Von Wolf Stegemann
Erst die Nationalsozialisten belebten wieder den Brauch der Maifeiern und beriefen sich dabei als Begründung auf heidnisch-germanische Sitten. Frühlingsglaube, Frühlingssonne, das plötzliche Erwachen der Natur, das Feuer- und Sonnenrad (Hakenkreuz) mussten herhalten, um den 1. Mai als „Ehrentag der deutschen Arbeit“ zu verschönern. In Dorsten entstand ein „Frühlingszug“, um den sich besonders der Heimatforscher und pensionierte Petrinum-Schulleiter Dr. Josef Wiedenhöfer einsetzte, der 1936 im „Vestischen Kalender“ den 1. Mai im Sinne der NS-Ideologie als nationalsozialistische Geburtsstätte umdeutete. Denn er wirkte bei der Einführung eines neuen nationalsozialistischen Brauches des „Jugendzuges“ mit, der die Maifeier schon 1933 nationalsozialistisch neu beleben sollte.
Von seiner schwülstigen Choreografie wurde nur ein Teil realisiert: An der Spitze des Zuges liefen frühlingsgeschmückte „wandernde, singende, spielende Knaben und Mädchen mit Trommeln, Pfeifen, Geigen und Mandolinen“. Auf einem reich bekränzten Flachwagen, dem „Sonnenwagen“, war eine große Fahne mit einem goldenen „Hakenkreuz auf himmelblauem Grund in einem großen, grünen Kranz mit goldgelben Blumen“ angebracht. Darunter war der „Sonnenjüngling“, ein 16- bis 18-jähriger Junge in goldenblauem Gewand zu sehen, dahinter je zwei weiße Engelsgestalten, die durch goldene und silberne Diademe den Mond und die Planeten darstellten. Dahinter liefen 20 bis 25 Paare Knaben mit Birkenkränzen geschmückt. In den Händen trugen sie Birkenzweige, die durch die Sonne erweckte Naturkräfte darstellten.
Auf einem weiteren Festwagen stand unter einem geschmückten Baldachin das Mai-„Brautpaar“ im Hochzeitsschmuck, etwa achtjährige Kinder. Zum Brautgefolge gehörten bis zu 25 Paare geschmückter Mädchen. In der Nähe des Marktplatzes blieb der Wagen stehen und die beteiligten Kinder führten nun ein Sprech- und Sing-Spiel über die Dorstener „Maibrut“ auf. Dabei wurden traditionelle Texte verwendet, aber zum Schluss nationalsozialistische Propaganda eingeflochten, indem der Sprecher auf die Hakenkreuzfahne wies und sagte: „Heil deutsche Sonne, siegend Licht! Durch das Gewölk der Neider bricht!“ Daraufhin wiederholte der Gesamtchor diese Zeilen singend.
Petrinum-Schulleiter Wiedenhöfer vereinte die Sonne mit dem Hakenkreuz
Dr. Josef Wiedenhöfer war zufrieden mit den Aufführungen, zweifelte aber selbst daran, dass sich die Maifeier in dieser oder ähnlicher Form einbürgern könnte. Er bewunderte die Schönheit und Vollkommenheit seiner Aufführung, sprach den Dorstenern aber das „Verständnis“ dafür ab. Er lobte aber auch, vor allem die Mädchen, war aber mit den beteiligten Jungen nicht ganz zufrieden. Denn er berichtete:
„Der Erfolg dieses und des vergangenen Jahres beruhte wesentlich auf der Bereitwilligkeit und dem Schönheitssinn der beteiligten Mädchen der Volksschulen. Schwer zu überwinden war die Sprödigkeit der Knaben, denen Bekränzung und Schmückung des eigenen Körpers und die rechte Einfühlung sichtlich Überwindung kostete.“
In seiner Betrachtung verstieg sich der alternde Schuldirektor in der Feststellung, dass „der so (gemeint ist sein „Frühlingszug“) versinnbildlichte Naturfrühling wiederum Symbol [ist] für den neuen Menschenfrühling, für den Wiederanhub hoffungsvollen Menschenschaffens und Wirkens…“ Dies ist nicht anders zu deuten, als dass er damit den Nationalsozialismus meinte, denn er berichtet weiter: „Dass endlich unser Sonnensinnbild mit dem Hakenkreuzzeichen erscheint, bedeutet eine dritte Stufe der Versinnbildlichung oder Symbolik.“ Dr. Wiedenhöfer spricht „von göttlichem Wirken in der Seele des Einzelnen wie im Geist und Drang des einer Bestimmung entgegen ringenden Volkes…“
Im 1935 wiedereröffneten Heimatmuseum am Markt war die Wand beim Treppenaufgang zum ersten Stock mit einem Bild bemalt, das eine Szene aus diesem heute (und vielleicht auch damals schon) komisch wirkenden „Frühlingszug“ zum 1. Mai darstellte: Mädchen tanzen am Markt um einen Mai-Baum und ein Junge hält das bekränzte Hakenkreuz in der Hand. Am 1. Mai 1939, dem Tag der Arbeit, wurde der Dorstener Teppichweberei Stevens und Schürholz (DeKoWe) als nationalsozialistischer Musterbetrieb die „Goldene Fahne“ der Deutschen Arbeiterfront (DAF) überreicht. – Die Feiern zum 1. Mai haben sich bis heute in unterschiedlichen Varianten erhalten, meist als „Tanz in den Mai“ und als politischer Tag der Gewerkschaften. Und für alle als Feiertag.
