Von Wolf Stegemann
Kriegsheimkehrer oder Heimkehrer wurden deutsche Soldaten des Zweiten Weltkriegs genannt, die aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehren konnten. Schätzungsweise drei Millionen deutsche und österreichische Soldaten waren von 1941 bis 1945 in sowjetische Gefangenschaft geraten und blieben es auch noch zum Teil bis 1955. Die westlichen Alliierten hatten ihre deutschen Kriegsgefangenen im Wesentlichen bis Ende 1946 in ihre Heimat entlassen. Im Amtsbezirk Hervest-Dorsten waren im Jahre 1950 noch 29 Kriegsgefangene und 855 ehemalige Wehrmachtsangehörige als vermisst gemeldet. Der Landwirt und frühere Panzergrenadier Wilhelm Kleine-Besten aus Altendorf-Ulfkotte war „Prisoner of War“ in den USA. Im Mai 1946 wurde er von den Vereinigten Staaten nach Liverpool in Großbritannien verschifft und kam in verschiedene Arbeitslager. Er berichtete in „Dorsten nach der Stunde Null“, dass die deutschen Kriegsgefangenen in drei Stufen eingeteilt waren: A-weiß-NS-Gegner, B-grau-politisch uninteressiert und C-schwarz-Nationalsozialisten. Die Männer der Gruppen A und B wurden bevorzugt entlassen. Kleine-Besten kam 1948 über Holland nach Dorsten zurück.
Kriegsgefangene Deutsche in der Sowjetunion wurden in großen Prozesswellen wegen Kriegsverbrechen kollektiv angeklagt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Hans Ennepoth, ein weiterer Altendorfer, geriet in der Tschechoslowakei in sowjetische Gefangenschaft und musste im Donezbecken und in Charkow arbeiten. 1949 wurde er entlassen. Jedem Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft standen 40 Mark Entlassungsgeld zu. Vom Amt Marl, zu dem damals Altendorf-Ulfkotte gehörte, bekam Ennepoth weitere 25 Mark Entlassungsbeihilfe und 90 Mark Sonderbeihilfe aus Landesmitteln.
Ab 1950 wurde es stiller um die Kriegsheimkehrer
Besondere Verdienste um die Betreuung der heimgekehrten Kriegsgefangenen hatten der Suchdienst des Roten Kreuzes und ähnliche Hilfsorganisationen. Das Männerwerk Holsterhausen lud 1949 und 1950 alle Spätheimkehrer zu einer Weihnachtsfeier ein. In Altendorf-Ulfkotte durften bei der Fronleichnamsprozession 1950 die Spätheimkehrer Wilhelm Balster, Hans Ennepoth und Heinrich Nachbarschulte den Himmel tragen.
In der Zeit vom September 1949 bis November 1950 berichtete die „Dorstener Volks- zeitung“ immer wieder von „heimgekehrten Söhnen der Stadt“, darunter Hermann Roland (Altstadt), Franz Menting (Rhade), Kurt Schankat, Heinz Feller (Holsterhausen) und Ludwig Vortmann (Erle-Östrich).
Mit Anteilnahme wurden am 19. Oktober 1953 die Heimkehrer Heinz Winter aus Holsterhausen und Heinz Schulte aus der Feldmark empfangen. Die Straßen waren geschmückt und die Stadtkapelle spielte „Nun danket alle Gott“. Bürgermeister Paul Schürholz und Amtsdirektor Dr. Banke gehörten zu den Gratulanten. Durch Befragung der Heimkehrer konnte das Rote Kreuz 385 Todesfälle ehemaliger Soldaten aus dem Amt Hervest-Dorsten klären, in 174 Fällen bekamen Familien Lebenszeichen von ihren Angehörigen. Nachdem die Mehrzahl der Kriegsgefangenen zurückgekehrt war, wurde es stiller um sie. Die Bevölkerung hatte andere Probleme. Anlässlich einer Heimkehrerversammlung schrieb die „Dorstener Volkszeitung“ am 12. Mai 1951:
„Es war wirklich beschämend. Ganze 42 Personen hatten sich im Westfalenhof“ in Hervest-Dorsten eingefunden, um gegen die völkerrechtswidrige Zurückhaltung der Kriegsgefangenen [in der Sowjetunion] zu protestieren.“
Erst im Herbst 1955 gelang es Bundeskanzler Adenauer die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion zurück zu holen. Unter ihnen war Fritz Spiroks aus Altschermbeck, der erst im Januar 1956 nach elfjähriger Gefangenschaft nach Hause kam. Im Juni 1956 kehrte der letzte deutsche Kriegsgefangene aus der Sowjetunion in die Heimat zurück.
