W. St. – Der „Kaufman-Plan“ oder „Kaufmans Plan“ ist eine Bezeichnung der nationalsozialistischen Propaganda für eine Anfang 1941 im Selbstverlag erschienene Broschüre des Amerikaners und Privatmanns Theodore Newman Kaufman. Dieser hatte darin im Fall eines Krieges zwischen den USA und Deutschland und eines Sieges der USA für eine Sterilisierung aller Deutschen plädiert, um seiner Ansicht nach deren angeborene Kriegsneigung auszuschalten. Das in den USA kaum beachtete Werk wurde allerdings von der NS-Propaganda zu einem Plan aus dem Umkreis des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und zum Dokument jüdischer Vernichtungsabsichten stilisiert. Es diente als Material in einer groß angelegten und aufgeblasenen Kampagne des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Goebbels, die in Deutschland alle Medien erfasste und den Hass gegen das „Weltjudentum“ schürte.
Vorgeschichte
Über den Autor Kaufman ist wenig bekannt – so wenig, dass schon vermutet worden ist, es handle sich bei dieser Person um eine Erfindung oder auch einen Agenten der nationalsozialistischen Propaganda in den USA. Kaufman existierte jedoch wirklich. Er wurde am 22. Februar 1910 als Sohn von Anton Kaufman, Herausgeber des „Jewish Chronicle“ in Newark, geboren und versuchte sich beruflich auf verschiedenen Gebieten: als Büroangestellter, in der Werbung, als Verkäufer. 1939 machte er erstmals mit einer politischen Aktivität von sich reden. Im Namen einer „American Federation of Peace“ versandte er ein Pamphlet an Medien, Politiker und Friedensfreunde unter dem Titel „Life-Liberty-Pursuit of Happiness –Where? In The Graves of European Battlefields?“ Auf Hochglanzpapier fanden sich dort Fotos von Kriegsverletzten und ausgehungerten Kriegsopfern sowie für den US-Kongress in Fettschrift gesetzte flammende Aufrufe gegen eine amerikanische Kriegsbeteiligung. Es hieß unter anderem: „Lasst uns alle sterilisieren! Wenn ihr plant, uns in einen Krieg ins Ausland zu schicken, erspart uns jede Möglichkeit, Kinder in die Welt zu setzen – in dieses unser Land!“ Das Pamphlet ist offenbar kaum beachtet worden. Die einzige nachgewiesene öffentliche Reaktion ist eine kurze Notiz in „Time“ vom 23. Oktober 1939 in der Rubrik „War and Peace“ unter der Überschrift „Slick Stuff“. Es folgte ein weiteres ähnliches Druckwerk.
„Germany must perish!“ – Alle Deutschen sollen sterilisiert werden
Theodore N. Kaufmans teilweise schrille neutralistische Töne hatten bis zu diesem Zeitpunkt kaum Beachtung gefunden. Das änderte sich zunächst nicht wesentlich, als er, vermutlich im Februar 1941, in dem eigens dafür von ihm selbst gegründeten Verlag Argyle Press eine gut hundertseitige Broschüre mit dem Titel „Germany must perish!“(zu Deutsch etwa: „Deutschland muss zugrunde gehen!“) herausbrachte. In einer Einleitung („Introductory Note“) bekräftigte Kaufman erneut seine Überzeugung, dass der mittlerweile entfachte Weltkrieg keineswegs der Krieg Hitlers, sondern der Krieg des deutschen Volkes sei. Sodann versuchte Kaufman, im Großteil des Textes mittels einer Zitatensammlung (unter anderem von Friedrich Nietzsche, Heinrich von Treischke. Karl Lamprecht, Paul Rohrbach) zu zeigen, dass die Deutschen seit der germanischen Frühzeit bis heute von aggressivem Germanentum befallen seien und daher unausrottbar zu Krieg, Rassismus und Barbarei neigten.
