Sparkassen im Vest II: In der Nachkriegszeit Beteiligung am Wiederaufbau, der Währungsreform und am so genannten „Wirtschaftswunder“

Schalter einer Sparkasse in den 1950er-Jahren

Anfang April 1945 war der Zweite Weltkrieg für die Einwohner des Vestes Recklinghausen endgültig vorbei. Amerikanische Truppen besetzten die Region. Damit war für die Menschen zumindest die Gefahr gebannt, im Zuge militärischer Auseinandersetzungen oder der alliierten Bombardements ums Leben zu  kommen. Das allgemeine Chaos und die damit verbundene große materielle Not sollte jedoch noch einige Zeit Bestand haben.

Die ungeordneten Zustände brachten auch für die Sparkassen große Probleme mit sich. Insbesondere die Kreissparkasse in Recklinghausen hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Erst nach einer mehrwöchigen Unterbrechung des Geschäftsbetriebes konnten die unter alliierter Aufsicht neustrukturierte Geschäftsleitung und das Personal des Geldinstituts die Räume am Herzogswall wieder in Betrieb nehmen. Sie waren zwischenzeitlich von den Besatzern für eigene Zwecke in Anspruch genommen worden. In den Geschäftsräumen herrschte ein großes Durcheinander. Ähnlich trostlos sah es auch in Dorsten, Herten, Datteln, Marl, Hüls und Waltrop aus. Allenthalben musste die Belegschaft zunächst Handwerkerdienste leisten. Dächer waren neu einzudecken, Fenster mussten mit Brettern und Drahtglas vernagelt und andere ähnliche Dinge mussten verrichtet werden. Zunächst durfte nur nach Anweisung der Besatzungsbehörde gearbeitet werden, und es war nicht leicht, wieder überschaubare Verhältnisse herzustellen. Erst allmählich kam das Geschäft wieder in Fahrt.

Von einmarschierenden Amerikanern Inneneinrichtungen demoliert

Einmarsch der Amerikaner in deutsche Städte

Bereits am 21. April 1945, also noch vor der Kapitulation der gesamten Wehrmacht, genehmigten die Besatzungsbehörden eine eingeschränkte Wiedereröffnung der Sparkasse. Dabei war es ein großer Vorteil, dass das Hauptgebäude des Geldinstitutes am Königswall weitgehend unzerstört geblieben war. Lediglich ein Artillerietreffer war während der Eroberung der Stadt durch die Amerikaner zu verzeichnen gewesen, der nur aber wenig Schaden anrichtete. Viel schwerer wog hier, dass Besatzungstruppen bei ihrem Einzug in die Stadt die Inneneinrichtung demoliert hatten. Glücklicherweise hatten sie aber den Inhalt der Banktresore unversehrt gelassen. Weniger Glück als die Hauptstelle hatte die größte Filiale in Recklinghausen-Süd. Sie war bereits Ende 1944 bei einem Luftangriff vollkommen zerstört worden.

Bezugsmarken und Zwangswirtschaft verhinderten Schlimmeres

Bezugsmarke für Kraftstoff 1950

In weit desolaterem Zustand als die Geldinstitute befand sich die Währung bei Kriegsende. Die geräuschlose Kriegsfinanzierung des Dritten Reiches, hinter der sich letztlich nichts anderes verborgen hatte als die Notenpresse, schlug sich nun in einer (zurückgestauten) inflationären Entwicklung nieder. Sie kam vorläufig nur deshalb nicht zum Ausbruch, weil der Güteraustausch auf der Basis eines freien Marktes und Geldverkehrs stark eingeschränkt war. Stattdessen gab es Bezugsmarken, Zwangswirtschaft und einen allgemeinen Lohn- und Preisstopp. Das waren Maßnahmen, die währungstechnisch Schlimmeres verhinderten. Außerdem flüchteten sich die Menschen (unerlaubterweise) auf den Schwarzmarkt. Die Währung bestand hier nicht aus Geldscheinen, sondern aus Zigaretten. Die eigentliche Inflation fand somit vielmehr auf den Sparkonten statt. Da das „normale“ Geld nicht eingesetzt werden konnte, sammelte es sich dort in großen Mengen an.
Aus der besonderen Situation nach Kriegsende erwuchsen den Sparkassen nun teilweise vollkommen neue, ungewöhnliche Aufgaben. Gespart und verrechnet wurden hier vorübergehend Punkte und kein Geld. Um den lokalen Gewerbetreibenden und ihren Lieferanten eine Basis für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu schaffen, war ein Punktesystem entwickelt worden, das den Teilnehmern entsprechend den von ihnen erbrachten Leistungen eine bestimmte Anzahl von Punkten auf ihren Konten gutschrieb. Die Sparkassen unterstützten die Wirtschaftsämter, indem sie für diese die Punktekonten führten und die Abrechnung regelten.

