Von Wolf Stegemann
Die Frage darf man schon stellen, ob ein 71-jähriger Mann, der Zeit seines Lebens nichts mit Computern, Netzsuche und Internet-Recherche zu tun hatte, sich mit dieser für ihn neuen Methode befassen und beschäftigen will, und wenn Ja, ob er das dann auch kann und die Materie so beherrscht, dass er jedem studierten jungen Historiker oder Journalisten zeigen kann, wie man effizient recherchiert. Die Antwort darauf mag bestenfalls ein Schulterzucken sein, mit dem man sein zweifelnden Nein relativiert, um nicht in Verdacht zu stehen, das Alter (augenzwinkernd) zu diskriminieren. Es gibt aber einen 71-Jährigen in Marl, der mit dem Internet und der Recherche in Archiven in der Welt so geschickt und wissend umgeht, dass er sicherlich viele Vertreter der beiden angesprochenen Berufsgruppen schlichtweg vormachen kann, wie das geht. Die Rede ist von Alfred Vadder, der erst seit 2006 all dieses „moderne Zeug“ einsetzt, um schnell und auf richtigem Weg zu nachweisbaren Forschungsergebnissen zu kommen. „Der Nachweis ist wichtig!“ sagte er, denn allzu oft werden von Heimatforschern unbedachte und nicht stimmige Fakten veröffentlicht, die dann von anderen übernommen, die wiederum von anderen abgeschrieben werden. Das Internet ist voll davon. Das Fachgebiet des Autodidakten ist alles, was mit Soldaten des letzten Krieges zu Luft und zu Lande zu tun hat. Und sein Spezialgebiet sind die Bombenangriffe und Flugzeugabstürze sowie das Schicksal der Flugzeugbesatzungen – ob Feind oder Freund. So hat er schon vielen Angehörigen von Piloten und Flugpersonal Absturzstellen und das Schicksal bzw. die Begräbnisstätten ermitteln können. Auch stellt Alfred Vadder sein Wissen und seine mittlerweile sehr guten Kontakte zu Archiven in aller Welt dieser Internet-Dokumentation „Dorsten unterm Hakenkreuz“ zur Verfügung und ist immer wieder gerne bereit, dafür zu recherchieren.
Kinderlandverschickung ins bayerische Hopfengebiet
Der 1935 in Münster geborene Alfred erlebte den Krieg als Junge, wenn die alliierten Bomberpulks über das Münsterland flogen, über Städten und Dörfern ihre tödliche Last abwarfen. Dann sah er in den Himmel und – wie in jedem Jungen damals – erweckten die Flugzeuge in ihm nicht nur Angst, sondern auch Neugierde. Letztere bewies er schon als Junge in einer münsterischen Kirche, als er noch so klein war, dass er in der Kirche die Krippe nicht einsehen konnte. Also kletterte er hoch, besah sich das heilige Geschehen und nahm bei dieser Gelegenheit gleich das Jesuskind mit nach Hause. Die Mutter brachte es dann wieder zurück. Dies ist ihm im Gedächtnis haften geblieben wie auch das heimatliche Kriegsgeschehen, als in der Nachbarschaft tote Soldaten, darunter auch feindliche Piloten unter der Fahne aufgebahrt waren. Und immer wieder Soldaten vorbeizogen. Dann ging’s mit der Kinderlandverschickung ins Hopfengebiet Holledau (auch Hallertau genannt) nach Bayern, wo Alfred Vadder schon kräftig mit anfasste, als Städter sogar schon das Pferdefuhrwerk lenkte, weil die Männer im Krieg standen. Seine Mutter kam nach und Alfred wurde 1942 in Bayern eingeschult. Danach ging es wieder zurück nach Münster. Tag und Nacht ging die Familie, zu der noch der Großvater gehörte, in den Hochbunker. Nachdem die Mutter beim großen Angriff auf Münster „ausgebombt“ war, wie es im Jargon der Zeit hieß, verzog die Familie nach Buldern.
Nach dem Krieg – Aufbau auch des eigenen Lebens
1950 aus der Schule entlassen, begann der „Ernst des Lebens“. Der Schule schloss sich eine Zimmererlehre an, dann war er im Kohlenabbau auf der Zeche Auguste Victoria in Marl untertage, er heiratete und zog nach Marl, danach arbeitete er im Hochbau bis 1980, zuletzt als Baustellenleiter. Arbeit als Probenehmer im Labor der Zeche schloss sich an. Als er gesundheitliche Probleme bekam, wurde er 1992 Rentner und wenige Jahre später Witwer.
Danach begann der Autodidakt mit seiner Forschungsarbeit über die Kriegsereignisse der Region, die den jungen Alfred Vadder so geprägt hatten wie jedes andere Kind damals auch, das Bombenkrachen, Feuer, Explosionen und tote Soldaten erlebt hat. Viele haben solche Erlebnisse verdrängt, viele wollen nichts mehr davon wissen, doch sind alle davon geprägt. Alfred Vadder verarbeitete seine Traumata, indem er diesen Ereignissen Gesichter und Namen gab. Namen, die auf Grabkreuzen und Ehrenmalen stehen, in Akten der Archive zwischen England und Amerika, Italien und Norwegen. Und da ist Alfred Vadder höchst erfolgreich. Man kennt ihn in den Archiven in Groß0britannien, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Kanada und den USA, zu denen er fast uneingeschränkten Online-Zugang hat. Und wenn er eine Spur aufgenommen hat, wie beispielsweise die des SA-Sturmführers Otto Wunderlich, der in Dorsten alliierte Piloten ermordete, dessen Name und Person in Dorsten völlig unbekannt ist, dann sucht er weiter in den Archiven und Datenbanken, bis er herausgefunden hat, wer Otto Wunderlich war und wie es zu dieser Mordtat im Februar 1945 in Wulfen kommen konnte. Sein Motto: „Wenn ich was angefangen habe, dann bohre ich solange weiter, bis es nicht mehr geht.“ (Siehe Artikel in dieser Dokumentation über Lynchmorde).
Aufklärung durch Namen, Daten, Fakten
Alfred Vadder mag Tucholsky, Darwin und Häckel. Er hat demnach eine pragmatische Lebenseinstellung, die sich in seiner Forschungsarbeit bemerkbar macht. Denn nicht Heimattümmelei und Idealisierung des Krieges und seiner Technik sind die Triebfedern seines Tuns, sondern Aufklärung, um der Nachwelt zu erhalten, wie schrecklich und menschenverachtend Kriege sind.
Ich bin Mitglied einer niederländisch-deutschen Projektgruppe, die sich mit Abstürzen von Flugzeugen im 2. Weltkrieg im Umkreis des niederländischen Forts Pannerden (in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze gelegen) beschäftigt. Ich würde deshalb gerne Kontakt zu Herrn Vadder aufnehmen. Ist es möglich, dass Sie mir seine E-Mail-Adresse geben? MfG Herbert Cloosters
Anmerkung der Redaktion: Das Anliegen wurde an Herrn Vadder weitergegeben!