Entnazifizierung der Wirtschaft V: Das Gesetz Nr. 8 und seine Ausführungsbestimmungen – Nationalsozialisten durften ab 1945 keine leitenden Stellungen in den Betrieben haben

Industrieller Frierich Flick im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess 1947

Von Wolf Stegemann

Vorbemerkung. Die hier wiedergegebenen Ausführungsbestimmungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 8 geben Auskunft darüber, mit welcher Härte die Alliierten gleich nach Ende des Krieges die Nationalsozialisten aus dem Wirtschaftsleben entfernt haben wollten. Dies betraf sowohl die großen Industriellen an der Ruhr ebenso wie die vielen kleinen in den mittelständischen und kleinen Betrieben. Wer der Partei angehörte oder einer der angeschlossenen Organisationen, durfte keine leitende Tätigkeit mehr ausüben, ganz gleich, ob als Arzt, Glasschleifer oder Buchhalter. Der folgende Text ist einem Rundbrief entnommen und leicht gekürzt worden. Das Schreiben wurde im Dezember 1945 von der Britischen-Militärregierung an Landräte und Bürgermeister verschickt. Darin wird erklärt, was das Kontrollratsgesetz Nr. 8 bedeutet und wie damit in der Praxis umgegangen werden muss. Wir haben den Stil des Textes nicht verändert, um die Authentizität zu erhalten.

Kontrollratsgesetz Nr. 8 – Ausschaltung und Verbot der militärischen Ausbildung
vom 30. November 1945, in Kraft getreten am 1. Dezember 1945
Der Kontrollrat verordnet wie folgt:
Artikel I. Jegliche Tätigkeit von Verbänden, Vereinen, Gruppen und Einzelpersonen, die, mittelbar oder unmittelbar, die Theorie, Grundsätze, Technik oder Mechanik des Krieges lehrt oder die für irgendwelche kriegerische Handlungen vorbereitet, ist hiermit verboten und wird für gesetzwidrig erklärt. – Es folgen noch 8 weitere Artikel.

„Entnazifizierung der deutschen Geschäftswelt“

Daimler-Benz

Die Grundgedanken des Gesetzes Nr. 8 sind im 1. Abschnitt dieses Gesetzes zum Ausdruck gebracht Danach dürfen Mitglieder  der Nationalsozialistischen Partei und ihrer angeschlossenen Organisationen in Geschäften nicht in solchen Stellungen beschäftigt werden, in denen sie irgendeinen Einfluss auf die Führung des Unternehmens ausüben können. Ihre Tätigkeit muss aus „gewöhnliche Arbeit“ beschränkte sein; sie mit einer anderen Arbeit zu beschäftigen ist ungesetzlich. In Fällen von Zuwiderhandlungen wird nicht nur der Arbeitgeber bestraft, die Strafbestimmungen des Gesetzes gelten auch für den Arbeitnehmer, der  eine nach den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 8 verbotene Beschäftigung weiter ausübt oder eine solche annimmt. Die einzige Art von Arbeit, die von Nazis ausgeführt werden darf, bezieht sich auf Arbeiten oder Dienste, gelernter, ungelernter oder büromäßiger Art, in untergeordneter Stellung, in der der Betroffene weder in einer aufsichtführenden, leitenden oder organisatorischen Eigenschaft tätig ist.

Kontrollratsgesetz: Begriffsbestimmungen

Der Ausdruck „gewöhnliche Arbeit“ ist nicht gleichbedeutend mit „niedriger Arbeit“, „Hand“-Arbeit oder mit „Lohn“-Arbeit. Das heißt also, dass ein Nazi beispielsweise auch weiterhin als Büroangestellter beschäftigt werden darf, auch als Glasschleifer z. B. oder auch sogar als Ingenieur. Nur darf er kein Direktor sein, auch kein Geschäftsführer oder Etagenaufseher, noch ein Hotelportier, der die Pagen unter sich hat, oder ein Vorarbeiter. Er darf auch als Buchhalter oder Betriebsarzt weiterarbeiten, wenn er der einzige eines Unternehmens ist, darf aber nicht der Chef einer dieser Abteilungen oder des ärztlichen Gefolges sein. Es ist nicht Zweck dieses Gesetzes Nr. 8, allen Nazis jedweder Lebensmöglichkeit zu berauben oder es einem Nazi unmöglich zu machen, irgendein nützliches Handwerk auszuüben, sondern es besteht nur die Absicht, den Nazis jeder Einflussmöglichkeit auf Grund wirtschaftlicher Überlegenheit zu nehmen und sie daran zu hindern, andere unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit zu beherrschen.
Nach dem Gesetz ist es jedem Geschäft verboten, Nazis zu „beschäftigen“. Wenn ein Nazi also der Eigentümer des Gesamtbesitztums einer Körperschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, so darf er von dieser Körperschaft oder GmbH nicht weiterbeschäftigt werden, es sei den mit „gewöhnlicher Arbeit“.

