Die kleine jüdische Gemeinde in den Jahren von 1933 bis 1942 – Ihr Leben war das Letzte, das man ihnen nahm

Von Wolf Stegemann

»Jede Kugel, die jetzt aus dem Lauf einer Polizeipistole geht, ist meine Kugel. Wenn man das Mord nennt, dann habe ich gemor­det, das alles habe ich befohlen, ich decke das. Meine Maßnahmen werden nicht ange­kränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche Bürokratie. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts…«

Der Originalton des damaligen preußischen Innenministers Hermann Göring von Mitte Februar 1933 macht deutlich, wie die Gegner der neuen Machthaber behandelt werden sollten, und die, die sich die Nationalsoziali­sten u. a. als »Gegner«ausgesucht hatten: die Juden, die einfach nur deshalb vom NS-Regime verfolgt, gedemütigt, vertrieben, beraubt und getötet wurden, weil sie Juden waren. Weiterlesen

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Jüdische Bürger – Dorstener wie andere auch. Doch ihr Schicksal bestimmten die anderen

Von Wolf Stegemann

Dass es in Dorsten – wie auch anderswo – nach der Zeit des Nationalsozialismus  kaum noch auffindbare Spuren jüdischen Lebens gab, begünstigte eine Atmosphäre des allgemeinen Desinteresses. Zwar griffen landesweit manche Gruppen und Gesellschaften das Phänomen Judentum auf dem Hintergrund der jüngeren Geschichte auf, um Verständnis und Verständigung bemüht, aber zu wenig von dieser notwendigen Aufklärung drang in das Bewusstsein des deutschen Bundesbürgers. Die einfachen Fragen blieben unbeantwortet: Wer waren denn, wer sind denn diese Juden? Wer waren in Dorsten, dieser romantischen Kleinstadt an der Lippe, die Perlsteins und Ambrunns, die Metzgers und Minkels, die Oppenheimers und Lebensteins? Was wissen wir von ihren Schicksalen und Todeswegen, von ihrem Leid und ihren Hoffnungen?

Bendix. Max Bendix, verheiratet mit Regina Lebenstein aus Lembeck, zog von Dülmen nach Lembeck und starb 1921. Die Witwe wurde von Dülmen aus deportiert. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Frederike, geb. 11. April 1915, ging 1934 nach Amsterdam und starb 1942 in einem Konzentrationslager; Bernhard, geb. 18. Febr. 1917, ging in Lembeck zur Schule und emigrierte  mit seinem Bruder Walter, geb. 31. Mai 1919, nach Südafrika. Weiterlesen

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Die Synagoge im jüdischen Gemeindehaus in der Wiesenstraße – Haus des Gebetes und der Zuflucht

Die Wiesenstraße um 1925 mit dem jüdischen Gemeindehaus, in dem die Synagoge untergebracht war (weißes Giebelhaus in der Mitte des Bildes)

Von Wolf Stegemann

In dem jüdischen Gemeindehaus in der Wie­senstraße 24 befand sich bis zur Bombardierung der Stadt und Zerstörung des Hauses eine Synagoge, wenngleich sie in den letzten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft geschlos­sen war. Das Wort Synagoge stammt aus dem Grie­chischen und bedeutet allgemein „Versamm­lung“, „Vereinigung“. Doch ist hier die sich versammelnde jüdische Gemeinde und ihr Versammlungsort gemeint, das jüdische Gottesdienstgebäude (hebräisch: Beth hak-knesseth, jiddisch: Schul), zugleich auch Ort alltäglicher Versammlung.

