NS-Karneval in Dorsten – Sitzungen mit dem Hitlergruß – NSDAP-Ortsgruppenleiter Ernst Heine bekam vom Elferrat den „Dorsteraner Orden“

Straßenszene beim Rosenmontagszug in Köln

Von Wolf Stegemann

Spätestens 1935, in Bayern schon früher, hatten die Nationalsozialisten den Karneval, in Süddeutschland sagt man Fasching, vollständig vereinnahmt und für ihre propagandistischen Zwecke eingesetzt. Veranstalter und Teilnehmer mussten sich den politischen Verhältnisse anpassen. Zum Beispiel war eine Gestaltung von Umzugswagen, die eine kritische Haltung dem Regime gegenüber vermittelten, nicht möglich. Weiterlesen

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Die jahrelang im NS-Reich verwendete gotische Fraktur-Schrift war plötzlich „jüdisch“. Sie wurde 1941 durch die lateinisierte Antiqua ersetzt

Von Wolf Stegemann

Dies ist die Darstellung der eigentlich kurios anmutenden Geschichte, unter welchen Umständen die Schrift-Umstellung von Fraktur auf Antiqua erfolgte. Die Nationalsozialisten propagierten die Fraktur als die urdeutscheste aller Schriften, die auch als „Gotik“ bezeichnet wurde, und verboten den jüdischen Verlagen diese Schrift zu verwenden. Als nach Jahren in Parteikreisen bekannt wurde, dass die verwendete „urdeutsche“ Fraktur von einem Juden entworfen worden war, durften die deutschen Verlage 1941 die bis dahin verwendete Fraktur-Schrift als „jüdische Lettern“ nicht mehr verwenden. Mit Führer-Erlass wurde die Antiqua als „deutsche Normalschrift“ in der Öffentlichkeit und in Schulen eingeführt. Hier die Geschichte: Weiterlesen

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A. Hitlers „Mein Kampf“ – Wegen des menschenverachtenden Inhalts bleibt der angemessene Umgang mit dieser Schrift für den liberalen Rechtsstaat eine Herausforderung

Innentitel des Buches, zwei Bände in einem Band

Von Dr. phil. Roland Aegerter, Zürich

Die Frage, wie und ob die Zeit des Nationalsozialismus in den 1960er-Jahren in den Schulen gelehrt wurde, warf eine Dorstener Ursulinen-Schülerin 1966 mit Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ auf. Zwanzig Minuten lang legte die junge Dame ihr berufliches Fortkommen in ihre Geschicklichkeit, Hitlers Gedanken richtig zu verstehen. Die Dame war zu jung, um Hitler oder Hitlers Ende miterlebt zu haben, und zu alt, um der jüngsten NS-Vergangenheit nicht Beachtung zu zollen.

Ausgabe 1934

Vor den gutartig lauernden Blicken einer mehrköpfigen Prüfungskommission des Gymnasiums sah sich die junge Dorstenerin vor die Aufgabe gestellt, den Beweis ihrer Reife auf geschichtlichem Gebiet mit der Interpretation einer Textstelle aus Hitlers „Mein Kampf“ zu liefern und sich sodann mit der staatsbürgerlichen interessanten Frage auseinanderzusetzen, wie der damalige Führer des deutschen Volkes die Stellung des Einzelnen im Verhältnis zum Staat gesehen habe. Für die 1960er-Jahre war dies ein höchst interessantes und in Schulen noch ziemlich unterdrücktes Thema. Denn spätestens in diesen Minuten voller Lampenfieber, erfüllt von dem Wunsch, auf dem Wege zur Reife nicht ausgerechnet an Hitler zu scheitern, wird sich die Abiturientin darüber klar geworden sein, wie viel besser nach Hitler alles war.

Es gibt Oberprimaner und Oberprimanerinnen, die hatten exakte Kenntnisse über den Dreißigjährigen Krieg, Caesars grandiose Erfolge bei seinen Feldzügen oder über Hannibals Alpenüberquerung mit Elefanten. Von der jüngsten Geschichte wussten die Schüler und Schülerinnen in den 1960er-Jahren nicht viel, bestenfalls hörten sie Kriegserlebnisse aus dem Familienkreis, über das Dritte Reich wussten sie vielleicht noch, dass „NSDAP“ nicht die Abkürzung für: „Na, so: denn also prost!“ gewesen ist.

