Die Geheime Staatspolizei war an keinerlei Gesetze gebunden, konnte verhaften, foltern, verschleppen und mit einem umfassenden Spitzelsystem die Bevölkerung überwachen

Von Wolf  Stegemann

Während der NS-Zeit glaubten viele Deutsche, an jeder Straßenecke stehe, in jedem Gottesdienst sitze oder hinterm Gebüsch liege ein Agent der Gestapo. Dieser Glaube blieb nicht auf die NS-Zeit beschränkt, sondern lebte – mehr oder weniger – in der Bundesrepublik weiter und formte innerhalb wie außerhalb des heutigen Deutschland die Vorstellungen über den nationalsozialistischen Polizeistaat und das Terrorregime, das den Willen der Diktatur so hervorragend mit allen Mitteln durchzusetzen verstand.  Die neue Ordnung wurde teilweise durch Anwendung oder Androhung von brutaler Gewalt errichtet, und sie war begleitet von zahllosen Gesetzen, Erlassen, Verordnungen oder einfach Appellen und Aufrufen örtlicher Nationalsozialisten, die behaupteten, im Namen Hitlers zu handeln (Robert Gellately in: „Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft“). Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gestapo, Polizei | Verschlagwortet mit , , | Hinterlasse einen Kommentar

Ständige Angst vor der Geheimen Staatspolizei – In Dorsten gab es keine regulären Gestapo-Beamten

Zelle im Dortmunder Gestapo-Gefängnis - nur 5 qm groß

Von Wolf Stegemann

Die Machtbefugnisse der Gestapo leiteten sich hauptsächlich aus der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ ab, die am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Brand des Reichstags, erlassen worden war. Diese Verordnung gestattete der Polizei, Verdächtige ohne ordnungsgemäßes Verfahren auf nahezu unbegrenzte Zeit in „Schutzhaft“ zu nehmen und setzte darüber hinaus die meisten bürgerlichen Rechte außer Kraft. Zum Beispiel kam es immer wieder vor, dass die Gestapo Personen, die vor Gericht freigesprochen worden waren, erneut verhaftete. Diese Umstände verschärften die Angst, mit der Gestapo in Berührung zu kommen, obwohl diese gar nicht über hinreichend eigene Mittel verfügte, die Bevölkerung flächendeckend zu überprüfen und zu überwachen. Ende 1944 standen im gesamten Reichsgebiet nur etwa 32.000 Personen im Dienst der Gestapo, darunter rund 3.000 Verwaltungsbeamte und 13.500 Arbeiter und Angestellte. Nur ungefähr die Hälfte des gesamten Personals, nämlich 15.500 Personen, nahmen aktiv Polizeifunktionen war, d. h. die im Außendienst tätigen Gestapo-Beamten waren zwangsläufig dünn gesät. So verfügte etwa die „Zentraldienststelle“ in Münster über 81 Beamte und weitere zwölf in Gelsenkirchen, acht in Recklinghausen, vier in Bottrop und einige wenige in ein paar anderen kleinen Außenstellen. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Justiz, Polizei | Verschlagwortet mit , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei sowie zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 – Heimtückegesetz

Veröffentlichung des "Heimtückegesetzes" 1934, das der Denunziation Tür und Tor öffnete

Die Einschränkung der Grundrechte erfolgte 1933 Schlag auf Schlag. Fünf Tage nach der Machtübernahme durch Hitler erging eine „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes“ vom 4. Februar, die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht beschränkte. Am 28. Februar folgte die „Reichsbrandverordnung“, die weitere Verfassungsgarantien aufhob, und am 21. März kam eine „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ heraus, wobei die Definition ins Ermessen der Verfolgungsbehörden gestellt war. Die beiden ersten Verordnungen blieben bis 1945 unverändert in Kraft, die letzte wurde am 20. Dezember 1934 zum eigentlichen Heimtückegesetz – „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei sowie zum Schutz der Parteiuniformen“ – ausgebaut. Es öffnete mit Bestimmungen wie der Strafbarkeit auch „nichtöffentlicher böswilliger Äußerungen“ dem Spitzel- und Denunziantenwesen Tür und Tor und wurde zur beschleunigten Ahndung solcher Vergehen begleitet von der Einrichtung von „Sondergerichten“. Auf Straftaten, die in Uniform begangen wurden, stand die Todesstrafe (aus Friedemann Bedürftig „Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon“).

Artikel I                                                                                                                                                § 1

(1) Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen, wird, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.
(2) Wer die Tat grob fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Richtet sich die Tat ausschließlich gegen das Ansehen der NSDAP oder ihrer Gliederungen, so wird sie nur mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle verfolgt.

