Erinnerungen Erich Jacobs’, jüdischer Lehrer in Recklinghausen: Letztmögliche Emigration über Spanien und Kuba in die USA. „Wir alle könnten ein ברכה sagen, dass wir frei waren!“

Erich Jacobs konnte 1941 mit seiner Familie gerade noch rechtzeitig Deutschland verlassen und in Kuba bzw. den USA eine neue Heimat finden. Dort schrieb er seine Erlebnisse auf mit dem Hinweis an seine Familie, diese erst nach seinem Tod zu lesen. Er starb 1973. Die Tochter Fredel, in den USA geboren, stellte freundlicherweise das Manuskript zur Verfügung, aus dem seine Erinnerungen an Recklinghausen in der Zeit von 1937 bis 1941 in mehreren Artikeln veröffentlicht sind. Es sind erschreckende Erinnerungen.

Die Anzahl meiner Schüler schrumpfte mehr und mehr, da die Eltern weggezogen oder ausgewandert waren. Schließlich hatte ich nur noch sieben Kinder in meiner Schule! Und dies bedeutete nach dem Gesetz, dass die Existenz der Schule keine Berechtigung mehr hatte. Eine Schule mit weniger als zehn Kindern wurde aufgelöst. Und dieses Los fiel nun auch auf meine Schule. Am 1. Juli 1941 schloss die jüdische Grundschule [eigentlich „Israelitische Volksschule“] in Recklinghausen seine Türen für immer. Meine nette, schöne Schule, die ich sooo geliebt hatte, war tot! Wir machten eine kleine Abschiedsfeier – und das war es! Der Rest der Kinder musste an die jüdische Volksschule in der nahe gelegenen Stadt Wanne-Eickel. Ich war meinen Job los. Das war sehr schlimm für mich! Ich sprach bereits über den so genannten „Arbeitsdienst“; in dem alle jüdischen Männer für den Staat zu arbeiten hatten. Sicherlich war ich noch für die jüdische Gemeinschaft Chazen [Sänger] und „Seelsorger“. Der Vorsitzende der Gemeinschaft bekräftigte bei der Regierung, dass ich unentbehrlich war und ein Vollzeit-Arbeitnehmer für die Gemeinschaft. Weiterlesen

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Dorstener Schulen erinnern an deutsche Widerstandskämpfer: Geschwister Scholl, Erich Klausener und Dietrich Bonhoeffer – Sie bezeugten ihre Unbeugsamkeit mit ihrem Leben

Pliesterbecker Schulzentrum mit der Dietrich-Bonhoeffer-Hauptschule und der Erich-Klausener-Realschule; Foto: Walter Biermann

Von Wolf Stegemann

Die Namen von drei Schulen in Dorsten erinnern an die jungen Geschwister Scholl, den Politiker Dr. Erich Klausener und den Theologen Dietrich Bonhoeffer, die im Dritten Reich ermordet wurden. Eine weitere Schule, die Förderschule für Sprachbehinderte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, hat 1992 die Schule im Stadtfeld nach Raoul-Wallenberg benannt. Der schwedische Diplomat Wallenberg hat von 1944 bis zum Kriegsende mehrere tausend Juden vor der Verschleppung in Konzentrationslager und damit vor dem sicheren Tod bewahrt. Die von ihm ausgestellten Schutzpässe wurden von den deutschen Behörden und der ungarischen Verwaltung respektiert. Wallenberg organisierte so genannte Schutzhäuser, eine Feldküche und Krankenhäuser. In den letzten Kriegstagen ist er nach Verhandlungen mit der Roten Armee in sowjetische Gefangenschaft geraten und seitdem verschwunden. Sein Schicksal ist bis heute ungeklärt. Weiterlesen

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Hermann Bogdal ist in Dorsten in bester Erinnerung – Als Kommunist in der NS-Zeit wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, nach 1945 Strafverfahren u. a. wegen Verteilen von Handzetteln