Aus dem Ringen mit Hitlers Gedankengut aus seinem Buch „Mein Kampf“ ging die junge Dorstenerin nach kurzem Kampf siegreich hervor. Der von ihr verlangte Ausflug in ein Stück unbewältigter Vergangenheit zeigte, wie zurückhaltend und dennoch vorsichtig testend man die Auseinandersetzung um das Geschichtsbild aus Deutschlands jüngster Vergangenheit damals nahm. Allerdings sagte die junge Dame dann auch – und alle, die bis Mitte der 1970er-Jahre die Schulbank drückten, wissen das auch: „Während des Unterrichts haben wir uns eigentlich nur sehr wenig damit befasst.“

Werbeanzeige des Eher-Verlags für Hitlers „Mein Kampf“ 1925; Foto: Bayer. Staatsbibliothek

„Mein Kampf“ hat eine Bedeutung als historische Quelle

Hitlers Werk „Mein Kampf“, das in nationalsozialistischer Zeit millionenfach aufgelegt wurde, hat heute eine Bedeutung als historische Quelle. Wegen des menschenverachtenden Inhalts bleibt der angemessene Umgang mit dieser Schrift für den liberalen Rechtsstaat eine Herausforderung.

Am 8. November 1923 inszenierte Hitler zusammen mit dem Weltkriegsgeneral Ludendorff in Bayern einen Putsch, um anschließend – in Analogie zu Mussolinis Marsch auf Rom – nach Berlin vorzudringen und die Regierung Stresemann zu stürzen. Doch bereits am darauf folgenden Tag endete der Aufstand bei der Feldherrnhalle im Kugelhagel der Polizeikräfte. Hitler konnte zunächst fliehen, wurde aber bald gefasst und musste sich anfangs des Jahres 1924 vor dem Volksgericht in München verantworten. Er trat dort mit großer Dreistigkeit auf und nutzte den Prozess, um das politische System anzuklagen und seine politischen Überzeugungen zu verbreiten. Dabei konnte er von einer kaum zu überbietenden Voreingenommenheit des zuständigen Richters profitieren. Obwohl beim Putschversuch auch Ordnungskräfte ums Leben gekommen waren, wurde der einstige Gefreite lediglich zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, wobei ihm noch im Gerichtssaal eine frühzeitige Entlassung in Aussicht gestellt wurde. Die Weimarer Justiz ließ gegenüber radikalen Kräften des rechten Parteienspektrums fast immer viel Nachsicht walten.

Hitler kam in das bayrische Gefängnis Landsberg am Lech, wo ihm ein privilegiertes Leben zugestanden wurde: Er bekam ein Schlafzimmer und einen Wohnraum für sich alleine, konnte Besuche empfangen, spazieren gehen, vor Mithäftlingen Vorträge halten und den zwangsverordneten Aufenthalt nutzen, um seine Weltanschauung auszubauen und seine strategisch-taktischen Überlegungen zu systematisieren. Spöttisch bezeichnete er denn auch seine Zeit in Landsberg als „Hochschule auf Staatskosten“.

Werbeplakat

„Mein Kampf“ erreichte eine Millionenauflage

Während der Haftzeit diktierte und schrieb Hitler den ersten Teil seines mittlerweile berühmt-berüchtigten Buches „Mein Kampf“, der zweite Teil entstand nach der im Dezember 1924 erfolgten vorzeitigen Entlassung in einer Villa auf dem Obersalzberg. Im Juli 1925 wurde der erste Band veröffentlicht, im Dezember 1926 der zweite. Bis 1930 erschien „Mein Kampf“ in zwei relativ großformatigen Bänden zum Preis von je 12 Mark, vom ersten Band sollen 23.000, vom zweiten Band 13.000 Exemplare verkauft worden sein. 1930 wurden die beiden Bände zu einer einbändigen Volksausgabe zusammengefasst im Format 12 auf 18,9 cm – offensichtlich eine Angleichung an das übliche Bibelformat. Von dieser Volksausgabe wurden bis zu Hitlers Machtantritt im Januar 1933 über 287.000 Exemplare zum Preis von 8 Mark verkauft. Nach Hitlers Machtantritt schnellten die Auflagezahlen gewaltig in die Höhe. Allein vom Februar 1933 bis zum 31. Dezember 1933 wurden rund 1.500.000 Stück vertrieben. Bis 1939 stieg die Gesamtauflagezahl auf 5.450.000, bis 1943 auf 9.840.000.

