Ab 1942 sollten KZ-Bordelle die Arbeitslaune der privilegierten Häftlinge steigern – Eine groteske Einrichtung, die nach 1945 tabuisiert wurde

Häftlingskarteikarte einer "Bordellfrau"

Von Wolf Stegemann

Lagerbordelle wurden zwischen 1942 und 1945 in zehn NS-Konzentrationslagern eingerichtet und sollten männlichen Häftlingen als Anreiz zur Mehrarbeit dienen. Der Historiker Robert Sommer schätzt, dass 210 Frauen in den Bordellen deutscher Konzentrations- und Vernichtungslager zur Prostitution gezwungen wurden, für 174 Frauen wurde dies namentlich nachgewiesen, wie in seinem Buch „Das KZ-Bordell“ (Paderborn 2009) nachzulesen ist.

Die Idee der Einrichtung von Lagerbordellen geht zurück auf einen Besuch des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, im KZ Mauthausen und den umliegenden Steinbrüchen. Nach seinen Vorstellungen sollte die totale Ausbeutung der Arbeitskraft von männlichen KZ-Häftlingen durch die Einführung von Gratifikationen forciert werden. Privilegierten männlichen Häftlingen sollte der Besuch des „Sonderbaus“ – so der Sprachgebrauch bei der der SS für diese Bordellbaracken – erlaubt werden. In einem Brief an Oswald Pohl vom 23. März 1942 schrieb Himmler: „Für notwendig halte ich allerdings, dass in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“ Pohl war SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und als Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes maßgeblich an der Durchführung des Holocaust beteiligt. Im Mai 1943 wurde eine „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge“ im gesamten KZ-System eingeführt. Darin wurden männlichen Häftlingen bei höherer Arbeitsleistung das Tragen eines militärischen Haarschnitts, die Zuteilung von Zigaretten, eine höhere Brieffrequenz, Einkäufe in der Kantine und der Bordellbesuch gestattet.

Erstes Bordell entstand 1942 im KZ Mauthausen

Bordellbaracke im KZ Mauthausen

Bereits im Juni 1942 entstand in Mauthausen das erste dieser zehn Häftlingsbordelle. Hierfür wurden Frauen „abgestellt“, die zur Häftlingskategorie „asozial“ gehörten. In diese Gruppe fielen Frauen, die sich nicht in den NS-Staat eingefügt hatten und beispielsweise den Bund Deutscher Mädel ablehnten. Zu den „Asozialen“ gehörten auch Frauen, die sich prostituiert hatten und nicht den Auflagen der Polizei nachgekommen waren. Viele dieser zur Prostitution gezwungenen Frauen kamen aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau. Anfangs versuchte die SS mit den falschen Vorgaben einer Haftentlassung nach sechsmonatigem Bordelldienst Frauen dazu zu bringen, sich „freiwillig“ zu melden. Später wurden Frauen selektiert, denen der Charakter des Dienstes verschwiegen wurde. Andere waren Polinnen, Ukrainerinnen, Weißrussinnen, aber auch „Zigeunerinnen“. Jüdische Frauen gab es in den Lagerbordellen nicht. Zogen sich Frauen eine Geschlechtskrankheit zu, wurden sie in Mauthausen für medizinische Versuche zur Verfügung gestellt. Schwangere wurden einer Zwangsabtreibung unterzogen. – Jüdischen Häftlingen und sowjetischen Kriegsgefangenen war der Bordellbesuch nicht erlaubt.

Insgesamt gab es in zehn Lagern „Sonderbau“-Einrichtungen

Besuchsantrag per Bordellschein

Zunächst wurden die Bordelle von Häftlingen, die körperlich dazu in der Lage waren, gut besucht. Später sanken aber die Besuchszahlen rapide. Viele politische Häftlinge lehnten den Besuch eines solchen Bordells aus moralischen Gründen ab. Für die meisten Häftlinge war das Lagerbordell im täglichen Überlebenskampf bedeutungslos und wurde als groteske Einrichtung wahrgenommen (Hermann Langbein: „Menschen in Auschwitz“, 1997).

