Von Wolf Stegemann
Im Jahre 1945 lösten die Besatzungsmächte den NS-Polizeiapparat auf. In großem Umfang wurden Polizeibeamte, besonders Kriminalbeamte, degradiert, entlassen oder in Lagern interniert. »Rache und Vergeltung auf der einen und der Kampf ums Überleben auf der anderen Seite diktierten die Kriminalität der Nachkriegsjahre. Für das Verbrechen begann eine goldene Zeit. Ausländer, die jeglichem Zugriff durch deutsche Polizei – die nicht selten aus so genannten Hilfspolizisten bestand – durch Alliiertenverfügung entzogen waren, schlössen sich zu Banden zusammen, raubten, plünderten und mordeten. Schließlich mussten die Besatzungsmächte einsehen, dass das verheerende Anwachsen der Kriminalität nicht nur die deutsche Bevölkerung gefährdete, sondern auch die Angehörigen der Besatzungsmächte.«
Polizisten fehlte es an allem: Kleidung, Ausrüstung, Ausbildung
Die britische Militärregierung richtete am 1. Januar 1946 in ihrer Zone Kriminalpolizeiämter sowie für das gesamte Gebiet der britischen Besatzung das »Kriminalpolizeiamt für die britische Zone« ein. Aus ihm ging 1951 das Bundeskriminalamt hervor. Allerdings fehlte es an zuverlässigen und ausgebildeten Beamten, denn noch war die Entnazifizierung in vollem Gange, so dass die meisten Polizeibeamten noch keinen Dienst wieder versehen konnten. Zudem fehlte es an der Bewaffnung und die Befugnisse der Polizisten waren stark eingeschränkt. Das ermutigte im ersten Nachkriegsjahr Schieber und Betrüger, Plünderer und Vergewaltiger. Im britischen Besatzungsbereich unterstand die Polizei den örtlichen Polizeiausschüssen, deren Vorsitzender der Bürgermeister war. Das behinderte zudem »eine über die Gemeindegrenzen hinaus erfolgreiche Verbrechensverfolgung«. Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel schreibt in »Dorsten nach der Stunde Null«:
»In Dorsten wurden unmittelbar nach dem Einmarsch der Alliierten zunächst unbescholtene und politisch unbelastete Bürger zu Hilfspolizisten bestellt. Mit weißer Armbinde versehen, sollten sie, völlig unbewaffnet, für Ordnung sorgen. Hilfspolizeibeamte der ersten Stunde waren in Dorsten Hugo Blatzheim, Gerhard Dönnebrink, Wilhelm Neumann, Johann ten Bulte, Hermann Ostrop, Alois Pohl und August Flierdl. In Hervest-Dorsten war Karl Bernhardt, in Holsterhausen waren ab Mai 1945 Otto Budzus, Josef Janowitz, Fritz Ziegler, Peter Stricker, Adolf Schonrath, Wilhelm Göring, Josef Schröter, Heinrich Hoffjahn, Fritz Kramer und Gustav Lange im Einsatz. In Wulfen waren seit 11. April 1945 Hermann Weseler, Heinrich Harding, Johann Feller und ab 1. Mai 1945 noch Heinrich Schäpers und Johann Büning eingesetzt. In Lembeck waren Max Limberg und Josef Loick tätig, in Rhade Josef Hattebur und in Erle Johann Heiming.«
Schlecht bezahlte Hilfspolizisten wurden bald wieder abgeschafft
Polizeibeamte verdienten 180 RM im Monat. Deshalb mussten sich die meisten nach Dienstschluss noch etwas dazu verdienen. Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel zitiert im genannten Buch den Hilfspolizeibeamten Wilhelm Göring, der beim Amt Hervest-Dorsten angestellt war, und am 29. November 1945 ein Gesuch ans Amt einreichte:
»Seit dem 1. April 1945 versehe ich als Hilfspolizeibeamter beim Amt Hervest-Dorsten Außendienst. Seit dieser Zeit trage ich zum Dienst meine Zivilkleidung. Ferner benutze ich mein Privatfahrrad. Die Bereifung meines Fahrrades ist stark abgefahren. Als Hilfspolizeibeamter erhalte ich monatlich einen Nettobetrag von 163 RM. Ich habe eine fünfköpfige Familie zu unterstützen, dazu meine Schwiegermutter. Ich bitte um Zuweisungen folgender Sachen, die ich dringend benötige: 1 Anzug, 1 Paar Schuhe, 2 Unterhosen, 1 Wintermantel, 1 Schirmmütze, 1 Unterhemd, 1 Oberhemd und Fahrradbereifung.«
Der Einsatz der Hilfspolizisten war jedoch nur von kurzer Dauer. In einem Schreiben des Amtsbürgermeisters Desoi vom 18. September 1945 heißt es:
»Nachdem in den ländlichen Gemeinden die Gendarmeriestationen wieder ordnungsgemäß eingerichtet sind, bleibt für die Tätigkeit der Hilfspolizeibeamten kein Raum mehr. Nach Benehmen mit dem Herrn Landrat habe ich den Auftrag erhalten, die Hilfspolizeibeamten zu entlassen.«
Nur nach Sonderprüfung für Polizeibeamte wieder in den Dienst
Nach und nach kehrten aus der Gefangenschaft Polizeibeamte zurück. Bevor sie wieder angestellt werden konnten, mussten sie entnazifiziert und von einem speziellen Sonderausschuss für Polizeibeamte in Münster überprüft werden. Mit einer politischen Unbedenklichkeitserklärung versehen, konnten sie sich beim Dorstener Polizeichef Quaschnowitz melden und beim Amtsdirektor Desoi auf Wiedereinstellung hoffen.
Die Polizei stand vor praktisch unlösbaren Aufgaben. Felddiebstähle, Einbrüche, Straßenraub, Fälschungen aller Art, Schwarzschlachterei, Schwarzbrennerei bis zu Plünderungen, Mord und Vergewaltigungen waren nach dem Kriege an der Tagesordnung. Zur wirksamen Bekämpfung stellte die Militärregierung den Ortspolizeibehörden des Landkreises Recklinghausen Militär-Streifen der »Alliierten Polizei« zur Verfügung. Laut Verfügung vom 10. Juli 1945 heißt es: »Auf Anordnung der Militär-Regierung sind die zugewiesenen Militär-Posten der Alliierten Polizei von den Ortspolizeibehörden unterzubringen und zu verpflegen.« Die Kontrolle dieser Alliierten Polizei wurde in Dorsten zunächst durch ihren holländischen Führer Alex »Le Belle« ausgeübt und auf Anordnung von Capt. Carr ab 1. September 1945 durch Theodor Peters. Die Alliierte Polizei war bis Anfang 1947 im Kreis Recklinghausen im Einsatz. Deren Mitglieder durften im Gegensatz zu ihren deutschen »Kollegen«, mit denen sie gemeinsam auf Streife gingen, trugen sie Dienstwaffen. Erst ab 1951 durfte auch die deutsche Polizei wieder Waffen besitzen.
Unbefugtes Tragen von Uniformen
»Nach der VO. Nr. 121 der Militärregierung – Brit. Kontrollgebiet – darf außer den Angehörigen der Besatzungsstreitkräfte, einschl. der angeschlossenen zivilen Organisationen, und den Angehörigen einer militärischen Abordnung sowie der Kontrollkommission niemand eine khakifarbene oder im Blau der RAF gehaltene Feldbluse, einen solchen Waffenrock oder nach ihrem Muster angefertigte Kleidungsstücke, ebenso auch nicht ohne ausreichende Entschuldigung sonst Uniformen, Uniformteile oder Abzeichen der Besatzungsstreitkräfte oder der Kontrollkommission oder nach ihrem Muster angefertigte Kleidungsstücke oder Gegenstände tragen. Die am 1. Februar in Kraft getretene Verordnung sieht für Zuwiderhandlungen Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr, Geldstrafen bis 3.500 RM. oder beide Strafen vor.«
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Quelle: Nach Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel „Undankbare Arbeit für Hungerlohn“ in „Dorsten nach der Stunde Null“, 1986