Im letzten Kapitel („Death to Germany“) bot er seine Lösung an: Man müsse die Deutschen mit einer „modernen Methode“ daran hindern, sich als Volk weiterhin zu reproduzieren. „Diese moderne Methode, der Wissenschaft als eugenische Sterilisierung bekannt, ist zugleich praktikabel, human und gründlich.“ Konkret sollten nach dem Sieg alle deutschen Frauen unter 45 und alle deutschen Männer unter 60 Zwangssterilisiert werden. Ferner befürwortete er anhand einer selbst gezeichneten Landkarte eine Aufteilung Deutschlands unter seinen Nachbarstaaten. Den einleitenden Kapiteln ist zu entnehmen, dass die Überfälle der Nazis auf diverse europäische Staaten (genannt werden unter anderem die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark, Norwegen und Frankreich) ihn auf seine Radikallösung gebracht hatten. – Es gab kaum Rezeptionen auf dieses Machwerk.
Die nationalsozialistische Propaganda – Auftakt zur Pressekampagne
Die Broschüre gelangte auch nach Deutschland. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der sich bereits gegen den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt propagandistisch eingeschossen hatte, startete am 23. Juli 1941 mit der propagandistisch überbewerteten Kaufman-Broschüre reichsweit eine Propaganda-Kampagne gegen Roosevelt und das „Weltjudentum“. Die gleichgeschalteten Zeitungen berichteten u. a. mit der Schlagzeile „Roosevelt fordert Sterilisierung des deutschen Volkes“. Am 24. Juli schrieb der „Völkische Beobachter“ u. a.:
„Unter dem Titel ,Deutschland muss vernichtet werden‘ ist kürzlich in den Vereinigten Staaten ein aufsehenerregendes Buch erschienen, das einen ungeheuerlichen Plan für die Ausrottung des deutschen Volkes und die restlose Zerstückelung Deutschlands in allen Einzelheiten enthüllt und propagiert. Verfasser dieses Dokumentes amerikanischer Auffassung von Recht und Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie ist kein geringerer als der Jude Theodor Kaufmann, Präsident der amerikanischen Friedensliga … In jüdisch-literarischen Kreisen Neuyorks ist es ein offenes Geheimnis, und man brüstet sich sogar mit der Tatsache, daß Roosevelt selbst die Hauptthesen dieses Buches inspiriert und die wichtigsten Teile dieses Schandwerkes persönlich diktiert hat.“
Auch die internationale Presse nahm am selben Tag Notiz von der neuen Anti-Roosevelt-Kampagne, etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ mit einem Artikel „Blickrichtungen der deutschen Diplomatie“ und „Associated Press“ (AP) mit einer Kurzmeldung unter dem Titel „Nazis attack Roosevelt“, die unter anderem in der „New York Times“ abgedruckt wurde. Angespornt von dieser weltweiten Rezeption, dachten die Spitzen des Reichsaußenministeriums und des Reichspropagandaministeriums umgehend über eine Fortsetzung und Erweiterung der Kampagne nach. Goebbels holte von Hitler die Zustimmung ein, Teile des Buchs in deutscher Übersetzung zu veröffentlichen. Auf eine vollständige Publikation verzichtete Goebbels allerdings kurioserweise aus Urheberrechtsgründen. In Deutschland lief in den Zeitungen die Propaganda-Kampagne gegen Kaufmans Broschüre weiter, was beispielsweise in Hannover zu verstärkten Repressionen gegen jüdische Bürger führte. Die Stadtverwaltung richtete eine eigene „Mobilmachungsabteilung“ mit Räumungsbefugnissen ein, die 1.000 Hannoveraner Juden aus ihren Wohnungen trieb und zwangsweise in 16 „Judenhäusern“ einwies. Dazu der dortige Gauleiter Hartmann Lauterbach, nach dem diese Wohnungsvertreibung als „Aktion Lauterbach“ benannt worden war:
„Durch die Hetze des Judentums im Auslande ist dem Deutschen Volke der jetzige Krieg aufgezwungen worden. Die feindliche Luftwaffe greift offene Städte an und wirft Spreng- und Brandbomben wahllos auf die Wohnhäuser der Zivilbevölkerung. Der Jude Kaufmann [sic] in New York [sic] fordert in seiner maßlosen Hetze die Sterilisierung aller Deutschen und die Verwendung der deutschen Soldaten als Arbeitskulis in fremden Ländern. Um die durch den Krieg hervorgerufenen Notstände zu mildern sehe ich mich genötigt, den hiesigen Juden noch zur Verfügung stehenden Wohnraum weiter einzuengen.“
Diese Hannoversche Aktion gegen die Juden schlug sich wiederum in den Schlagzeilen der US-Zeitungen und Nachrichtenagenturen nieder. Kaufman sah sich von den Nazis als „Sündenbock“ und „durchsichtiger Vorwand“ für die ohnehin im Gang befindlichen Naziverbrechen missbraucht.
