Zwangssterilisierung III: In Dorsten wurde mit bürokratischer Kälte verfahren. Zur Unfruchtbarmachung vom Bürgermeister polizeilich vorgeladen

Von Wolf Stegemann

Ein bis heute von den Opfern schamhaft verschwiegenes häufiges Unrecht des Nationalsozialismus sind die erbgesundheitlichen Verfahren der „Unfruchtbarmachung“ von Menschen, denen Erbkrankheiten attestiert worden waren. Grundlage war das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat.

Nach dem nationalsozialistischem Konzept der Rassenhygiene zählten als erbkranker Nachwuchs Kinder von Personen, die an Schizophrenie, zirkulärem Irresein, Epilepsie, Veitstanz, erblicher Blindheit oder Taubheit, schweren erblichen Missbildungen sowie schwerem Alkoholismus litten. Für solche Personen wurde die Zwangssterilisierung vom Erbgesundheitsgericht angeordnet. Darunter fielen 1934 etwa 400.000 Menschen, von deren Unfruchtbarmachung man sich eine unmittelbare Hebung der „Volksgesundheit unserer Rasse“ und einen deutlichen Rückgang der Pflegekosten in den Behindertenanstalten versprach. Die Schließung der Holsterhausener Krankenanstalten für „Epileptiker und Schwachsinnige“ der Barmherzigen Brüder in Maria Lindenhof durch die nationalsozialistischen Behörden gehörte zu dem Programm der „Ausmerze“ erbkranker Personen, im weiteren Sinne auch die Tötungsaktionen im Rahmen der Euthanasie. Weiterlesen

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Euthanasie I: Approbierte Mörder im Arztkittel – Geistig Behinderte wurden durch Gas, mit Morphium, Barbituraten und durch Hunger umgebracht

Geistig behinderte Menschen betreut und dann getötet

Von Wolf Stegemann

Euthanasie! Ein Wort, hinter dem ein Thema steckt, dem man sich nur vorsichtig oder auch widerwillig nähert, wenn überhaupt. Im Dritten Reich verbarg sich dahinter ein rassenhygienisches Tötungsprogramm. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „schöner Tod“ oder „leichter Tod“. Die Nationalsozialisten machten daraus den „Gnadentod“, als ob diese zwischen 1939 und 1945 von Staats wegen angeordneten Morde an rund 260.000 Deutschen aus Gnade geschehen wären. Nach Kriegbeginn im September 1939 unterzeichnete Hitler den so genannten „Euthanasie“-Erlass. Demzufolge konnte nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden. De facto war das ein Freibrief für Mord „unter den Augen einer staatlichen Behörde“ (Götz Aly). Weiterlesen

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Euthanasie II: Erfassung der geistig behinderten Kinder, ihre „Begutachtung“ und anschließende Tötung

Kinder wurden vergast oder medikamendös „abgespritzt“

W. St. – Zentrales Dokument der Kinder-Euthanasie ist ein Runderlass des Reichsministers des Innern vom 18. August 1939 (Az.: IVb 3088/39 – 1079 Mi) mit dem Vermerk „Streng vertraulich!“ In ihm ist der Kreis der Betroffenen und die Art und Weise ihrer Erfassung festgelegt. Danach wurden Ärzte und Hebammen sowie Entbindungsanstalten, Geburtsabteilungen und  Kinderkrankenhäuser verpflichtet, formblattmäßige Mitteilung an das zuständige Gesundheitsamt zu machen, falls das neugeborene Kind verdächtig ist, mit schweren angeborenen Leiden behaftet zu sein. Dazu gehörten „Idiotie“ sowie „Mongolismus“ (besonders Fälle, die mit Blindheit und Taubheit verbunden sind), Mikrocephalie, Hydrocephalus, schweren bzw. fortschreitenden Grades, Missbildungen jeder Art, besonders Fehlen von Gliedmaßen, schwere Spaltbildungen des Kopfes und der Wirbelsäule und Lähmungen einschließlich der „Littleschen Erkrankung“. Weiterlesen

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Euthanasie IV: Landesheilanstalt Hadamar – Ärzte, Schwestern und Pfleger ermordeten mit Gas, Luftspritzen, Medikamenten und Essenentzug rund 15.000 Frauen, Männer und Kinder

Anstaltsfriedhof in Hadamar 1945

Von Wolf Stegemann

In sechs Tötungsanstalten im Reich wurde das Euthanasie-Programm durchgeführt. Eine davon war Hadamar bei Limburg an der Lahn, die im Januar 1941 die Aufgaben der inzwischen geschlossenen Anstalt Grafeneck übernahm und die Tarnbezeichnung „Anstalt E“ erhielt. Erhaltene Unterlagen bezeugen den Tod von 10.072 Menschen bis August 1941 in Hadamar. Ein Jahr später wurden noch einmal über 4.400 Menschen Opfer durch überdosierte Medikation. Weiterlesen

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Euthanasie III: Schicksal eines jungen behinderten Mädchens aus Hervest-Dorsten – „Jetzt reicht’s mir mit dem blöden Balg!“

Von Elisabeth N. – nacherzählt von Wolf Stegemann

In Westfalen gab es keine Liquidations-Anstalten. Kranke, die in westfälischen Lan­deskrankenhäusern untergebracht und von den „T 4-Kommissionen“ zur „Verlegung“ ausgesucht worden waren, kamen „auf Transport“ in eine der fünf Todesanstalten. In Dorsten sind 17 Todesfälle bekannt geworden, die nach dem Kriege in den Akten der Entnazifizierungskommissionen auftauchten. Nicht mit eingerechnet sind die zahlreichen Zwangssterilisierungen, die in Bottrop vorgenommen wurden. Für die Zehntausende von Kranken und Unschuldigen, die dem Wahnsinn der „Euthanasie“ nationalsozialistischer Erfindung zum Opfer gefallen sind, mag ein erschütterndes Dorstener Schicksal sprechen (Interview geführt 1983):

Zechensiedlung Hervest-Dorsten in den 1930er-Jahren; Foto: Archiv Biermann

Dumme Bemerkungen der anderen Kinder, aber niemand tat ihr etwas an

Mein Name ist Elisabeth N. und ich wohne in Dorsten. Ich bin jetzt fast 60 Jahre alt und hatte eine Schwester, die im Jahre 1941 ver­gast wurde, weil sie mongoloid war. Mein Vater stammte von einem Bauernhof ab. Sein ältester Bruder übernahm den Hof, und mein Vater ging zur Zeche. Meine Eltern wohnten in der X-Straße; meine Mutter betrieb dort eine Flaschenbierhandlung mit Verkauf „über die Straße“. Weiterlesen

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