§ 2

(1) Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.
(2) Den öffentlichen Äußerungen stehen nichtöffentliche böswillige Äußerungen gleich, wenn der Täter damit rechnet oder damit rechnen muss, dass die Äußerung in die Öffentlichkeit dringen werde.
(3) Die Tat wird nur auf Anordnung des Reichsministers der Justiz verfolgt; richtet sich die Tat gegen eine leitende Persönlichkeit der NSDAP, so trifft der Reichsminister der Justiz die Anordnung im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers.
(4) Der Reichsminister der Justiz bestimmt im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers den Kreis der leitenden Persönlichkeiten im Sinne des Absatzes 1.

§ 3

(1) Wer bei der Begehung oder Androhung einer strafbaren Handlung eine Uniform oder ein Abzeichen der NSDAP oder ihrer Gliederungen trägt oder mit sich führt, ohne dazu als Mitglied der NSDAP oder ihrer Gliederungen berechtigt zu sein wird mit Zuchthaus, in leichteren Fällen mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.
(2) Wer die Tat in der Absicht begeht, einen Aufruhr oder in der Bevölkerung Angst oder Schrecken zu erregen, oder dem Deutschen Reich außenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft.  In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.
(3) Nach diesen Vorschriften kann ein Deutscher auch dann verfolgt werden, wenn er die Tat im Ausland begangen hat.

§ 4

(1) Wer seines Vorteils wegen oder in der Absicht, einen politischen Zweck zu erreichen, sich als Mitglied der NSDAP oder ihrer Gliederungen ausgibt, ohne es zu sein, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
(2) Die Tat wird nur mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle verfolgt.

§ 5

(1) Wer parteiamtliche Uniformen, Uniformteile, Gewebe, Fahnen oder Abzeichen der NSDAP, ihrer Gliederungen oder der ihr angeschlossenen Verbände ohne Erlaubnis des Reichsschatzmeisters der NSDAP gewerbsmäßig herstellt, vorrätig hält, feilhält, oder sonst in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft.  Für welche Uniformteile und Gewebe es der Erlaubnis bedarf, bestimmt der Reichsschatzmeister der NSDAP im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister durch eine im Reichsgesetzblatt zu veröffentlichende Bekanntmachung.
(2) Wer parteiamtliche Uniformen und Abzeichen im Besitz hat, ohne dazu als Mitglieder der NSDAP, ihrer Gliederungen oder der ihr angeschlossenen Verbände oder aus einem anderen Grunde befugt zu sein, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr, und, wenn er diese Gegenstände trägt, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft.
(3) Den parteiamtlichen Uniformen, Uniformteilen und Abzeichen stehen solche Uniformen, Uniformteile und Abzeichen gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
(4) Neben der Strafe ist auf Einziehung der Uniformen, Uniformteile, Gewebe, Fahnen oder Abzeichen, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, zu erkennen.  Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so ist auf Einziehung selbständig zu erkennen, wenn im Übrigen die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
(5) Die eingezogenen Gegenstände sind dem Reichsschatzmeister er NSDAP. oder der von ihm bestimmten Stelle zur Verwertung zu überweisen.
(6) Die Verfolgung der Tat und die selbständige Einziehung (Abs. 4 Satz 2) findet nur mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle statt.

§ 6

Im Sinne dieser Vorschriften gilt nicht als Mitglieder der NSDAP, ihrer Gliederungen oder der ihr angeschlossenen Verbände, wer die Mitgliedschaft erschlichen hat.

§ 7

Der Stellvertreter des Führers erlässt im Einvernehmen mit den Reichsministern der Justiz und des Innern die zur Ausführung und Ergänzung der §§ 1 bis 6 erforderlichen Vorschriften.

Artikel  II                                                                                                                                             § 1

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes mit Ausnahme des § 5 Abs. 1 gelten sinngemäß für den Reichsluftschutzbund, den Deutschen Luftpostverband, den Freiwilligen Arbeitsdienst und die Technische Nothilfe.
(2) Die zur Ausführung und Ergänzung dieser Bestimmung erforderlichen Vorschriften erlässt der Reichsminister der Justiz, und zwar, soweit es sich um den Reichsluftschutzbund und den Deutschen Luftpostverband handelt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Luftfahrt, und soweit es sich um den Freiwilligen Arbeitsdienst und die Technische Nothilfe handelt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern.

