Von Wolf Stegemann
Die Erkenntnis, dass Nationalsozialismus und Christentum unvereinbar sind, dürfte heute wohl allgemein verbreitet sein. Damals, vor und nach 1933, konnte in Deutschland diese Einsicht nur haben, wer auf der einen Seite eine klare Vorstellung vom Wesen der nationalsozialistischen Weltanschauung hatte und auf der anderen Seite um den Anspruch des christlichen Glaubens wusste.
In seinem Buch »Mein Kampf« hatte Hitler die konfessionelle Neutralität seiner Bewegung betont. Hitler verkündete schärfste Trennung von Staat und Kirche. Diese habe sich nur mit dem Leben im Jenseits zu befassen und sich keinesfalls darum zu kümmern, was mit den Menschen im Diesseits vor sich ginge. Das sollte ausschließlich Angelegenheit des Staates sein. Hitler: »Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein.«
Nationalsozialismus wollte die Religion ersetzen
Mit brutaler Konsequenz hielt sich Hitler nach anfänglichen taktischen Täuschungsmanövern (Konkordat) an seine als politischen Glauben verkündete Ideologie, die kein Sowohl-als-auch, sondern das Entweder-oder beinhaltete. Der Nationalsozialismus wollte die Religion ersetzen. Auf dem Weg über die Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, die Verfolgung und Unterdrückung der Kirchen, strebte der Nationalsozialismus nach dem Endsieg die Installierung einer eigenen, allumfassenden »Religion« an, deren Stifter, Heilsbringer, Messias – und vielleicht Gott selbst – Adolf Hitler als »Christus II.« (SS-Ausspruch) sein sollte. Mit solch irren Plänen befassten sich damals Wissenschaftler und die oberste Parteiführung:
»Ohne Durchschlag, 14. August ¡943, Streng reservat, Nur für den Führer bestimmt. IV. Sitzungsbericht; Vorschlag VI. (nach Bauer) Nach Vornahme einiger Änderungen zur Vorlage an den Führer angenommen. Sofortige und bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse nach dem Endsieg, und zwar nicht nur für das Gebiet des Großdeutschen Reiches, sondern auch für sämtliche befreiten, besetzten und annektierten Länder, Protektorate, Gouvernements etc. mit gleichzeitiger Proklamierung Adolf Hitlers zum neuen Messias. Aus politischen Erwägungen sind von dieser Maßnahme einstweilen der mohammedanische, buddhistische sowie der Shinton-Glaube auszunehmen. Der Führer ist dabei als ein Mittelding zwischen Erlöser und Befreier hinzustellen – jedenfalls aber als Gottgesandter, dem göttliche Ehren zustehen. Die vorhandenen Kirchen, Kapellen, Tempel und Kultstätten der verschiedenen Religionsbekenntnisse sind in „Adolf-Hitler-Weihestätten“ umzuwandeln. Ebenso haben sich die theologischen Fakultäten der Universitäten auf den neuen Glauben umzustellen und besonderes Gewicht auf die Ausbildung von Missionaren und Wanderpredigern zu legen, die sowohl im Großdeutschen Reich als auch in der übrigen Welt die Lehre zu verkünden und Glaubensgemeinschaften zu bilden haben, die als Organisationszentren zur weiteren Ausbreitung dienen sollen. (Dabei fallen auch die Schwierigkeiten bei der geplanten Aufhebung der Monogamie weg – kann doch die Polygamie ohne weiteres als Glaubenssatz in die neue Lehre eingebaut werden.)