Wolfgang Diewerges NS-Propagandawerk
Ende September 1941erschien die von Goebbels bei seinem Ministeriums-Propagandafachmann für Antisemitismus Wolfgang Diewerge (siehe unten) in Auftrag gegebene Propagandabroschüre in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren: „Das Kriegsziel der Weltplutokratie. Dokumentarische Veröffentlichung zu dem Buch des Präsidenten der amerikanischen Friedensgesellschaft Theodore Nathan Kaufman „Deutschland muß sterben“ („Germany must perish“). Die 32-seitige Broschüre enthielt eine deutsche Übersetzung einiger Auszüge aus Kaufmans Broschüre, versehen mit antisemitischen Kommentaren wie diesem:
„Wie wäre es, wenn man statt der 80 Millionen Deutschen diese 20 Millionen Juden nach dem Rezept ihres Rassegenossen Kaufman behandeln würde? Dann wäre der Frieden auf alle Fälle gesichert. Denn der Unruhestifter, der Friedensstörer, auf der ganzen Welt ist der Jude.“
Im Schlussteil des Pamphlets heißt es: „Sieg oder Tod – darum geht es in diesem Krieg“, denn die durch den Krieg zu entscheidende Frage sei, „wer künftig in Europa leben soll“, die „weiße Rasse mit ihren kulturellen Werten … oder das jüdische Untermenschentum“. Wie der damals noch in Berlin arbeitende amerikanische Journalist Howard Smith bemerkte, verkaufte sich das Pamphlet anfangs gut, wurde später aber kostenlos zusammen mit den Lebensmittelkarten verteilt.
Theodore N. Kaufman nach 1941
Während die NS-Propaganda noch bis 1945 das Kaufman-Thema ausschlachtete, wurde Kaufman selbst ab September 1941 in den USA und anderswo nicht mehr öffentlich wahrgenommen. Es ist lediglich eine einzige Aktivität von seiner Seite bekannt: Er veröffentlichte im März 1942 eine 16-seitige Broschüre in seinem Eigenverlag Argyle Press unter dem Titel „No more German wars! Being an outline of suggestions for their permanent cessation“ („Keine deutschen Kriege mehr! Ein Entwurf von Vorschlägen, wie sie dauerhaft zu verhindern sind“). Sie enthielt keinerlei Andeutungen bezüglich Sterilisierung oder Landaufteilung mehr, sondern machte höchst moderate Vorschläge zur demokratischen Umerziehung der deutschen Bevölkerung. Selbst hinter den alliierten Kriegszielen blieben Kaufmans neue Forderungen bei weitem zurück; so wurde von Deutschland lediglich die Rückgabe der besetzten Gebiete gefordert, von territorialen Zugeständnissen war gar nicht mehr die Rede. Das Werk erhielt keinerlei Beachtung in der Presse.
Der Historiker Wolfgang Benz hat versucht, den eigentümlichen Kontrast zwischen dieser letzten Broschüre Kaufmans und „Germany must perish!“ zu deuten. Er formuliert zwei Vermutungen: Entweder habe Kaufman zeigen wollen, dass er sich die Ablehnung seines Buches in der amerikanischen Öffentlichkeit zu Herzen genommen hatte, oder er sei „einfach ein naiver Idealist“ gewesen, der „einmal mit barbarisch chirurgischen und ein anderes Mal mit milden homöopathischen Rezepturen, deren Wirkungen er in keinem Fall einschätzen konnte, die Welt zu verbessern getrachtet hatte“. Danach verliert sich Kaufmans Spur vollständig: Über sein weiteres Leben ist nichts bekannt, ebenso wenig wie über seinen Verlag Argyle Press.