Artikel  III                                                                                                                                           § 1

§ 5 Abs. 1 tritt am 1. Februar 1935 in Kraft.  Die übrigen Vorschriften dieses Gesetzes treten am Tage nach der Verkündung in Kraft; gleichzeitig treten die ,Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933’ (Reichsgesetzblatt I S. 135) sowie Artikel 4 des Gesetzes über die Reichsluftfahrtverwaltung vom 15. Dezember 1933 (Reichsgesetzblatt I S. 1077) außer Kraft.

Berlin, den 20. Dezember 1934

Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner

Der Stellvertreter des Führers Reichsminister R. Heß

Der Reichsminister des Innern Frick zugleich für den Reichsminister der Luftfahrt

Veröffentlicht unter Justiz, NSDAP, Verwaltung | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Denunziantenwesen im NS-Staat und danach. In Dorsten sind rund 650 Hinweise auf anonyme oder offene Anzeigen gegen Nachbarn und andere bekannt

Titelseite der Heinrich Heine-Schrift von 1837

Von Wolf Stegemann

Unter Denunziation (lat. denuntiare, „absprechend berichten, Anzeige/Meldung machen“; denuntiatio, „Ankündigung, Androhung“) versteht man die – häufig anonyme – öffentliche Beschuldigung oder Anzeige einer Person oder Gruppe aus nicht selten niedrigen persönlichen oder oft politischen Beweggründen, von deren Ergebnis der Denunziant sich selbst oder den durch ihn vertretenen Interessen einen Vorteil verspricht (wikipedia). Der Begriff der Denunziation ist negativ belegt. Im Gegensatz zur Denunziation ist die Anzeige im Fall von schweren Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung und nicht politisch motivierten Straftaten wie Diebstahl selbst in Unrechtsregimen gesellschaftlich akzeptiert. Daher sollte selbst im Kontext des Nationalsozialismus zwischen Denunziation und berechtigter Anzeige unterschieden werden. In der Bundesrepublik wird in bestimmten Fällen sogar die Nichtanzeige geplanter Straftaten selbst als Vergehen eingestuft. Ebenfalls kein Denunziant ist, wer zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit oder einen Teil derselben bei Ämtern und Behörden auf einen Missstand hinweist. – Heinrich Heine schrieb 1837 in Paris über das deutsche Denunziantentum:

Die erste Tugend der Germanen ist eine gewisse Treue, eine gewisse schwerfällige, aber rührend großmütige Treue. Der Deutsche schlägt sich selbst für die schlechteste Sache, wenn er einmal Handgeld empfangen, oder auch nur im Rausche seinen Beistand versprochen; er schlägt sich alsdann mit seufzendem Herzen, aber er schlägt sich; wie auch die bessere Überzeugung in seiner Brust murre, er kann sich doch nicht entschließen die Fahne zu verlassen, und er verläßt sie am allerwenigsten, wenn seine Partei in Gefahr oder vielleicht gar von feindlicher Übermacht umzingelt ist … Daß er alsdann zu den Gegnern überliefe, ist weder dem deutschen Charakter angemessen, noch dem Charakter irgendeines anderen Volkes … Aber in diesem Falle noch gar als Denunziant zu agieren, das kann nur ein Schurke.

Der Schriftsteller und Dichter, ein zum Protestantismus konvertierter Jude, kannte das Dritte Reich nicht. Hätte er es gekannt, wäre sein Urteil sicherlich anders ausgefallen, wenngleich er die ersten oben wiedergegebenen hätte stehen lassen können: „Der Deutsche schlägt sich selbst für die schlechteste Sache…“ Weiterlesen

Veröffentlicht unter Entnazifizierung, Erste Nachkriegsjahre, Polizei | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Nation der Denunzianten. Rolf Hochhuth stellt eine Verbindung zwischen der NS-Zeit und heute her

In der in der Schweiz erscheinenden „Weltwoche“ nahm der große Dramatiker Rolf Hochhuth 2007 die Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz sowie den Kabarettisten Dieter Hildebrandt gegen Vorwürfe von Historikern in Schutz, die behaupteten, dass die drei Genannten den Nationalsozialismus nahe gestanden hätten. Hochhuth damals 76 Jahre alt, war mit seinem ersten Stück „Der Stellvertreter“ weltberühmt geworden und gehört seitdem zu den bedeutendsten Autoren deutscher Sprache. Hochhuth ist seit 43 Jahren Wahlbasler. Rolf Hochhuth schreibt: Keineswegs haben wir uns seit der Nazi-Zeit geändert; wir sind genau die geblieben, die wir schon unterm Führer waren: die Nation der Denunzianten. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Rückschau / Heute | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar