behelfsmäßigen Bauten« (L. Maduschka, Der Wiederaufbau der Innenstadt Dorsten, Dorsten 1948). Dass diese Beratung von den Bürgern oft eher als ein zum Widerspruch reizender Befehlsempfang empfunden wurde, hat sicherlich manche bessere Lösung verhindert. Die Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Leiter des Bauamtes und den Kaufleuten der Innenstadt waren demzufolge auch mehrfach Gegenstand ausführlicher Erörterungen in den Sitzungen der Stadtvertretung.
Unter Berücksichtigung der genannten städtebaulichen Grundsätze wurden teilweise alternierende Gestaltungspläne erarbeitet und mit den Bürgern und zuständigen Ausschüssen abgestimmt. Der sich aus diesen Teilkonzepten allmählich entwickelnde Bebauungsplan ist dann im Juli 1949 zusammen mit der Grundstücksumlegung und der Untersagung bestimmter Gewerbe innerhalb der Wälle, die durch Lärm, Geruch, ihre äußere Gestaltung usw. die Umgebung stören, dem zuständigen Minister für Wiederaufbau zur Festsetzung zugeleitet worden. Trotz verschiedener, späterer Änderungen des Planes waren damit die Grundsätze, nach welchen der Wiederaufbau erfolgen sollte, rechtlich festgeschrieben.
Durch die im Frühsommer 1948 durchgeführte Währungsreform hatten sich auch die materiellen Voraussetzungen für Bauwillige so entscheidend verbessert, dass schon 1951 zur 700-Jahr-Feier die künftigen Konturen der Innenstadt klar erkennbar waren. Dementsprechend stellten der Bürgermeister P. Schürholz und der Stadtdirektor Dr. W. Bänke im Geleitwort zur Geburtstagsfestschrift nicht ohne Stolz fest: »Dorsten hat die Schwelle einer neuen Entwicklung bereits überschritten!«
Zeitliche Distanz erschwert eine gerechte Beurteilung
Aus der zeitlichen Distanz von Jahrzehnten die Ergebnisse der kämpferischen Auseinandersetzung um die Einleitung dieser Entwicklung gerecht zu beurteilen, ist kaum möglich. Die geistigen Irritationen zwischen euphorischer Aufbruchstimmung und schleichender Resignation, die materiellen Nöte und andere wesentliche Einflussfaktoren sind in ihrer Bedeutung für Entscheidungen nur schwer nachvollziehbar. Im Vergleich zu anderen Städten, die unter ähnlichen Rahmenbedingungen wiederaufgebaut worden sind, zeigt sich, dass in Dorsten die Mängel der überkommenen Stadt weitgehend behoben worden sind, ohne dass dabei der spezifische Charakter, wie vielerorts, verloren gegangen wäre. Beim Umgang mit den Resten der alten Bebauung hätte man sich allerdings der Vergangenheit stärker verpflichtet fühlen sollen, denn überall, wo im Rahmen der Aufbauplanungen »konservativer« argumentiert wurde, sind, auch an heutigen Anforderungen gemessen, tragfähige Lösungen entstanden, bei welchen sich die historische Architektur weniger oft als räumlich isolierter Anachronismus darstellt.