Der Reichsnährstand trimmte die Landwirte auf Parteilinie – Ein Erler Bauer widerstand der „Blut und Boden“-Ideologie

Von Wolf Stegemann

Das Volk und jeder einzelne war auf Parteili­nie zu trimmen. Wer da nicht mitmachte, be­kam den Druck und die Verfolgung des allge­waltigen Staats-, Spitzel- und Parteiappara­tes zu spüren.  Der „braunen Gewalt“ war auch der Landwirt Bernhard Grewing [†] aus Erle, damals Amt Hervest-Dorsten, ausgeliefert. Über 40 Jahre lang kämpfte er in er Nachkriegsrepublik um sein Recht bei Be­hörden und vor Gericht. Denn Arges ist ihm und seiner Familie im Jahre 1940 widerfah­ren. Noch schlimmer für ihn war allerdings der Umstand, dass das damals zugefügte Unrecht Zeit seines Lebens nicht wieder gut gemacht worden ist. Und das stimmte nicht nur den Betroffe­nen nachdenklich.

Die Nationalsozialisten sahen im Bauern­stand die Keim- und Urzelle eines wehrhaf­ten deutschen Volkes. Gemäß ihrer Logik durfte deshalb nur der die deutsche Scholle beackern, der auf Parteilinie einschwenkte. So hofierten die Nazis das Bauerntum ideo­logisch und setzten zugleich die unter Druck, die der Partei oder deren Gliederungen nicht die erwartete Referenz erwiesen. Die braunen Herrscher entwickelten ein aus­geklügeltes System, um streitbare und stand­hafte Bauern gefügig zu machen, denn nicht alle schworen auf „Blut und Boden“. Diese waren den Schikanen des Systems ausgelie­fert. So auch der Erler Landwirt Bernhard Grewing.

Seine Mutter und er bewirtschafteten einen Hof, eigenes und von der Berggewerkschaft Lothringen bis 1945 unkündbar gepachtetes Land, das die Grewings auf eigene Kosten und mit eigenen Mitteln kultivierten. Um nun den Bauernstand politisch zu bräunen, setzte 1940 eine so genannte Bodenumverteilung ein, die bis zum 31. Dezember 1941 abge­schlossen sein musste. Missliebige Bauern sollten benachteiligt, ihnen sogar die Exi­stenz genommen werden.

Bauern mussten bei der Hinrichtung von Polen zusehen

Das System funktionierte. Die Berggewerk­schaft Lothringen gab ihren verpachteten Grundbesitz an die neu gegründete Sied­lungsgesellschaft „Rote Erde“ in Münster ab, die Pachtverträge wurden gekündigt, die Umverteilung des Bauernbodens konnte be­ginnen.

Neue Verträge, mit denen Grund und Boden gekauft werden konnten, wurden ausgear­beitet; sie hatten aber nur Gültigkeit, wenn man im Besitz eines „Anliegersiedlerschei­nes“ war. Eine entsprechende Klausel stand sogar in den Verträgen. Diesen Schein be­kam nur, wer sich zum Nationalsozialismus bekannte. Mittler und Ausrichter dieser Transaktion war die bäuerliche Standesorga­nisation, der „Reichsnährstand“ mit seiner „Blut und Boden“-Ideologie.

Die Bauernführer mussten Erfolge nachwei­sen. So setzten sie die Bauern unter Druck, die die neuen Verträge nicht unterschreiben wollten. „Als in Polsum polnische Ostarbei­ter aufgehängt wurden“, so der Erler Land­wirt, „mussten wir dort zusehen. Uns wurde gesagt, dass auch wir hängen werden, wenn wir nicht unterschreiben.“ Doch der damals 28-jährige Grewing und seine Mutter weigerten sich noch immer. Als auch der damalige Bürgermeister von Erle, Bern­hard Böckenhoff-Grewing keinen Erfolg hatte, lud man den standhaften Bauernsohn in das Büro des Reichsnährstandes in Münster vor. „Nach anfänglichen Schmeicheleien wurde ich verprügelt und von der Gestapo festgenommen. Meiner Mutter sagte man, dass ich solange im Gefängnis bleiben müsste, bis sie den Vertrag unterschrieben hätte.“ Sie unterschrieb. Der Sohn kam frei und wurde Soldat. Der Vertrag wurde „rechtswirksam“, obwohl er die Klausel mit dem Anliegersied­lerschein beinhaltete, dessen Nichtbesitz den Vertrag wieder ungültig machte. Aber darum scherten sich weder Reichsnähr­stand, Behörden noch Gerichte. Das Grund­buch wurde amtlicherseits zum Besitznach­teil Grewings geändert. Und gerade das ist die Un­gerechtigkeit, an der der Erler Bauer bis zu seinem Tod litt, an der er verzweifelte. Denn die damals wie heute ungerechtfertigte Grundbucheintragung wurde nicht wieder rückgän­gig gemacht. Der Geschädigte hat diese Ver­träge nie als rechtens anerkannt. Die Regie­rung in Münster, so damals der Landwirt, habe mit dem 8. Mai 1945 alle diesbezüglichen Ver­träge für ungültig erklärt. Bernhard Grewing stritt in bundesrepublikani­scher Nachfolgezeit vergebens bei Be­hörden und vor Gerichten. Niemand zeigte sich zuständig, das „heiße Eisen“ anzufas­sen. Hätte man ihm Recht gegeben, hätte eine neue Bodenumverteilung stattfinden müssen. Das hätte böses Blut bei seinen Nachbarn gege­ben, die bei der „Blut und Boden“-Umverteilung Teile seines Besitzes zugeschlagen beka­men.

Behörden waren für seine Beschwerden nicht zuständig

So beschränkt sich Bernhard Grewing auf Entschädigungsforderungen, die er an den Staat richtete, denn der Staat war es, der ihm zwangsweise Grund und Boden weggenommen hatte. Doch der Erler biss auf Granit. Quer durch Amtsstuben und Gerichtssäle zeigten sich bundesdeutsche Staatsverwalter und Juristen inkompetent, den Fall zu lösen. Nicht, dass sie sein Anliegen für Unrecht hielten, sondern sie wollten wegen der unabwägbaren Rechtsfolgen nicht zuständig sein.

Anfang der 1980er-Jahre lehnte der Beschwerdeaus­schuss beim Regierungspräsidenten Münster den Antrag auf Entschädigung wegen Unzu­ständigkeit ab. Dem Landwirt blieb eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht. Alles für den Papierkorb.  Der um sein Recht kämpfende Landwirt wollte sein Haus zu seinem Lebzeiten bestellt wissen. So kam es aber nicht. Durch seine konsequente Nichtaner­kennung der Unrechtsverträge aus national­sozialistischer Zeit hatte er Ärger mit dem Fi­nanzamt, den Behörden und mit der Erb­folge. Als seine Mutter 1965 starb, lehnte er das Erbe ab, weil er dadurch die Verträge an­erkannt hätte. Er bewirtschaftete lediglich seinen „eigenen“ Hof, den er noch zu Lebzeiten seinem Sohn übergab. Bernhard Grewing wollte „geordnete Verhältnisse“ hinterlassen. Dies gelang ihm nicht. Er hatte sich zudem im Dschungel der Paragrafen und Unzuständigkeiten ver­strickt. Ein Einzelfall?

 

 

 

 

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