Definition des Begriffs „Geschäftsunternehmung“

Plakat vor 1933 von Heartfield

In den Bestimmungen ist auch eine Definition für den Ausdruck „Geschäftsunternehmung“ gegeben. Dieser Ausdruck ist nur auf private Unternehmungen beschränkt. Mit dem Personal von Behörden und öffentlichen Körperschaften haben sich die Anordnungen vom 7. Juli beschäftigt. Das Gesetz Nr. 8 gilt daher nicht für die deutschen Eisenbahnen, die Post, öffentliche Telegraphen-Ämter oder für andere öffentliche Einrichtungen. Andererseits aber bezieht sich der Ausdruck „Geschäftsunternehmen“… auch auf Organisationen, die zum Wohl der Öffentlichkeit tätig sind. Es müssen daher auch alle Nazis aus leitenden Stellungen z. B. beim Roten Kreuz, dem Caritas-Verband und der Inneren Mission entfernt werden. Ein Nazi darf in einer solchen Organisation weder Geschäftsführer sein, noch leitender Arzt, weder Oberschwester noch Küchenchef, aber er darf beispielsweise dem ärztlichen Personal angehören, einfache Krankenschwester, ein Sozialarbeiter oder ein Koch in einer derartigen Institution sein. Bauernhöfe sind keine Geschäftsunternehmen. Die Besitzer oder sie leitenden Angestellten von bzw. auf Gütern sind jedoch evtl. zu entlassen bzw. anderweitig zu überwachen.

Mitgliedschaften in der Partei oder angeschlossenen Organisationen

Der Ausdruck „angeschlossene Organisationen“ (d. h. Organisationen, die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angeschlossen waren) ist in den Verfahrensbestimmungen ebenfalls definiert worden. Die Mitglieder folgender angeschlossner Organisationen fallen unter das Gesetz Nr. 8:

die NSDAP (Nazi-Partei)
die SS (Schutzstaffel)
die SA (Sturmabteilung)
das NSKK (NS Kraftfahrerkorps)
der NSDDB (NS Deutscher Dozentenbund)
der NSDStB (NS deutscher Studentenbund)
die NSF (NS Frauenschaft)
die HJ (Hitlerjugend)
der BDM (Bund deutscher Mädel).

Nach dem Gesetz Nr. 8 allein bedingt die Mitgliedschaft in irgendeiner anderen Organisation als im vorstehenden Absatz aufgeführt nicht die Entfernung einer Person aus einem Geschäftsunternehmen. Das Gesetz Nr. 9 schreibt  die Entlassung von Mitgliedern folgender Organisationen nicht vor:

Deutsche Arbeitsfront (DAF)
NS Volkswohlfahrt (NSV)
NS Deutscher Ärztebund NSDAeB)
NS Lehrerbund (NSLB)NS Rechtswahrerbund (NSRB)
NS Reichsbund für Leibesübung
Reichsarbeitsdienst (RAD)
Reichskulturkammer
Deutsches Auslandsinstitut (DAI).

Die Mitgliedschaft in einer dieser Organisationen hat auf jeden Fall starken Einfluss auf die Entlassung oder den Ausschluss einer Person. Die Mitgliedschaft in einer der angeschlossenen „Organisationen“, gleichgültig, ob sie unter das Gesetz Nr. 8 fallen oder nicht, ganz gleich ferner, ob der Betreffende in einer oder in mehreren Organisationen Mitglied war, beeinflusst die Klärung der Frage des Gesetzes Nr. 8, ob der Betreffende  in der Partei aktiv tätig war oder nicht.