Das Lagerbordell im KZ Auschwitz I wurde ab Juni 1943 auf Geheiß Himmlers im Block 24a (gegenwärtig Sitz des Museums-Archivs) eingerichtet. Zuvor hatte die SS den Plan verworfen, eine Bordellbaracke (Bauvorhaben 93) hinter dem Block 11 zu errichten. Es eröffnete im Oktober 1943 und sollte privilegierten Funktionshäftlingen zur Belohnung dienen. Den SS-Wachen war der Besuch verboten, sie besuchten ein Bordell in der Stadt Auschwitz. Über 60 deutsche, polnische und ukrainische Frauen selektierte die SS im Frauenlager im KZ Auschwitz II-Birkenau für die beiden Bordellkommandos in Auschwitz I und KZ Auschwitz III-Monowitz. Das Lagerbordell bestand bis wenige Tage vor der Evakuierung von Auschwitz. Ab 1943 gab es innerhalb des Schutzhaftlagers in Buchenwald ein Lagerbordell für Häftlinge als „Antriebsmittel für höhere Leistungen“. Zu diesem Zweck wurden im Juli 1943 aus dem KZ Ravensbrück 16 weibliche Häftlinge nach Buchenwald verbracht und zur Prostitution gezwungen.
Am 11. Mai 1944 wurde im KZ Dachau ein Lagerbordell in Betrieb genommen, sechs Frauen aus Ravensbrück trafen ein. Es stand in Zusammenhang mit der Dienstvorschrift Oswald Pohls, außergewöhnliche Arbeitsleistungen bei Häftlingen zu honorieren und damit zu steigern. Gegen Ende des Jahres löste man es wieder auf (Stanislav Zámečník: „Das war Dachau“. Luxemburg, 2002. Häftlingsbordelle gab es auch in den Konzentrationslagern Gusen (Herbst 1942), Flossenbürg (Sommer 1943), Neuengamme (Frühjahr 1944), Sachsenhausen (Sommer 1944), Mittelbau Dora (Anfang 1945).

Bordellzimmer im KZ Buchenwald

Schweigen nach dem Weltkrieg

Nach Ende des NS-Regimes wurden die staatlich errichteten Lagerbordelle tabuisiert und totgeschwiegen. Fast alle Frauen verschwiegen nach dem Krieg, zur Arbeit in einem Lagerbordell gezwungen worden zu sein. Möglicherweise auf Grund der früheren Einstufung als „Asoziale“ und/oder der falschen Einschätzung ihrer Zwangslage verweigerten ihnen nach dem Krieg beide deutschen Staaten die Anerkennung ihres Opferstatus bis in die 1990er-Jahre hinein und erhielten somit keine Entschädigung (Christa Schikorra: Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit“ in „Dachauer Hefte“, 2000). Sie waren der Öffentlichkeit zumeist unbekannt und wurden erst seit den 1990er-Jahren von Wissenschaftlern thematisiert.

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Quellen und Literatur: Angaben im Wesentlichen nach Robert Sommer: „Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern“, Schöningh, Paderborn 2009. – Robert Sommer: „Die Häftlingsbordelle im KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Sexzwangsarbeit im Spannungsfeld von NS-,Rassenpolitik’ und der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ in: Akim Jah, Christoph Kopke, Alexander Korb, Alexa Stiller (Hrsg.): „Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur Geschichte der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Theorie und Praxis von Gedenkstättenarbeit“, Münster 2006. – Ders.: „Sonderbau und Lagergesellschaft. Die Bedeutung von Bordellen in den KZ“ in: „Theresienstädter Studien und Dokumente“, Prag 2007. – Christa Schikorra: „Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit. Zur Situation ,asozialer’ Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück“ in „Dachauer Hefte 16“, Dachau 2000. – Christa Paul: „Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus“, Edition Hentrich, Berlin 1994. – Gabriele Czarnorwski: „Frauen – Staat – Medizin. Aspekte der Körperpolitik im Nationalsozialismus“ in: „Frauen zwischen Auslese und Ausmerze. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis“, Nr. 14, Köln 1985. – DIE ZEIT vom 20. Juli 2006: „In Mauthausen ist die erste Ausstellung über Bordelle in den Konzentrationslagern zu sehen.“
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