Von Wolf Stegemann
Die evangelische Gemeinde in Dorsten-Altstadt hatte nicht den politischen Einfluss wie die katholische Altstadtgemeinde. Dafür war die Gemeinde zu klein im katholischen Dorsten. 1931 gab es 340 evangelische Gemeindemitglieder, 1939 knapp 400, von denen etwa zehn der Bekennenden Kirche angehörten. Im Gegensatz zur Gemeinde Holsterhausen, wo sich das Presbyterium zur Bekennenden Kirche bekannte, ein fast nicht wahrnehmbarer Anteil. Die Parteispitze in Dorsten war evangelisch: Fritz Köster, bis 1933 Ortsgruppenleiter, dann Beigeordneter, und Ernst Heine, Ortsgruppenleiter, der seine Töchter auf die katholische Schule der Ursulinen schickte.
Am 3. April 1931 trat Pfarrei Ernst Glauert seinen Dienst in der Gemeinde an. Bis zum Verbot der kirchlichen Vereinigungen widmete er sich – bei seiner Einführung gerade 28 Jahre alt – der Vereins- und Jugendarbeit besonders stark. Arbeiter- und Gesellenverein zählten damals zusammen etwa 175 Mitglieder.
Im Schatten er katholischen Gemeinde
Die evangelische Gemeinde führte in den Jahren 1933 bis 1945 eine Art Schattendasein: im öffentlichen Leben unbeachtet, dennoch von der Polizei beobachtet, aber immer im Schaten der einflussreichen katholischen Altstadtgemeinde unter Führung des streitbaren Pfarrers Ludwig Heming.
Das Jahr 1933 gab den Evangelischen in Dorsten zum letzten Mal Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit eindrucksvoll zu zeigen: Am 10. November wurde der 450. Geburtstag von Martin Luther gefeiert. Zuerst im Saal von Kleinespel, dann mit einem langen Fackelzug der Gemeindemitglieder zum Marktplatz, wo die Feier mit dem gemeinsam gesungenen Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« endete. Auch katholische Geschäftsleute schmückten an diesem Tage ihre Schaufenster mit Luther-Bildern, worüber sich der katholische Pfarrer ärgerte. Er notierte in seiner Chronik: »Sehr viele Katholiken haben daran Anstoß genommen – mit Recht.«
Hang zum NSDAP-Christentum
Als die Deutschen Christen unter Leitung ihres Reichsbischofs Müller die evangelische Kirchenmacht im Reich zeitweise übernahmen, zeigte sich auch unter den Dorstener Evangelischen ein Hang zu diesem Partei-Christentum, wie die Chronik der evangelischen Johannesgemeinde feststellt.
»Mehrere Mitglieder des Presbyteriums legten ihr Amt nieder, weil sie dahin gedrängt wurden oder glaubten, dass ein kirchliches Engagement ihrem beruflichen Fortkommen hinderlich sei. Viele Gläubige schlossen sich den Deutschen Christen an (…) oder sie traten aus der Kirche aus oder nannten sich gottgläubig.«
Selbst Pfarrer Glauert konnte anfänglich den Verlockungen des NS-Regimes nicht widerstehen, wie eine enge Bekannte des Pfarrers, die der Bekennenden Kirche angehörte, heute bestätigt. »Er war eben kein kämpferischer Typ.« Doch fand er schnell wieder in die richtige Bahn zurück. Später sagte er einmal im Kreise der mit ihm befreundeten Familie Crüsemann: »Ich habe zuerst Entscheidungen getroffen, die vor Gott und den Menschen nicht richtig waren.«
Ab 1937 besuchten Kriminal- und Gestapobeamte auch Pfarrer Glauerts Gottesdienste und versuchten, ihn danach in der Sakristei unter Druck zu setzen. Doch Glauert ließ sich nicht (mehr) einschüchtern.
Orgel-Reparateur wurde von der Bombardierung überrascht
Bei der Bombardierung der Stadt am 22. März 1945 wurde die Johanneskirche schwer beschädigt. Der Kirchturm war bis hinunter zu den Steinmauern eingestürzt, das Dach abgedeckt; die einzige, sehr kleine Glocke fiel auf die Orgel und zertrümmerte sie. Die Chronik gibt über die tragischen Umstände Auskunft:
»Die Dorstener Orgelbaufirma Breil hatte vorher noch einen Angestellten geschickt, um die Orgel zu reparieren. Er war vom Luftangriff überrascht worden, wurde von einem Bombensplitter getroffen und verblutete auf der Treppe zur Orgel.«
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Deutsche Christen unter Reichsbischof Müller (NSDAP)
Die Deutschen Christen (D.C.) – das ist die zusammenfassende Bezeichnung evangelisch-kirchlicher Bewegungen im Deutschen Reich mittels innerkirchlicher, teils überkonfessioneller (nationalkirchlicher) Zielsetzung. Die Glaubensbewegung D.C., von Joachim Hossenfelder geführt, war unter unmittelbarem Einfluss der NSDAP 1932 in Preußen entstanden. Ihr Ziel war es vor allem, volksmissionarisch für die Erneuerung der Kirche zu wirken.
1933 strömten ihr die Mehrheit der Pfarrer und der Evangelischen zu, theologisch Konservative vor allem pietistischer Herkunft ebenso wie Anhänger eines »artgemäßen, positiven Christentums« im Sinne des Programms der NSDAP. Im Juli 1933 wurde durch Reichsgesetz die DEK-Verfassung anerkannt. Darunter war auch der Holsterhausener Pfarrer Arthur Paeschke, der offiziell Parteiredner der NSDAP war. Die neu gebildete Nationalsynode der DEK wählte im September 1933 Ludwig Müller, den Hitler im April zu seinem Bevollmächtigten für Kirchenfragen ernannt hatte, zum Reichsbischof. Er bildete ein »Geistliches Ministerium«.
Die DEK erwies sich aber als nicht lebensfähig. In der uneinheitlichen Zusammensetzung der DEK und in der nun beginnenden Umgliederung lag der Keim der Krise, die im Herbst 1933 in der »Sportpalast-Versammlung« zum Ausbruch kam, als Vertreter der radikalen Richtung die Abschaffung des Alten Testaments und den Arierparagrafen für Kirche und Pfarrerschaft forderten. Damit geriet die Bewegung in einen solchen Gegensatz nicht nur zu der jetzt an Bedeutung gewinnenden Bekennenden Kirche, sondern auch zur kirchlich gesinnten Mehrheit der Gemeinden, dass sie spätestens 1936 wieder verschwand. Lediglich die »Thüringer Richtung« der D.C. blieb bestehen. Nach Kriegsende wurde die D.C. von den Alliierten auf die Liste der verbotenen Organisationen gesetzt; in Thüringen zog die Landeskirche ihr Vermögen ein. In Niedersachsen und Württemberg haben sich vereinzelte freikirchliche Gemeinden aus früheren Gemeinden der Deutschen Christen erhalten.