Von außen unterschied sich das Haus nicht von den anderen Häusern in der Wiesen­straße. Es fügte sich in die Häuserzeile und das nachbarschaftliche Leben der dort ansässigen Poahlbürger gut ein. Mehr noch: das Leben, das in diesem Hause stattfand und von diesem Hause ausging, war voll in seine Umgebung integriert. Auch nach 1938, als jüdische Familien in ihrem Gemeinde­haus zusammengepfercht und gekennzeichnet wohnen mussten, fand immer ein Austausch von Informationen statt. Nachbarschaft­liche Hilfe kam den jüdischen Bürgern zugute, wenn auch heimlich. Weiterlesen

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„Haus Bertha“ am Freudenberg – Ein Lichtblick und kurzer Hoffnungsstrahl für bedrängte jüdische Kinder aus dem Reich. Den Willen zum Überleben gestärkt

„Kurz, allzu kurz waren die nur drei Jahre, die ,Haus Bertha’ bestehen durfte. Doch waren es lange, reiche, fruchtbringende Jahre, wenn man an die Tausende [denkt] – und es waren Tausende immer mehr isolierter, immer stärker bedrohter und immer grausamer erniedrigter jüdischer Menschen in ihren Entwicklungsjahren –, die hier ihre Widerstandskraft und ihren Lebenswillen stärken und, umgeben von herrlicher Natur und umhegt von verständnisvollen Menschen mit großem, liebevollem Herzen, die bitter notwendige Entspannung, Erholung und nützliche Unterweisung finden konnten.“

Feierliche Eröffnung von "Haus Bertha" durch den "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" bei strömenden Regen. Es kamen Gäste aus ganz Deutschland.

Von Wolf Stegemann

Die Rede ist von dem in diesen Jahren von Kindern des „Reichbundes Jüdischer Frontsoldaten“ (RJF) in der Freudenberger Heide belegten Sommerlagers. Die Baracke erhielt den Namen „Haus Bertha“. Das war nicht nur ein schlichter Name, dahinter stand ein jüdisches Erziehungsprogramm für Jugendliche in einer für Juden aufdämmernden schweren Zeit. Haus und Grundstück lagen zwar auf Altschermbecker Gebiet, es gehörte aber zum Sprengel der evangelischen Kirche in Holsterhausen, zu dem es heute noch gehört, und neben Holsterhausen den Bereich von der Schlossstraße in Schermbeck die Orte Uefte, Rhade und Erle umfasst. Zudem war Altschermbeck – wie Erle, Holsterhausen, Dorsten und die übrigen damaligen Landgemeinden dem Amt Hervest-Dorsten zugehörig. Die Postanschrift von „Haus Bertha“ lautete „Altschermbeck 60, Hervest-Dorsten“, die Bahnstation war Deuten und die Telefonnummer: Amt Dorsten 2284. Weiterlesen

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„Reichskristallnacht“ – Das Juden-Pogrom in der Nacht zum 10. November 1938 in Dorsten. Mit einem Kommentar von Hans Mommsen

Von Wolf Stegemann

In der Nacht vom zum 10. November 1938 brannten in Deutschland Synagogen, wurden jüdische Geschäfte zerstört und Juden ermordet. Das war die von den Nationalsozialisten gelenkte Reaktion auf die Ermordung des deutschen Botschaftsangehörigen vom Rath in Paris durch den polnischen Juden Herschel Grynszpan. Es kam nie zu einem Prozess gegen ihn, denn die Nazis befürchteten, dass das Homosexuellen-Motiv des Mordes an von Rath öffentlich bekannt werden würde. Als Grynszpan vom besiegten Frankreich an Deutschland ausgeliefert worden war, verbrachte er als „Sondergefangener“ den Krieg im Konzentrationslager Sachsenhausen. Er soll überlebt haben; seine Spur verliert sich in den Wirren der letzten Kriegsmonate.

Durch den Mord war der Weg für die Juden vorgezeichnet. Im Volksmund hieß diese Nacht „Reichskristallnacht“, weil so viele Glasscherben der zerstörten jüdischen Geschäfte auf den Straßen lagen. An den von den Nationalsozialisten aufgerufenen Gewalttaten waren neben der SS, SA und Hitlerjugend auch Teile der Bevölkerung, die Verwaltung, das Finanzamt, die Feuerwehr und Polizei aktiv beteiligt. Auch in Dorsten. Weiterlesen

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