Wulfen: Adele Moises wurde in Riga ermordet, ihr Bruder Josef fand in Israel eine neue Heimat – der alten in Westfalen blieb er stets verbunden

„Ich bin Deutscher, und ich bin Jude, das eine so sehr wie das andere, keines ist vom anderen zu lösen.“ Jakob Wassermann, 1875 – 1934

Von Wolf Stegemann

Als die Nationalsozialisten im Staat die Macht ergriffen hatten und auch vom Dorstener Rathaus Hakenkreuzfahnen wehten, pack­ten einige der etwa 90 ansässigen Juden in Dorsten und den damaligen Landgemeinden die Koffer, um dem nahenden Unheil zu entgehen, das sie auf sich zukommen sahen. Die Auswanderungswelle ergriff im Laufe der 30er-Jahre auch die anfangs Zögernden, die ihre Heimatstadt und Exi­stenz nicht verlassen bzw. aufgeben wollten. Wenige zögerten so lange, bis es zu spät war. Ihr Glaube und ihre Hoffnung, „es werde schon nicht so schlimm werden“, wurden spätestens 1942 mit der Deportation in die Todeslager zunichte gemacht. Endsta­tion dieses Glaubens war tausendfacher Mord. Weiterlesen

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Beraubungspraxis der Behörden: „Arisierung“ der Wulfener Grundstücke von Josef Moises kurz vor seiner erzwungenen Ausreise nach Palästina

Josef Moises auf seiner Orangenplantage in Netanja

Von Wolf Stegemann

Die Eheleute Meier Moises übertrugen am 29. Januar 1935 ihr gesamtes nicht unbeträchtliches Vermögen auf ihren Sohn Josef Moises. Als dieser während des Pogroms im November 1938 verhaftet wurde und im Gefängnis saß, nötigten ihn die Behörden zur Einwilli­gung, Deutschland zu verlassen. Josef Moises wan­derte am 16. Februar 1939 nach Palästina aus. Einen Tag vorher übertrug er sein von den Eltern erhaltenes gesamtes Vermögen auf seine Schwester Adele, die mit Fritz Wieler aus Recklinghausen verheiratet war. Diese trat die Restkaufgeldhypothek an einen Wulfener Ge­schäftsmann ab. Nach dem Übernahmevertrag zwi­schen Josef und Adele Moises vom 15. Februar 1939, abgeschlossen vor dem Notar Ferdinand Beckmann, wurde aus dem Verkauf des gewerblichen Betriebs und aller in „Deutschland befindlichen Grundstücke“ des Eigentümers ein Erlös von 23.727,60 Reichsmark erzielt. Davon hatte Moises zu zahlen: Reichsfluchtsteuer 12.750 RM, Vermögensabgabe an das Finanzamt 4.300 RM, Palästina-Transfer 6.500 DM. Die Addition die­ser Summen macht 23.550 RM, also den Verkaufserlös aus. Die nicht verkauften Grundstücke trat Josef Moises an seine Schwester ab. Zu dem übertragenen Vermögen gehörten auch die Kaufpreisforderung für das Warenlager, das auf 10.000 RM geschätzt wurde, ferner die Ladeneinrichtung und Geschäftsforderun­gen von je 2.000 RM. Der Oberpräsident von Westfa­len genehmigte diesen Vertrag im April 1939. Im Jahr 1949 meldete das „Restitution Office of the Irgun Oley Merkas Europa, Association of Jews from Central Eu­rope, as Palestinian Constituent of the Council of Jews from Germany“ in Tel Aviv beim Landgericht Essen Wiedergutmachungsansprüche für Josef Moises an. In einem Vergleich, den Moises 1952 mit dem damaligen Käufer der Restkaufgeldhypothek schloss, bekam Moi­ses eine Entschädigung. Weiterlesen

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Sex unterm Hakenkreuz: Über das erstaunlich liberale Lustverständnis der ansonsten restriktiven Nationalsozialisten und was heute darüber geschrieben wird – ein Überblick