Nationalsozialisten machten den 1. Mai zum nationalen Feuertag
Doch erst die Nationalsozialisten machten den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag, zum „Feiertag der nationalen Arbeit“, indem sie sich die Ziele der gewerkschaftlichen Arbeitersolidarität einverleibten. Der 1. Mai war für die Nationalsozialisten immer ein Anstoß für große pathetische Reden. Am 1. Mai 1933 notierte Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Der große Tag ist angebrochen … richtiges Hitlerwetter!“
Auch in Dorsten und den umliegenden Gemeinden wie Holsterhausen fanden große Umzüge statt. Für 200 Reichsmark kaufte die Stadt Hakenkreuzfahnen. Die „Dorstener Volkszeitung“ schrieb, es liege Frühlingsschimmer über Deutschland und es sei, als ob der Himmel das Füllhorn des Lenzes zum Feiertag der nationalen Arbeit ausschütten wollte.
In Dorsten lud die NSDAP die Senioren zu Kaffee und Kuchen in die Gaststätte Koop ein und veranstaltete am Abend einen gewaltigen Fackelzug „aus mehreren tausend Teilnehmern“ ins Lippetal. Dort sprach der Reichsreferent für Kirchenangelegenheiten und rief die versammelte Jugend zum Eintritt in die HJ auf. In Hervest war es ähnlich. Auf dem Platz vor der Schachtanlage wurden Fahnen und Reden geschwungen und auf dem Adolf-Hitler-Platz (Brunnenplatz) dröhnte die Übertragung der Rede seines Namenspatrons.
In Holsterhausen marschierten Korporationen und Vereine zum Friedensplatz und von dort aus in geschlossenem Zug zum Gottesdienst in die Kirchen. Am Nachmittag hielt der Vorsitzende des Österreichisch-deutschen Volksbundes eine „flammende Rede über Deutschlands Wiedergeburt“, die mit einem Sieg-Heil auf Adolf Hitler und „das ganze deutsche Vaterland“ ausklang. Danach formierte sich unter Voranmarsch der SA ein Festzug durch die Gemeinde zum Holsterhausener Marktplatz. Das ist heute die Grünanlage mit Kinderspielplatz an der Ecke Breslauer Straße/Antoniusstraße. Dort wies NSDAP-Ortsgruppenleiter Dietz auf die Denkwürdigkeit des 1. Mai hin und pflanzte eine Eiche, die „Hitler-Eiche“ genannt wurde. Dietz verkündete, dass von nun an der Marktplatz „Hitlerplatz“ heißen solle. Danach nahm der Gemeindevorsteher die „Hitler-Eiche“ in die Obhut der Gemeinde und versprach, „sie zu hegen und zu pflegen“. Sie wurde allerdings nicht alt, um Wurzeln zu schlagen. Noch in der Nacht knickten bis 1945 unbekannt gebliebene sie um. „Eine nationale Schandtat“ nannte es anderntags die Dorstener Volkszeitung. Die Feier schloss auch hier mit einem Sieg-Heil auf Reichspräsident und Kanzler sowie einem Fackelzug. Nach dem Krieg wurde bekannt, wer der „Frevler“ war: August Keller.
Gewerkschafter verhaftet und in Konzentrationslager gebracht
Am folgenden Tag besetzten Polizei, SA und SS in ganz Deutschland alle Häuser und Büros der Gewerkschaften, verhafteten die Funktionäre, die zum Teil in Konzentrationslager oder Gefängnisse verbracht wurden. Der „Völkische Beobachter“ titelte am 3. Mai 1933: „Der Nationalsozialismus übernimmt die Führung der deutschen Arbeiterpartei“. In Hervest und Holsterhausen waren zu diesem Zeitpunkt bereits die Gewerkschaften zerschlagen und gleichgeschaltet, ihre Funktionäre waren entweder in Haft oder untergetaucht.
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Der Maifeiertag
Der 1. Mai ist der internationale Feiertag der Arbeiterbewegung. Schon 1933 wurde er durch Reichspropagandaminister Goebbels unter nationalsozialistische Regie genommen. Um die Arbeiterschaft zu überrumpeln, aber auch für das Regime zu gewinnen, wurde der 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ zum gesetzlichen Staatsfeiertag erhoben – parallel zum Erntedanktag – und zu einer der wichtigsten Feiern im nationalsozialistischen Jahreslauf gemacht. Die allmähliche Umdeutung zum „nationalen Feiertag des deutschen Volkes“, wie die offizielle Bezeichnung später lautete, gab dem Tag einen neuen Sinn, der in der Feier der einigen deutschen Volksgemeinschaft liegen sollte.
Die großen Kundgebungen der Vorkriegszeit wurden während des Krieges eingestellt, doch fanden am 1. Mai noch Morgenfeiern und Betriebsappelle statt, bis Rüstungsminister Speer 1942 auch für deren Einstellung sorgte. Morgenfeiern waren nationalsozialistische Ersatz- und Konkurrenzveranstaltungen zu kirchlicher Morgenandacht und sonntäglichem Gottesdienst.