Die französische Ausgabe von 1934

Allerdings müssen die hohen Auflagezahlen relativiert werden: Nach Hitlers Machtantritt wurde das Buch nicht mehr allein durch Privatverkauf verbreitet. Es war angeordnet worden, „Mein Kampf“ Beamten als Anerkennung für verdienstvolle Leistungen auszuhändigen und Brautleuten auf dem Standesamt zu überreichen.  Dorstens NS-Bürgermeister Dr. Josef Gronover versuchte sich bei der Entnazifizierung 1948 zu entlasten, indem er angab, Hitlers Buch an Brautpaare kaum verteilt zu haben. Am 10. Jahrestag des erstmaligen Erscheinens wurde das Buch durch Rundfunk und Presse als „die ideellen Grundlagen des neuen Staates und das Lehrbuch der Parteigenossen und des ganzen Deutschen Volkes“ bezeichnet. In den Instruktionsstunden der SA und den Arbeitsdiensten wurde es als obligatorischer Stoff durchgenommen und 1934 aufgrund eines Erlasses des Reichsministers für Erziehung und Unterricht in den Schulen als Grundlage für den Geschichtsunterricht und für die Bildung der Weltanschauung der deutschen Jugend verordnet. Es gab also nach Hitlers Machtantritt eine staatlich geförderte Verbreitung des Werkes, was die hohen Auflagezahlen relativiert. Zudem waren die Buchhändler vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer angewiesen worden, nur neue „Mein Kampf“-Bände zu verkaufen, da es „für jeden nationalsozialistisch denkenden Deutschen schmerzlich ist, das Werk unseres Führers in unserer Zeit als ‚antiquarisch‘ ausgeschrieben zu sehen.“

Inserat des Franz Eher-Verlags im „Völkischen Beobachter“ am 31. Januar 1933

Ein Vergleich der zahlreichen Auflagen in deutscher Sprache hat ergeben, dass von 1925 bis 1939 zwar 2.591 Änderungen vorgenommen worden sind, allerdings allesamt ohne große Bedeutung: Grammatikalische Fehler wurden getilgt, falsch verwendete Fremdwörter ersetzt, missverständliche Stellen verbessert, einige ausfällige Schimpfwörter gemildert (z. B. „Pesthure“ durch „Pestilenz“). An den meisten derben Ausdrücken hielt Hitler aber fest. Auch die wenigen inhaltlichen Veränderungen waren geringfügiger Natur. Zwischen 1933 und 1938 erschienen Übersetzungen in englischer, dänischer, schwedischer, spanischer, ungarischer und französischer Sprache, zahlreiche weitere folgten.

Eine politische Abrechnung

Ursprünglich wollte Hitler seine Schrift unter dem Titel „Viereinhalb Jahre gegen Lüge, Dummheit und Feigheit“ veröffentlichen. Was als politische Abrechnung begann, entwickelte sich bald zu einer Mischung aus Biographie, Weltanschauung, politischem Bekenntnis und Agitationslehre. Hitler verrät in seinem Werk nicht, aus welchen Büchern er Ideen für sein Gedankengebäude zusammentrug. Belegt ist, dass er ein Vielleser war und historische Literatur nationaler Gesinnung bevorzugte. Hitler befasste sich aber auch mit den Klassikern der Literatur- und Philosophiegeschichte, mit Budda, Moses, Jesus und Konfuzius, und kannte unzweifelhaft die damals kursierende antisemitische Literatur.
Eine inhaltliche Zusammenfassung seines Gedankenkonglomerates zu geben, fällt schwer. Den Kern seiner Weltauffassung bilden Rassenvorstellungen – eine in der damaligen Zeit weit verbreitete Denkart – denen er alles unterordnet. Ohne die Grundlagen seiner Rassenanschauung wirklich zu erklären, entwickelt er ein Welterklärungsmodell, das – wenngleich oft mittels abstruser Gedankengänge hergeleitet – doch eine relative Geschlossenheit aufweist. Dabei führt ihn sein krankhafter Antisemitismus dazu, den Juden die Schuld für praktisch alle Übel der Welt zuzuweisen und sie der Zerstörung jeglicher „natürlicher“ Ordnung anzuklagen. Wenngleich Hitler in „Mein Kampf“ nicht ausdrücklich die physische Vernichtung des Judentums fordert, wird sie doch mental vorbereitet: Aus der Optik seiner monströsen Gesinnung heraus wird später die Ausrottung der „jüdischen Rasse“ zu einem Menschheitsreinigungswerk.