Als Vorbild des Gottgesandten möge die Figur des Gralsritters Lohengrin dienen, die keltisch-germanischer Phantasie entsprungen, bereits ein gewisses traditionelles Ansehen genießt (ähnlich wie die Sagengestalt Wilhelm Teils in der Schweiz seit langem zu einem Symbol geworden ist). Durch entsprechende Propaganda müsste die Herkunft des Führers noch mehr als bisher verschleiert werden, so wie auch sein künftiger Abgang einmal spurlos und in vollständiges Dunkel zu erfolgen hätte (Rückkehr in die Gralsburg).«
Das Schreiben trägt die handschriftliche Anmerkung von Adolf Hitler:
»Der erste brauchbare Entwurf! Zur Bearbeitung an Dr. Goebbels. Adolf Hitler«
Statt in der »Gralsburg« im Karton des sowjetischen Geheimdienstes
Diese wirre NS-Gemischtwaren-»Religion«, die in den Köpfen der »Jünger Adolf Hitlers« herumspukte, ist eine abenteuerliche Zusammensetzung von Sage, Märchen, Oper und Kultglauben, die eher der Feder eines schlechten Schriftstellers entsprungen sein könnte, als den Gehirnen derer, die das deutsche Volk regierten. Sie führten es schließlich in den Abgrund der Katastrophe. Adolf Hitlers Abgang hinterließ Spuren: Sein Ende im Garten hinter der Reichskanzlei war alles andere als die »Rückkehr in die Gralsburg«. Statt im mystischen Himmel landeten seine Überreste in einem Karton im sowjetischen Staatsarchiv.
Gedichte und Gebete
Was für die Zeit nach dem Endsieg angestrebt war, wurde bereits im nationalsozialistischen Alltag dort Wirklichkeit, wo man versuchte, den Reichskanzler und Führer in Gedichten und Gebeten mit einer Heils-Gloriole zu umgeben:
Stille Nacht: Stille Nacht, heilige Nacht, / Alles schläft, einsam wacht / Nur der Kanzler treuer Hut. / Wacht zu Deutschlands Gedeihen gut./ Immer für uns bedacht.
Stille Nacht, heilige Nacht, / Alles schläft, einsam wacht / Adolf Hitler für Deutschlands Geschick, / Führt uns zur Größe, zum Ruhm und zum Glück, /Gibt uns Deutschen die Macht.
Stille Nacht, heilige Nacht, / Alles schläft, einsam wacht / Unser Führer für deutsches Land, / Von uns allen die Sorge er bannt. / Dass die Sonne uns lacht. (Fritz von Rabenau, 1934)
Der Führer kommt: Im Stadion Millionengewimmel. / Und Fahnen stehn wie ein Wald. / Sie blicken alle zum Himmel. / Nun kommt der Führer bald. / Der Führer! Ja, Gott erhörte / Gepeinigten Volkes Gebet. / Wie haben wir argvoll Betörte / Ihn brünstig uns erfleht!
Still, still. Nun summt es. Der Flieger! / Aufgejubelt Millionenschar. Der Eine! Der Held! Der Sieger! / O Deutschlands neuer Aar! (Herybert Menzel, 1933)
Der Erlöser: Für unser deutsches Land, / hat Christus uns gesandt / den Führer, der uns all‘ entzückt (Fritz von Rabenau, 1934)
Vor dem Essen: Führer, mein Führer, von Gott mir gegeben, / beschütz‘ und erhalte noch lange mein Leben! / Hast Deutschland gerettet aus tiefster Not. / Dir danke ich heute mein tägliches Brot. / Bleib noch lange bei mir, verlass mich nicht, / Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht! / Heil mein Führer!
Nach dem Essen: Dank sei Dir für diese Speise, / Beschützer der Jugend, Beschützer der Greise! / Hast Sorgen, ich weiß es, doch kümmert’s Dich nicht, / ich bin bei Dir bei Nacht und bei Licht. / Leg ruhig Dein Haupt in meinen Schoß, bist sicher, mein Führer, denn Du bist groß. / Heil, mein Führer! (Gesprochen bei Kinderspeisungen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, NSV)
Jesus und Hitler: Wie Jesus die Menschen von der Sünde und Hölle befreite, so rettete Hitler das deutsche Volk vor dem Verderben. Jesus und Hitler wurden verfolgt, aber während Jesus gekreuzigt wurde, wurde Hitler zum Kanzler erhoben. Während die Jünger Jesu ihren Meister verleugneten und ihn im Stiche ließen, fielen die 16 Kameraden für ihren Führer. Die Apostel vollendeten das Werk ihres Herrn. Wir hoffen, dass Hitler sein Werk selbst zu Ende führen darf. Jesus baute für den Himmel, Hitler für die deutsche Erde (Diktat in der Volksschule).
Der Sitzungsbericht 14. August 1943 mit der geplanten Religionspolitik nach dem Endsieg, den sie hier zitieren, woher stammt dieses Dokument, dieses Zitat. Haben Sie eine konkrete Quelle dazu?