Adolf Hitler mit seiner Geliebten udn späteren Frau Eva Braun; ARD-Fotogalerie

Von Angelika Hager und Sebastian Hofer

Zu den Reichsparteitagen nach Nürnberg fuhren auch Mitglieder vom Bund Deutscher Mädel (BDM) und der Hitlerjugend. Bei 900 der BDM-Mädchen, die 1936 vom Reichsparteitag zurückkehrten, wurden anschließend Schwangerschaften festgestellt. Beispielsweise hatte ein schwangeres Mädchen 13 Hitlerjungs als mögliche Väter bezeichnet. Daraufhin wurde 1937 das Kampieren im Freien untersagt (Michael Kater).

Das NS-Regime propagierte neben restriktiven Maßnahmen zur Wahrung der „völkischen Reinheit“ ein erstaunlich liberales Lustverständnis. Neue wissenschaftliche Arbeiten setzen sich mit dem Sexualleben sowie den Geschlechtsbildern im Dritten Reich auseinander. Die Sexsucht des Propagandaministers Josef Goebbels, dessen bevorzugtes Jagdgebiet die Babelsberger Ufa-Studios waren. Das Kosenamen-Repertoire des SS-Führers Heinrich Himmler für seine junge Geliebte Hedwig („Häschen“, „Schelmchen“), einschließlich der detailreichen Beschreibung des „Liebesnests“ am Obersalzberg, wo angeblich eine aus Menschenhaut gefertigte Sonderedition von „Mein Kampf“ zur Kaminlektüre gereicht wurde. Und immer wieder der Führer selbst, mit seinen „strahlend blauen Augen“, den „Hochintelligente und Dumme, Schauspielerinnen und Künstlerinnen, Damen der Gesellschaft und junge Mädchen“ bedrängten und ihn wiederholt ausriefen ließen: „Was gibt es doch für schöne Frauen!“ Weiterlesen

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Hubert Korsch, Dorstener Petrinum-Absolvent, Jurist, Verleger und Begründer der wissenschaftlichen Astrologie, wurde 1942 im KZ ermordet

Dr. Hubert Korsch (1883 - 1942)

Von Wolf Stegemann

Das Abitur machte der 1883 in Neuss geborene Rheinländer wie sein um fünf Jahre jüngerer Bruder Anton am Dorstener Gymnasium Petrinum – Hubert im Jahre 1905, sein Bruder, der Augenarzt wurde, im Jahr 1909. Hubert Korsch war 1926 der Begründer der wissenschaftlichen Astrologie und 1930 Herausgeber der damals bedeutenden Fachzeitschrift „Zenit“. Die Nazis sperrten ihn in ein Konzentrationslager, wo er von der SS 1942 durch Genickschuss ermordet wurde.

Aus dem Leben von Hubert Korsch ist wenig bekannt, bis jetzt nicht einmal das Konzentrationslager, in das er eingeliefert wurde, vermutlich Sachsenhausen. Er studierte in Greifswald Jura und schloss das Studium der Rechtswissenschaft 1915 mit der Promotion „Die Rechte des Kaisers bei der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung verglichen mit dem Staatsrecht des alten Deutschen Reichs“ ab (erschienen 1915 im Abel-Verlag). In Düsseldorf ließ er sich als Rechtsanwalt nieder und gründete einen Verlag, in dem er seine eigenen Bücher und die von anderen über Astrologie verlegte. In den 1920er-Jahren wurde Dr. Hubert Korsch deutschlandweit als Astrologe bekannt, der die esoterisch und symbolisch betriebene Astrologie ablehnte und die wissenschaftlich fundierte begründete. Die dadurch ausgebrochenen heftigen Kontroversen unter den Astrologen führte zu einer Spaltung der 1924 von Dr. Hugo Vollrath ins Leben gerufenen „Astrologischen Gesellschaft in Deutschland“ (AGiD), eine Vorläufervereinigung des „Deutschen Astrologen-Verbandes“. Internationale Anerkennung erwarb sich der Petrinum-Abiturient Dr. Hubert Korsch durch die Herausgabe der Monatschrift „Zenit“ ab 1930, einer astrologischen Zeitschrift mit wissenschaftlichem Anspruch. Weiterlesen

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NS-Kunstpolitik: Alles wurde kontrolliert – Malerei und Film, Theater und Architektur, Zeitungen und Bücher …

Perfekt gemalte Menschen, Tiere und Landschaften galten als Inbegriffe "deutscher Kunst" (Max Bergmann "Die Scholle")

wl – Ein Jahr vor dem Erscheinen seines Hauptwerks „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, in dem die völkisch-nationale Kunst- und Kulturtheorie einen breiten Raum einnimmt, gründete NS-Mythologe Alfred Rosenberg 1929 mit dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ die erste kunstpolitische Organisation der Nationalsozialisten. Rosenberg, der „Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, hatte mit seiner Organisation jedoch weniger Erfolg als erhofft. Nach der Umbenennung 1934 in „Nationalsozialistische Kulturgemeinde“ ging sein Kampfbund allmählich in Robert Leys Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) auf. Aber auch Ley schaffte es nicht, sich kunstpolitisch durchzusetzen. Nur aufgrund seiner Verständigung mit Rosenbergs Gegenspieler Joseph Goebbels gelang es ihm, seiner allmählich in den Freizeitbereich abdriftenden Organisation größeren Spielraum zu bewahren.

Dem „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, Joseph Goebbels, gelang es, die im Rahmen der allgemeinen „Gleichschaltung“ im September 1933 gegründete und ebenfalls von ihm geführte „Reichskulturkammer“ zum Instrument der nationalsozialistischen Kulturpolitik und des Propagandaministeriums zu machen.

Selektion der Kunst lag allein beim Propagandaminister

Gegliedert in sieben Einzelkammern für Bildende Künste, Schrifttum, Musik, Theater, Film, Rundfunk und Presse diente die Reichskulturkammer einer einheitlichen Kulturförderung und der Regelung der sozialen und wirtschaftlichen Belange der Kulturschaffenden, die zur Mitgliedschaft verpflichtet waren. Ausschluss aus einer der Kammern aus rassischen oder politischen Gründen bedeutete praktisch Berufs- und Veröffentlichungsverbot.

Die von der Kulturkammer ergangene Flut von Anweisungen bei der Selektion und Beurteilung von neu geschaffenen und bestehenden Kunstwerken war ausschlaggebend für die offizielle Anerkennung. In vielen Fällen lag die Entscheidungsbefugnis allein bei Goebbels. Bis 1937 war es dem Propagandaminister gelungen, auf Reichsebene alle Kunst- und Kulturkompetenzen in seiner Person zu vereinen. Vertrat Goebbels in den Anfangsjahren des NS-Regimes noch eine Kunstauffassung, die der kulturellen Avantgarde nicht vollkommen abgeneigt war, änderte sich seine Haltung durch die anhaltenden Auseinandersetzungen mit den verschiedenen kulturpolitischen Organisationen – und auch mit Adolf Hitler selbst – zu jener ideologischen Radikalität, die Rosenberg immer gefordert hatte.

Auseinandersetzung über Kunst waren unerwünscht

In der Praxis gab es kaum einen Unterschied zwischen NS-Kunst und Kunstpolitik. Auseinandersetzungen über kunsttheoretische Fragen oder die Autonomie der Kunst waren bei den Nationalsozialisten unerwünscht. Das Kunstschaffen hatte im Dienst von Staat, Volk und Rasse zu stehen. Einigkeit in der Kunstpolitik des NS-Staates herrschte in der Forderung nach radikaler „Arisierung“ des deutschen Kulturschaffens und konsequenter Diffamierung alles Jüdischen als „rassisch entartet“. Darüber hinaus erfolgte eine Verdammung der modernen Kunst zugunsten der traditionellen akademischen Genremalerei im Stil des späten 19. Jahrhunderts. Intensive Beachtung schenke man vor allem der Bildenden Kunst (insbesondere Architektur und Bildhauerei) und den oft zu Propagandazwecken missbrauchten neuen Medien Film und Rundfunk (Deutsches Historisches Museum).

 

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