„Mein Kampf“ in einer Buchhandlung in Kairo

Wirkungsvolle Propaganda schlagwortartig

Aufschlussreich sind Hitlers Erörterungen zur Funktion der Propaganda. Im angestrebten Führerstaat soll sie die Menschen zu Untertanen machen, die keine relativierende und differenzierende Urteilsfähigkeit kennen. Jede Propaganda hat daher

„volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. […] Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig solange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag“.

Hitlers Offenheit an dieser Stelle erstaunt – geschadet hat ihm die Beschreibung der großen Masse des Volkes als dumm und einfältig jedenfalls nicht. Auch freimütige außenpolitische Aussagen hatten für ihn keine unmittelbaren Folgen. Brisant waren vor allem seine Bemerkungen zu Russland, das im Buch ausdrücklich als Ziel der deutschen Lebensraumpolitik bezeichnet wird. Vor einem Vertrag mit diesem Staat, dessen Politiker als Vertreter „der Lüge, des Betrugs, des Diebstahls, der Plünderung“ bezeichnet werden, warnt Hitler:

„Wenn der Mensch glaubt, mit Parasiten vertragliche Bindungen eingehen zu können, so ähnelt dies dem Versuch eines Baumes, zu eigenem Vorteil mit einer Mistel ein Abkommen zu schließen.“

Verschiedene Übersetzungen

Bekanntlich haben die Nationalsozialisten im August 1939 doch einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion abgeschlossen. In Deutschland lief denn auch nach Bekanntgabe des Vertrages der Flüsterwitz um, Hitler habe Molotow, dem Unterzeichner des Paktes, ein Exemplar von „Mein Kampf“ mit eigenhändigen Radierungen überreichen lassen. Stalin selber kannte Hitlers Buch sehr genau und hat sich keine Illusionen über des Führers eigentliche außenpolitische Ziele gemacht. Wenn er 1941 die deutsche Kriegspolitik falsch einschätzte, waren andere Gründe maßgebend, nicht der Mangel an Kenntnissen über des Führers eigentliches außenpolitisches Ziel.

Wie oft wurde das Buch gelesen?

Ende der dreißiger Jahre war „Mein Kampf“ in Millionen von deutschen Haushalten vorhanden, wie oft das Buch aber auch wirklich gelesen worden ist, kann kaum festgestellt werden – allein schon deshalb, weil bei nachträglichen Befragungen von Zeitzeugen aus Gründen der Entlastung eine Tendenz bestand, die Lektüre, oft sogar den Besitz, zu bestreiten. Gut möglich ist, dass das immerhin fast achthundert Seiten starke Werk mehrheitlich auszugsweise gelesen wurde. Da die Volksausgabe ein alphabetisch geordnetes Personen- und Sachverzeichnis mit 373 Hauptstichwörtern und zahlreichen Verweisen enthielt, bekam das Buch den Charakter eines Nachschlagewerks. An der gelegentlich kolportieren Meinungen, Hitlers Parteigänger hätten das Werk kaum gelesen, dürfte einiges wahr sein, galt doch Lesen in nationalsozialistischen Kreisen nicht gerade als Tugend.

„Mein Kampf“ in einer Buchhandlung in Indien

Schwer einzuschätzen ist die Wirkung des Buches auf diejenigen, die es tatsächlich gelesen hatten. Hitler selber stufte in „Mein Kampf“ den Einfluss von Büchern gering ein: „Denn das mögen sich alle die schriftstellernden Ritter und Gecken von heute besonders gesagt sein lassen: die größten Umwälzungen auf dieser Welt sind nie durch einen Gänsekiel geleitet worden! (…) Die Macht aber, die die großen historischen Lawinen religiöser und politischer Art ins Rollen brachte, war seit urewig nur die Zauberkraft des gesprochenen Wortes.“

In der Tat verdankte Hitler seine Popularität vor allem seinen Reden, von denen eine suggestive Wirkung ausging. Die Bedeutung seines Buches darf aber nicht gering geschätzt werden, zumal der Führer ja nur begrenzt direkt zum Volk sprechen konnte. „Mein Kampf“ wurde gerade in der Kombination mit den Reden zu einer wichtigen geistigen Waffe, zu einer Art ideologischem Kompass, der diejenigen, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung infiziert waren, in ihrem Kurs bestärkte.
Hitler war kein Schriftsteller – das wusste er selber wohl auch, wenngleich sich in „Mein Kampf“ Stellen finden, bei denen ein literarischer Anspruch des Schreibenden spürbar wird. Die Lektüre ist aber insgesamt über weite Strecken bemühend. Hitler wiederholt sich laufend, seine Sprache ist schwülstig, dazu verwendet er immerzu dieselben Adjektive. Ist das Buch in stilistischer Hinsicht zwar eine Zumutung, so gehört es aufgrund seines menschenverachtenden Inhalts doch zur – toxikologisch gesprochen – stärksten Giftklasse.

Japanische Manga-Ausgabe von „Mein Kampf“

Hitler bereitete seine Mordtaten mental im Buch vor

Die Urheberrechte des Buches liegen heute beim Freistaat Bayern, der sie nach dem zweiten Weltkrieg im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen von den Siegermächten übertragen bekam. Gegen unveränderte Nachdrucke wird mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln vorgegangen, allerdings ist dies nur in Staaten möglich, die auf dem Gebiete des Urheberrechtes entsprechende multilaterale Verpflichtungen eingegangen sind. Der Freistaat Bayern will damit verhindern, dass nationalsozialistisches Gedankengut im In- und Ausland verbreitet wird und gleichzeitig das Ansehen Deutschlands Schaden leidet. Darüber hinaus geht es aber auch um den Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus und deren Angehörigen. „Mein Kampf“ ist das Buch eines Massenmörders, der darin seine Taten mental vorbereitet und diejenigen, die er später umbringen ließ, verhöhnt und erniedrigt. Angesichts der Dimensionen des Holocausts ist es schwer erträglich, das Buch in rechtlicher Hinsicht wie eine gewöhnliche Publikation behandelt zu sehen.

Nachdrucken oder nicht?

Allen behördlichen Bestrebungen eines kontrollierten Umgangs mit Hitlers Machwerk steht die Tatsache gegenüber, dass es im Zeitalter des globalen Internets praktisch unmöglich ist, die Verbreitung des Werkes effektiv zu verhindern. Nationale Instanzen stehen hierbei vor denselben Problemen, wie sie etwa hinsichtlich der Kinderpornographie bekannt sind. Es stellt sich daher die Frage, ob eine rein defensive Bekämpfung des Werkes noch angemessen sei, zumal dies in rechtradikalen Kreisen auch zu einer Mystifizierung des Buches beiträgt nach der Logik: „Wenn der Staat das Buch unterdrückt, müssen in ihm wichtige und gefährliche Gedanken zu finden sein“. Zu einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe des Werkes ist es bis heute nicht gekommen. Allerdings kündigte das „Institut für Zeitungsgeschichte“(IfA) im Juli 2009 an, auch ohne Genehmigung des Freistaats mit „den vorbereitenden Arbeiten“ für eine wissenschaftliche Edition zu beginnen. Der nötige Aufwand wurde auf etwa fünf Jahre Arbeit für einen Experten geschätzt. Das IfA ist bestrebt, eine seriöse Ausgabe zu produzieren, bevor „ohnehin jeder ‚Mein Kampf‘ nachdrucken“ und „mit entsprechender Sensationsmache verkaufen“ könne. So versuche man, „einer künftigen, bloß kommerziellen Nutzung das Wasser abzugraben“. Im April 2012 wurde bekannt, dass die bayerische Staatsregierung das IfA nun bei einer kommentierten Ausgabe unterstützen wolle.

Türkische Übersetzung

Schon 1991 erschien Hitlers „Mein Kampf“ mit ausgewählten Kapiteln auf Hebräisch. Herausgeber dieser kommentierten Fassung war die Historische Fakultät der Universität Jerusalem. Dazu der Übersetzer Dan Jaron: „Gerade in unserem Land ist es nötig, dass die jüngere Generation die Möglichkeit hat zu verstehen, was sich damals zugetragen hat.“ DIE ZEIT 10/95 berichtete:

„Der große Aufruhr, der noch vor sechs Jahren im Fall einer hebräischen Veröffentlichung von, Mein Kampf’ vorausgesagt wurde, ist ausgeblieben. Auch weil, wie es Übersetzer Jaron formuliert, die israelische Bevölkerung in den letzten Jahren ,freidenkender’ geworden sei, was den Umgang mit der Vergangenheit betreffe.“

2008 veröffentlichte der japanische Verlag „East Press“ eine Manga-Version von „Mein Kampf“, die in weniger als einem Jahr über 45.000 Mal verkaufte wurde.
Hitlers Schrift stellt heute eine wichtige historische Quelle dar, die hilft, Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft besser zu begreifen. Vor allem aber wird auch die Frage wach gehalten: Wieso wurde Hitler, über dessen Einstellung und Pläne man sehr viel wissen konnte, nicht rechtzeitig gestoppt?
Ein echtes Verführungspotential besitzt das Buch heute kaum mehr. Dazu ist der Inhalt entweder zu schal oder abwegig, viele Gedanken dazu oft stark zeitgebunden. Zweifellos findet auch heute noch rassistisches Denken eine gewisse Resonanz, doch kaum mehr in so krass vulgärer Form, wie es in „Mein Kampf“ daherkommt. Umgekehrt hat das Buch ein Aufklärungspotential: Jedem an den Menschenrechten orientiertem Leser wird deutlich vor Augen geführt, wie verbrecherisch Hitlers Gesinnung war.

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Quellen:  Mit freundlicher Genehmigung und mit Aktualisierungen: „Shoa, die Zukunft braucht Erinnerung. – Dorsten-Lexikon online. – Literatur: Max-Joseph Halhuber, Ferdinand Obenfeldner, Anton Pelinka: „Mein Kampf“ – heute wieder gelesen, Innsbruck 1993. – „Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928“, eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels. Stuttgart 1961. – Karl Lange: Hitlers unbeachtete Maximen. „Mein Kampf“ und die Öffentlichkeit“, Stuttgart 1968. –Werner Maser: „Hitlers Mein Kampf. Entstehung, Aufbau, Stil, Änderungen, Quellen, Quellenwert, kommentierte Auszüge“, München 1966. – „Adolf Hitlers Mein Kampf. Eine kommentierte Auswahl von Christian Zentner“, List Verlag, 14. Aufl., 2000. – Ron Rosenbaum: „Die Hitler-Debatte: auf der Suche nach dem Ursprung des Bösen“, München 1999. – Enrico Spyringg: „Hitler: seine politische Utopie“, Berlin 1994.

 

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Hitlers „Mein Kampf“ erstmals neu aufgelegt. Nach 70 Jahren eine kritische Edition zur historisch-politischen Aufklärung und Auseinandersetzung

Erste freie Auflage nach Aufhebung des Urherrechts nach 70 Jahren (2015)

70 Jahre nach Hitlers Todesjahr, am 31. Dezember 2015, sind die Urheberrechte an dessen Buch „Mein Kampf“ erloschen. Das Institut für Zeitgeschichte hat es sich zum Ziel gesetzt, unmittelbar nach Ablauf dieser Frist eine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe vorzulegen. Unter der Leitung von Dr. Christian Hartmann hat ein Historikerteam „Mein Kampf“ in mehrjähriger Arbeit umfassend aufbereitet: Im Zentrum der kritischen Kommentierung stehen die Dekonstruktion und die Kontextualisierung von Hitlers Schrift: Wie entstanden seine Thesen? Welche Absichten verfolgte er damit? Welchen gesellschaftlichen Rückhalt besaßen Hitlers Behauptungen unter seinen Zeitgenossen? Welche Folgen hatten seine Ankündigungen nach 1933? Und vor allem: Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und Absichtserklärungen entgegensetzen? Dies ist nicht nur eine historiografische Aufgabe. Angesichts des hohen Symbolwerts, den Hitlers Buch noch immer hat, ist die Entmystifizierung von „Mein Kampf“ auch ein Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung. Weiterlesen

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Nationalsozialistisches Propaganda-Deutsch: abgemeiert und entartet, verjudet und versippt, vergast und verreichlicht

„Wir jedoch sollen es wissen: dass die Sprache das Wahrnehmlichste dieses Unvergleichlichen ist, das wir deutsche Seele nennen und das kein anderes Volk mit uns teilt. Wir sollen es wissen, dass sie die Künderin des Schicksals ist.“ So steht es in dem „Deutschen Lesebuch für höhere Schulen“, 8. Aufl., Düsseldorf. Der Text stammt von Rudolf G. Binding, Schriftsteller und Nationalsozialist. Wie in vielen Lebensbereichen, so veränderten die Nazis auch die Sprache, führten vor allem in den Bereichen ihrer Verfolgung, Beraubung, Bestrafung und Ermordung ihre erklärten Feinde neue Sprachregelungen ein. Um mit diesen neuen Wortbedeutungen klar zu kommen, gab das US-Kriegsministerium im Juli 1944 ein Glossar heraus, das mit folgenden nüchternen Worten beginnt: „Unter der Naziherrschaft entstehen neue verwaltungstechnische Begriffe und die Bedeutung der eingeführten verändert sich. Wir geben daher ein Deutsch-Englisches Wörterbuch deutscher Verwaltungsausdrücke heraus.“ Weiterlesen

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