Von Wolf Stegemann
Die Mitteilung über den Tod eines Angehörigen auf kleinen Zetteln ist ein alter Brauch, aus dem sich die Tradition der Sterbebildchen entwickelt hat. Der früheste Beleg eines Vorläufers der Totenzettel stammt aus dem Jahre 1493, als Kaiser Friedrich III. starb. Später entwickelte sich in den Niederlanden der Gebrauch von Sterbebildchen, der sich schnell verbreitete. Nach Deutschland schwappten die Totenzettel zuerst in das katholische Westfalen und in das Rheinland über. Heute sind diese kleinen Zettel wissenschaftliche Forschungsprojekte von Historikern und Soziologen sowie ein beliebtes Sammelobjekt geworden. Mittlerweile gibt es dafür einen großen Markt. Im Internet werden sie versteigert und erworben.
Mit den Kriegen gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 bekam der Totenzettel, der bis dahin überwiegend im zivilen Bereich üblich war, eine weitere Bedeutung. Da die Soldaten meist weit weg von der Heimat auf den Schlachtfeldern gefallen oder in den Lazaretten gestorben waren, wurden sie auch in der Fremde begraben und nicht im Kreis der Familie, Freunde und Nachbarn auf dem heimischen Friedhof. Daher hielt man ihren Tod in der Familie und bei Nachbarn durch die Sterbebildchen in Erinnerung.
Hochkonjunktur im Ersten und Zweiten Weltkrieg
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatten die Sterbebildchen Hochkonjunktur. Denn niemals zuvor sind so viele Menschen als Soldaten gestorben wie in diesen beiden Kriegen. Neben der christlichen Erinnerung an den Toten kamen auf den weit verbreiteten Totenzetteln jetzt auch Ruhm und Ehre zum Ausdruck. Orden und Beförderungen wurden Bestandteil der Information, manchmal auch der Ort des Todes und die Zugehörigkeit zu Regimentern und Divisionen, bis dies verboten wurde, um dem Feind, dessen Spione man überall wähnte, nicht zu verraten, wo und wann welche Division im Felde steht. Dies galt besonders für die U-Bootfahrer. Mit Angaben von Schiffsnamen und Orten, wo die U-Boote gesunken waren, hätte sonst der Kriegsgegner Rückschlüsse über Schiffsrouten und Einsatztaktiken ziehen können.
Waren bei Kriegsbeginn die Überführungen der Gefallenen in die Heimat noch erlaubt, erging am 15. September 1941 ein „Führerverbot“. Das Heimatkriegsgebiet wurde allerdings von diesem Verbot ausgenommen. Am 1. September 1939 hatte das Oberkommando der Wehrmacht befohlen, kein Grab dürfe verloren gehen. Soldaten, deren Gräber in Russland, Nordafrika oder in den Ländern am Mittelmeer lagen, die von deutschen Truppen geräumt werden mussten, konnten ab 1944 auf dem Heimatfriedhof Erinnerungskreuze oder Gedenksteine bekommen. Das Oberkommando der Wehrmacht befasste sich am 21. August 1944 mit diesem Thema:
„Bisher wurden die Kosten für diese Erinnerungssteine nur übernommen, wenn einwandfrei feststand, dass ein Grab in Feindesland nicht vorhanden war. Ihre Zahl blieb deshalb beschränkt. Durch den Kampfverlust an der Ostfront und im Mittelmeer sind zahlreiche Grabanlagen in Feindeshand gefallen. Es mehren sich jetzt die Fälle, dass Angehörige den Wunsch haben, auf dem Friedhof ihres Heimatortes einen Erinnerungsstein zu setzen. Unter diesen Umständen erscheint es gerechtfertigt, die Errichtung der Erinnerungssteine nicht mehr einzugrenzen und die Kosten von der Wehrmacht zu übernehmen, die acht bis zehn Reichsmark betragen dürfen.“
So kehrten die Namen Gefallener aus den eroberten und wieder verlorenen Ländern heim. Neben dem Sterbebildchen gab nun auch das Grabkreuz Information über den in der Ferne gestorbenen Angehörigen.
„Lasst und männlich sterben…“
In der Aufmachung waren die Sterbebildchen von Soldaten denen der anderen Verstorbenen gleich oder ähnlich. Interessant bei den Gefallenenbildchen ist der Text. Auf den meisten dieser Totenzettel ist das Eiserne Kreuz mit Hakenkreuz in der Mitte und der Jahreszahl 1939 im unteren Balken abgebildet. Dies geht auf die Toten-Bildchen des Ersten Weltkriegs zurück, auf denen ebenso das Eiserne Kreuz abgebildet war, damals aber mit der Kaiserkrone und dem W, die Initiale Kaiser Wilhelms II. Nur auf verschwindend wenigen sind stattdessen normale kirchliche Kreuze abgedruckt. Allerdings werden häufig Bibelsprüche zitiert, die dem sinnlosen Tod einen Sinn geben sollen. Es sind dies die beiden Verse: „Lasst uns männlich sterben für unsere Brüder und keinen Flecken an unserer Ehre dulden“ (1. Makk. 9, 10) und „Sie waren bereit, für Gesetz und Vaterland zu sterben“ (II. Makk. 8, 21). Natürlich sind auch Bibelsprüche, Gebete und Gedichte zitiert, die Trost und Hoffnung spenden. Oft spiegeln diese Texte eine Zwiesprache zwischen dem Gefallenen und den Angehörigen wider.