Währungsreform und soziale Marktwirtschaft – aller Anfang ist schwer

Währungsreform 1948 mit der Deutschen Mark

Zu einer grundlegenden formalen Veränderung der Situation sollte es erst mit der Währungsreform vom 20. Juli 1948 kommen. Diese Reform, bei der deutsche Experten im Übrigen nur eine beratende Funktion besaßen, wurde von den Alliierten unter dem Decknamen „Operation Bird Dog“ durchgeführt. Das neue Geld war bereits seit Oktober 1947 in den USA gedruckt und im Frühjahr 1948 in Kisten aus New York über Bremerhaven nach Frankfurt gebracht worden, von wo aus es dann weiter an die Ausgabestellen verteilt wurde. In rascher Folge wurden nach der Reform auch die bis dahin gültigen Preis- und Rationierungsvorschriften aufgehoben. Lediglich besonders wichtige Güter wie Kohle, Stahl, Düngemittel und Treibstoffe blieben durch festgesetzte Höchstpreise bewirtschaftet, und für die Grundnahrungsmittel und Mieten gab es weiterhin Festpreise.
So wichtig und richtig der Währungsschnitt langfristig auch war, kurzfristig brachte er den Menschen kaum Erleichterung. Im Zentrum der Vorüberlegungen hatte vor allem gestanden, wie man eine Inflation vermeiden könne. Auch die berühmten Kopfgeldquoten von 40 und später noch einmal 20 Mark sollten eigentlich weniger dazu dienen, jedem eine „gleiche Chance“ zu eröffnen, als vielmehr dazu, nur eine begrenzte – nicht inflationsträchtige – Geldmenge in Umlauf zu bringen. Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit der Währungsumstellung hatte kaum eine Rolle gespielt.

Handgreiflichkeiten wegen erhöhter Lebensmittelpreise

So sehr sich auch später die Entscheidung für die Währungsreform als richtig herausstellen sollte – letztlich wurde damit geldpolitisch der Grundstein für den raschen ökonomischen Aufstieg der Bundesrepublik gelegt –, so umstritten war diese Entscheidung kurz nach ihrer Durchführung in der breiten Masse der Bevölkerung. Kurz nach der Währungsreform sahen die Menschen, dass ihnen die Preise davonliefen, während die Löhne stagnierten, und den meisten war klar, dass sich ein gerechter „Lasten- und Vermögensausgleich“ noch auf Jahre hinauszögern würde. Mancherorts gab es infolgedessen regelrechte Handgreiflichkeiten wegen der erhöhten Lebensmittelpreise. Ein großer Teil der Presse, der Gewerkschaften und der Opposition verlangte den Abbruch des mit der Währungsumstellung einhergehenden marktwirtschaftlichen „Experiments“ und die Ablösung des westdeutschen Politikers, der in den Augen der Öffentlichkeit für diese Politik verantwortlich war: der Chef der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft und spätere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Erhard rechtfertigte sein Vorgehen aber schon am 28. August 1948 auf dem zweiten Parteikongress der CDU der britischen Zone, der in Recklinghausen stattfand. Er stellte klar:

„Entweder sie behalten die Zwangswirtschaft mit all ihren Scheußlichkeiten, oder aber sie nehmen die Pressionen der Marktwirtschaft bewusst in Kauf, in der Erwartung, dass die lebendigen Kräfte des Marktes den Ausgleich schaffen.“

Generalstreik der Gewerkschaften in der Britischen Zone 1948

Gewerkschaften verweigerten sich anfangs der „sozialen Marktwirtschaft“

Die Gewerkschaften vermochte Erhard mit seinen Argumenten aber nicht vollkommen zu überzeugen. Am 12. November 1948 riefen sie zum Generalstreik gegen die staatliche Preispolitik auf. In der Bizone legten 9 Millionen Arbeitnehmer die Arbeit nieder. Diese Arbeitsniederlegung war am Ende allerdings nur wenig bedrohlich, denn die Gewerkschaftsführung achtete sehr genau darauf, dass dieser „Protest“ nicht ausuferte. Zwar wurden en passant und eher vorsichtig auch Neuordnungsforderungen gestellt; auf der anderen Seite wurde der Streik aber auf 24 Stunden beschränkt und vorsichtshalber an einem Freitag ausgerufen. Der gesellschaftliche Friede, eine weitere wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufstieg des neuen westdeutschen Staates, blieb – auch in Zukunft – gewahrt.