Unfreiwillige Mitgliedschaften in der Partei und ihren Organisationen

Pinn zur Grundsteinlegung von VW 1938

Die Mitgliedschaft in der Partei oder ihren angeschlossenen Organisationen zu irgendeiner Zeit macht der Entlassung des Betreffenden aus einer einflussreichen Stellung auch dann erforderlich, wenn die Person später wieder ausgetreten ist. Dies gilt auch für Personen, die nach dem 1. Mai 1937 in die Partei eingetreten sind oder sie aus der Partei ausgestoßen wurden. Die Tatsache, dass jemand freiwillig Parteimitglied wurde, genügt in jedem Fall, alles weitere interessiert nicht. Die Tatsache, dass jemand gezwungen wurde, in die Partei einzutreten, genügt andererseits nicht, seine Entlassung vorzunehmen. Daher unterliegt jemand den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 8 nicht, wenn er auf Grund deutscher Gesetzesvorschriften gezwungen worden ist, Mitglied der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel (BDM) zu werden, oder wenn er nach dem 1. März 1944 in die Waffen-SS übernommen wurde.

Ausgenommen hiervon sind jedoch alle Personen, die sich, nachdem sie gezwungen wurden, in die HJ, den BDM oder die Waffen-SS einzutreten, als so gute Nationalsozialisten erwiesen, dass sie zu Unteroffizieren oder Offizieren in der Waffen-SS oder zu Führern (Offizieren) in der HJ oder dem BDM ernannt wurden. In letzteren Fall ist zu beachten, dass Jungen und Mädel nicht als Führer (Offiziere) gelten, selbst, wenn sie zu Führern folgender Einheiten wie Rotte, Kameradschaft, Schar, Gefolgschaft, Horde, Jungenschaft, Jungzug, Fähnlein oder deren weiblichen Gegenpolen gemacht wurden. Der Ausdruck „Offizier“ bezieht sich nur auf Erwachsene, die führende Positionen inne hatten oder in Verwaltungsstäben Dienst getan haben.

Vorstellungs- und Vollzugsverfahren, um Missbrauch zu verhindern

Um ungerechtere Härten zu vermeiden, gibt das Gesetz Nr. 8 solchen Personen, die nur dem Namen nach Nazis waren, Gelegenheit, Einspruch gegen die Entlassung zu erheben. Um hier möglichen Missbrauch zu verhindern, darf der Betreffende kein aktives Amt in der Partei gehabt haben, bei irgendwelchen Verbrechen der Nazis weder führend noch sonst wie beteiligt gewesen sein, sich nicht aus rassischen Gründen an Verfolgung oder Diskriminierungen beteiligt haben, er darf kein anerkannter Bewunderer des Nationalsozialismus, rassischer oder militaristischer Glaubensbekenntnisses sein, er darf auch nicht freiwillig wesentliche finanzielle oder materielle Unterstützung einer politischen Hilfe irgendeiner Art geleistet haben, weder der Partei selbst noch Nazibeamten und Naziführern.

Die Beweisführung ist Sache desjenigen, der die Berufung einlegt. Die Beweise sind dem Prüfungsausschuss vorzulegen. Solche Prüfungsausschüsse sind in jeder Stadt und jedem Landkreis von den zuständigen Oberbürgermeistern oder Landrat mit Genehmigung und unter Kontrolle der Militärregierung einzurichten. Die Einleitung eines Verfahrens vor dem Prüfungsausschuss entbindet nicht von der Verpflichtung, eine notwendige Entlassung vorzunehmen. Geht der Betreffende gegen die Entlassung in Berufung, so muss die Entscheidung des Berufungsausschusses der Militärregierung zur Genehmigung vorgelegt werden. Wenn die Berufung Erfolg hat, so darf der Arbeitgeber den Betreffenden wieder für eine höhere qualifizierte Stellung engagieren, der Betreffende hat aber keinen gesetzlichen Anspruch auf Wiedereinstellung oder auf Nachzahlung des entgangenen Lohnes oder Gehaltes.

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