„Und sollte ich einst beim Siegeseinzug fehlen, / dann weinet nicht um mich, / der Herr ließ mich für sich erwählen.“ – Gefr. Heinz Schneider, gef. 1943 am Ladogasee, 29 Jahre
„Du hast als tapfrer Held gestritten, / Fürs Vaterland gabst du dein Blut, /Du wurd’st aus unserer Mitt’ gerissen, / Du warst so edel, treu und gut. /Ach hätten wir dich einmal noch gesehen / Und könnten jetzt zu deinem Grabe gehen. /Kein Weinen und kein Ziehen bringen dich zurück, / Dahin ist Liebe Hoffnung Glück. / Nun ruhe sanft, du gutes Herz, / Wer dich gekannt, fühlt unsern Schmerz.“ – Gefr. Johann Besten, gef. 1943 in Russland, 31 Jahre
„Allzu früh und fern der Heimat / Starbst du, junger, tapfrer Held; / Sollten dich nicht /wieder sehen! / Ruhe sanft in fremder Erde! /Alle, die gekannt dich haben, /Teilen mit uns diesen Schmerz; /Du gehörtest zu den Braven, /Gabst fürs Vaterland dein Herz. /Doch für uns bleibt es bestehen: /Im Himmel gibt’s ein Wiedersehen!“ – OGefr. Anton Filipiak, gef. 1942 in Cholm, 23 Jahre
„Aus der Ferne, meine Lieben /Send ich Euch den letzten Blick. /Ich bin in dem Kampf geblieben, /Kehr nicht mehr zu Euch zurück; /In dem schönen Himmelsgarten /Will ich Euch dereinst erwarten. /Es lag in des Höchsten Plan, /Was Gott tut, ist wohlgetan.“ – OGefr. Frater Joseph Kolde, gef. 1943 bei Orel, 33 Jahre
„Du sankst dahin, wie Rosen sinken, /wenn sie in voller Blüte stehn /und heiße, bittre Tränen fließen, /weil du so musstest von uns gehen. /Wer hätte das von dir gedacht, /dass du so früh zur Ruh gebracht. /Wir durften dich nicht sterben sehen, /aber doch an Deinem Grabe stehen…“ – Stabsgefr, Willi Tottmann, gef. 1945, 28 Jahre
„Ich habe einen guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt, von Euch verlange ich nur eins, vergesset meiner nicht in Eurem Gebet.“ – Infanterist Theo Ottens, gef. 1942 im Osten, 20 Jahre
Für Führer, Volk und Vaterland
Wenn sich diese manchmal recht holprigen Gedichte und christlichen Sprüche als von der Druckerei vielfach vorgegeben ähneln, so sind die selbst verfassten Texte über den Toten schon sehr unterschiedlich und lassen auf den ideologischen oder christlichen Standort der Familie schließen. Dabei ist es nicht selten, dass sich NS-Todesideologie und christlicher Jenseits-Glaube vermengen.
Bei der Lektüre der Texte ist zu erfahren, ob der Gefallene „getreu dem Fahneneide für Führer, Volk und Vaterland“ starb, oder nur für das Volk und Vaterland oder nur fürs Vaterland, ob die Familie tief betrübt in „christlichem Andenken“ sich seiner erinnert oder ob sie mit „Stolz erfüllt“ den Tod „auf dem Felde der Ehre“ im heldenhaften Kampf des lieben Sohnes „gegen den Bolschewismus“ verkündet. Ein anderer Dorstener ist am 16. November 1941 „mit unerschütterlichem Gottvertrauen vor Leningrad im Kampf gegen die Gottlosen“ gefallen.
Auf dem Totenzettel eines Stabsgefreiten, Inhaber des Eisernen Kreuzes II. Klasse und der Ostmedaille, haben die „tief betrübten Geschwister“ nur liebevolle Worte für den 1945 Verstorbenen in christlicher Demut gefunden. Das konnten sie auch, denn der Totenzettel wurde Ende 1945 gedruckt, weil der „liebe Bruder, Schwager und Onkel“ erst am 22. Dezember 1945 im Reservelazarett Gütersloh an einer tückischen Krankheit, die er sich in Russland zugezogen hatte, verstarb. Deshalb ist auch kein Symbol des Nationalsozialismus auf dem Totenzettel abgedruckt.
Inzwischen haben die Militär-Totenzettel einen wissenschaftlichen Rang erreicht. Denn nicht nur Heimatkundler sammeln die kleinen Toten-Bildchen, sondern auch Staatsarchive und Militärhistoriker werten sie unter sozialen und weltanschaulich-politischen Gesichtspunkte aus. Auch solche Informationen geben die Totenzettel preis.