Spätestens Mitte der 1950er-Jahre sollte sich dann zeigen, dass die von Erhard eingeführte und von den Gewerkschaften letztlich akzeptierte soziale Marktwirtschaft in der Tat reiche Früchte trug. Gerade die Sparer wurden durch die Währungsreform sogar besonders verärgert, denn das auf Sparkonten angelegte Geld wurde bei der Umstellung am schlechtesten behandelt. Anstelle des allgemein festgelegten Umtauschwertes für Reichsmark in DM von 10:1 galt hier nur ein Umtauschwert von 10:0,65. Die Situation für die Sparer verschlechterte sich auch noch dadurch, dass die ausbezahlten „Kopfgelder“ von den bestehenden Guthaben abgezogen wurden. Bei einer kinderreichen Familie hatte das oft drastische Auswirkungen, die bis hin zum völligen Verlust des Ersparten führen konnten. Von den 30 Millionen Konten, die einstmals von den Sparkassen in Deutschland verwaltet worden waren, blieben nur noch rund 10 Millionen Konten übrig.

Sparkasse in Dorsten neben dem Kolpinghaus

Gegen Vertrauensverslust bei Sparern ankämpfen

Die Sparkassen, die mit dieser Entscheidung selber gar nichts zu tun hatten, mussten nun gegen einen großen Vertrauensverlust bei ihren Kunden, vor allem den klassischen Sparern, ankämpfen. Hinzu kam noch, dass etliche ihr noch vorhandenes Erspartes abhoben, um sich damit Waren zu leisten, die unmittelbar nach der Währungsreform „wie von Geisterhand“ in den Schaufenstern der Läden aufgetaucht waren. Ein großer Auszahlungsüberschuss bei den Sparkassen war die Folge. Die Institute konnten diese Phase nur deswegen überstehen, weil sie sich mittlerweile auch in anderen Geschäftsbereichen angesiedelt und zu Universalkreditinstituten entwickelt hatten. So flossen den Sparkassen die zuvor von den Sparkonten abgehobenen Gelder in der Regel über die Geschäftsgirokonten wieder zu. Schwierig blieb die Situation aber allemal, und auch die Sparkassen spürten, dass sich die deutsche Wirtschaft und damit auch die 1949 neu gegründete Bundesrepublik gegen Ende der 40er Jahre ökonomisch noch auf unsicheren Beinen bewegte und noch richtig „gehen lernen“ musste. Erst nach überstandener Korea-Krise (1951), die noch einmal kurzfristig – und auf Kosten der Sparguthaben – eine Flucht der Sparer in Sachwerte nach sich zog, sollte sich eine deutliche Besserung der Lage, ja sogar eine in dieser Form bisher nicht gekannte, geradezu rasante Aufwärtsentwicklung einstellen.

Nachfragen nach Darlehen stiegen in den 1950er-Jahren an

Wiederaufbau von Eigenheimen

In der Bevölkerung machte sich mehr und mehr das Gefühl breit, dass sich das Leben nach dem Desaster des Dritten Reiches und der großen Not der Nachkriegszeit allmählich wieder normalisierte. Spätestens in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre manifestierte sich – nicht zu Unrecht – die Meinung, dass das Land, in dem man lebte, wirtschaftlich sogar eine besonders gute Zukunft bot – besser als anderswo in Europa. Die Sparkassen hatten für den Wiederaufbau, von dem sie zugleich profitierten, eine nicht zu unterschätzende Funktion. Sie stellten dem Mittelstand und dem Handwerk, aber auch den Kommunen und den Kirchen Kredite zur Verfügung. Vor allem aber beteiligten sie sich an der Neu- und Wiederbeschaffung dringend benötigten Wohnraumes. Schon bald nach der Währungsreform hatte eine lebhafte Nachfrage nach Darlehen und Krediten eingesetzt, die vornehmlich dem Bau von Häusern und Errichtung von Gewerbebetrieben dienten.

Siehe auch:
Sparkassen im Vest I: 1933 Gleichschaltung, 1938 Zugriff auf Konten jüdischer Sparer, ab 1939 Kriegsfinanzierung, 1945 Geld auf einen Handkarren gepackt

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Quelle: „150 Jahre Sparkasse Vest Recklinghausen. Gut für die Region“, hgg. von der Sparkasse Vest 2005.
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