Dorstener Heimkehrer-Schicksal im Roman
Die 2011 verstorbene Dorstener Schriftstellerin Gerda Heselmann verheiratete Illerhues schrieb den Roman „Die verlorenen Fünf“, der 1953 erschienen ist. Darin thematisiert sie das Schicksal eines Kriegsheimkehrers in das zerstörte Dorsten (Auszüge):
Fröstelnd hüllte sich der junge Mann in seinen zerfetzten Uniformmantel, dem letzten Überbleibsel einer glorreichen Zeit. Auf seinem Gesicht lag ein männlicher ernster und für seine jungen Jahre unbegreiflich harter Zug. Die Augen starrten erloschen in den Abend. Wirr hing ihm das dunkle Haar in die Stirn. Die Rechte hatte er in der durchlöcherten Manteltasche vergraben, mit der Linken hielt er ein schmutzig-graues Bündel umfasst, das seine armselige Habe barg und viele Erinnerungen an eine furchtbare Zeit des Schreckens und der Todesgefahr erweckte. […]
Der Zug, der ihn vom Entlassungslager nach Dorsten brachte, war ziemlich besetzt gewesen. Man hatte in ihm gleich einen der vielen namenlosen Helden erkannt, die jahrelang in Feindesland gelebt und Unsägliches durchgemacht hatten. Von allen Seiten erwies man ihm kleine Aufmerksamkeiten. Ein älterer Mann bot ihm eine Zigarette an.
„Woher kommen Sie denn, junger Mann?“ hatte ihn eine alte Frau gefragt. – „Meine Eltern sind aus Dorsten“, war seine Antwort gewesen. „Sie wohnten auf der Essener Straße.“
„So, so, aus Dorsten sind Sie.“ Die alte Frau hatte ernst dreingeschaut. „Ich habe auch eine Schwester in der Stadt. Sie hat sich damals noch mit Mühe und Not retten können.“ – „Damals? Wann war das, damals? Was ist denn damals geschehen?“ Die Frage des Heimkehrers hatte besorgt geklungen.
Die alte Frau blickte ihn erstaunt an. „Ach so“, sagte sie, „Sie wissen noch nichts. Dann wird es Sie sicher überraschen. Von der Stadt ist nicht mehr viel zu sehen. Am 22. März geschah es. Da hagelten die Bomben zu Hunderten vom Himmel herunter. Und hat unsere kleine Stadt, na, die hat genug abbekommen.“. […] Langsam ging er über den großen Marktplatz. Das alte Rathaus hatte den Sturm der Zeiten über- dauert. Es stand noch. […] Das tat dem tobenden Herzen des Heimkehrers wohl.
Und weiter ging er, bis er auf die Essener Straße kam, die ihm erneut einen Schrecken einjagte. Hier und das erhob sich über den Trümmern eine kleine, ärmliche Holzbaracke. Hinter den rohen Holzwänden regte es sich geschäftig. Das Leben stand nicht still, es ging weiter, trotz Not und Elend […].
Gerd Bröger schaute nach seinem Vaterhaus aus. Der Platz, auf dem es früher gestanden hatte, war mit Gras und hohen Königskerzen bewachsen. Dahinter aber drang durch Scheiben eines kleinen Holzhäuschens ein einladender Lichtschein durch den Abend. Mühsam tastete sich Bröger durch den Schutthaufen, bis er vor der niedrigen Tür des Häuschens stand. […]. Als er die Klinke herunterdrückte, schoss ein lauter Strahl der Wiedersehensfreude in sein müdes Herz, er trat in das Halbdunkel eines kleinen Flures. Von innen wurde eine Türe aufgerissen. Ein kleines Mädchen trat ein wenig auf ihn zu und musterte ihn mit großen Augen. Gerd kannte es nicht. Die Eltern hatten wohl Besuch. Die Kleine ging durch die Tür zurück und rief in das Innere des Zimmers: „Mama, da ist ein fremder Soldat!“
Gerd horchte auf. War er hier so fremd? Hatten die Eltern nicht von ihm gesprochen und ihn erwartet? Wieder wurde die Tür geöffnet, eine Frau in den Vierzigern stand vor dem Heimkehrer. […]„Sie wünschen?“ […]. „Ich bin Gerd Bröger und möchte zu meinen Eltern.“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Nee. Junger Mann, hier wohnen wir jetzt. […] Wir kommen aus der Ostzone und haben vom Flüchtlingsamt die Baracke aufgestellt gekriegt.“ […] Gerd war wie vor dem Kopf gestoßen […]. Warum sahen die Menschen mit verweinten Augen und bleichen Gesichtern in das Getriebe der unruhigen Welt, die sie zu verstehen suchten, und es doch nicht konnten? Warum? Weil eine kleine Gruppe von Menschen ihre Ideale hatte verwirklicht sehen wollen. Wer fragte nach dem Leben von Millionen, wenn es sein eigenes Leben zu retten galt? Um die Tage eines einzigen Menschen zu verlängern, hatten namenloses Elend über die Massen kommen müssen […].
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Quellen: Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2011). – Nach Auszügen von Christel Winkel „Das Zauberwort hieß skoro domoj – Bald zuhause“ in „Dorsten nach der Stunde Null“, Dorsten 1986.