Nachwirkungen der NS-Propaganda in der Bundesrepublik Deutschland
Bereits im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher deutete sich an, dass der Kaufman-Plan auch nach dem Krieg weiterhin als Rechtfertigungsargument für die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten genutzt wurde. In der geschichtsrevisionistischen Propaganda wurde das Thema in der Folge wieder und wieder von Autoren aufs Tapet gebracht. Paul Rassinier 1963 („Zum Fall Eichmann oder: Was ist Wahrheit?“), Erich Kern interpretierte im selben Jahr Kaufmans Broschüre als Glied einer Serie von „massiven jüdischen Drohungen und Kriegserklärungen“. Adolf Eichmann schrieb höchstpersönlich in seinen 1980 postum erschienenen Memoiren:
„Andererseits darf für Tötungsmaßnahmen gegen Juden nie der jüdische Anteil und Antrieb außer Acht gelassen werden. Das stellt sich auch im Fall von Kaufman heraus. … Es ist wohl anzunehmen, dass der Kaufman-Plan in unseren höchsten Führungskreisen als ein auslösender Faktor für eigene Vernichtungsmaßnahmen gewirkt hat.“
Bis heute sprechen rechtsradikale Kreise vom „Kaufman-Plan“ und bringen ihn, ähnlich wie die angebliche „Kriegserklärung des Weltjudentums“, als Beleg für die absurde Behauptung vor, das von den Nazis so genannte „Weltjudentum“ habe die Deutschen vernichten wollen.
Eine von Kaufman gezeichnete Karte, die eine Aufteilung Deutschlands unter seinen Nachbarstaaten vorsah, wurde 1952 auch in einer DDR-Zeitschrift mit dem irreführenden Quellenvermerk „Plan des USA-Politikers T. N. Kaufmann“ [sic] abgedruckt, um Zerschlagungsabsichten der USA in Bezug auf Deutschland zu belegen. Auf die Sterilisierungsfantasien Kaufmanns wurde dabei jedoch nicht Bezug genommen.
Forschungsergebnisse: Einzelgänger, Wirrkopf, Idealist
Die rechtfertigenden Bezugnahmen insbesondere rechtsextremer und geschichtsrevisionistischer Autoren auf den so genannten Kaufman-Plan haben dazu geführt, dass die geschichtswissenschaftliche Forschung sich näher mit dem Thema befasst hat. In seinem Aufsatz Judenvernichtung aus Notwehr? in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte 1981 hat Wolfgang Benz unter anderem die unverdrossen bis heute wiederholten Behauptungen zu Kaufmanns Bedeutung in den USA einer Überprüfung unterzogen. Das Resultat war eindeutig: Kaufman kommt in keinem einzigen lokalen oder überregionalen Nachschlagewerk der USA vor, dasselbe gilt für die Akten aller größeren jüdischen Organisationen. Wolfgang Benz:
„Ob man ihn als fanatischen Wirrkopf oder naiven Idealisten charakterisiert, die politische Wirkung des Einzelgängers Kaufman hatte ausschließlich darin bestanden, der nationalsozialistischen Propaganda vielfältig verwendbare Munition zu liefern.“
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Zur Person Wolfgang Diewerge
Er wurde 1906 in Stettin geboren und starb 1977 in Essen/Ruhrgebiet. Im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda war er u. a. Leiter der Abteilung III, Rundfunk. Sein Spezialgebiet war die antisemitische Öffentlichkeitsarbeit, vor allem im Zusammenhang mit Prozessen im Ausland, die sich propagandistisch verwerten ließen. Er spielte auch eine wesentliche Rolle bei der Vorbereitung eines Schauprozesses gegen Herschel Grynszpan, dessen Attentat auf einen deutschen Botschaftsmitarbeiter in Paris von den Nationalsozialisten als Auslöser der Novemberpogrome 1938 genutzt worden war.
In Millionenauflage erschienen 1941 seine Pamphlete zum so genannten Kaufmann-Plan und Er trat schon 1930 in die NSDAP ein (Mitgl.-Nr. 278.234) und 1936 in die SS (zuletzt mit Patent vom 9. Nov. 1943 SS-Standartenführer. Nach dem Krieg gelang Diewerge über die FDP-Nordrhein-Westfalen ein erneuter Einstieg in die Politik. Durch das Eingreifen der britischen Besatzungsbehörden sowie einer Kommission des Bundesvorstandes der FDP wurde dieses Intermezzo jedoch abrupt beendet. 1966 wurde Diewerge aufgrund seiner unter Eid getätigten Aussagen über den von den Nationalsozialisten geplanten Grynszpan-Prozess wegen Meineids zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Im Rahmen des Prozesses wurde Diewerge als „Schreibtischmörder“ bezeichnet. Schließlich war er als Geschäftsführer zweier Vereine in die Flick-Spendenaffäre verwickelt.
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