Hermann Bogdal (r.) am Lagerfriedhof Borckhorst in den 1980er-Jahren

Von Wolf Stegemann

Mit Dorsten verbanden ihn viele Freunde und politisch Gleichgesinnte. Darunter vor allem Bogdals politischer Weggefährte Edmund Labendz (Jahrgang 1931), der in den 1950er-Jahren wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD im Zuchthaus saß. Hermann Bogdal wurde ebenfalls in den 1950er- und 60er-Jahren bestraft bzw. angeklagt, allerdings mit Einstellung der Verfahren endete. Mit Dorsten verband Bogdal auch eine wochenlange Recherche im Stadtarchiv, die ihren Niederschlag vor allem in seinen beiden 1984 erschienenen Bänden „Rote Fahnen im Vest“ gefunden haben. Darin beschreibt er die Geschichte in den revolutionären Novembertagen 1918 im Kreis Recklinghausen und die Niederschlagung des Kapp-Putsches. Vor allem die historischen Dorstener Begebenheiten jener Zeit hat Hermann Bogdal in diesen beiden Büchern geschildert. Daher ist er auch immer wieder zu Lesungen und Diskussionen nach Dorsten eingeladen worden. Auf Einladung des Schulleiters Wolfgang Triptrap referiert er zur 40. Wiederkehr des Kriegsendes am 8. Mai 1985 in der Gesamtschule Wulfen. Zudem war Bogdal bei vielen ähnlichen Veranstaltungen in Dorsten anwesend, so dass mit der Zeit auch in Dorsten ein breitgefächerter Kreis von Gleichgesinnten, Freunden und Gesprächspartnern der Nachkriegsgeneration entstand. Darunter der bereits erwähnte Edmund Labendz, dann Karl Möhring und Uli Hengemühle. Auch Dirk Hartwich hat sich mit ihm politisch ausgetauscht und sein Leben, seine feste Haltung und sein Engagement stets gewürdigt. Auch die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ hatte Kontakte zu Bogdal. Die „Ruhr-Nachrichten“ schrieben 1983: „’Rote Fahnen im Vest’ ist der Versuch, Geschichte von unten aus eindeutig politischer Sicht zu schreiben. Deshalb ist es ein beeindruckendes Buch, und trotz der eingeschränkten politischen Sicht ein notwendiges Buch.“ Weiterlesen

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Flucht der Juden ohne Wiederkehr

Von Robert Probst

Unmittelbar nach der Machtübertragung vom 30. Januar 1933 be­ginnen die Nazis mit der Verfolgung von politischen Gegnern. Wer nicht ins Konzept der „Volksgemeinschaft“ passt oder sich nicht an­passen will, muss mit Repressionen rechnen – mit Schikanen, öf­fentlicher Demütigung, mit Prügeln, mit willkürlicher Verhaftung oder mit Verschleppung in eines der frühen Konzentrationslager. Das Regime nimmt sich seine Gegner der Reihe nach vor, mit Wider­stand der Bevölkerung hat es nicht zu rechnen. „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kom­munist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich ge­schwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ So hat es treffend nach Kriegsende der protestantische Pastor Martin Niemöller, von 1937 bis 1945 im KZ inhaftiert, formuliert. Weiterlesen

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Ernst Metzger hat die Hölle der Konzentrationslager überlebt – Sie warfen Menschen in die Flammen

Ernst Metzger um 1938 und im Jahr 1983, beide Male in Dorsten

Von Ernst Metzger

Am Samstagmorgen, 23. Januar 1942, es war bitterkalt, hielt ein Wagen in der Nähe unse­res Hauses in der Wiesenstraße 24, um uns unerwartet zur Deportation nach Riga abzu­holen. Nach langen Bitten wurde uns eine halbe Stunde gewährt, um unsere Sachen zu packen. Im Lastwagen saßen schon unsere Leidensgenossen aus Lembeck. Nach knapp einer halben Stunde, wir waren noch nicht ganz fertig, trieb man uns aus dem Haus: Vater, Mutter, mein Bruder Max mit Frau und Kind, mein Bruder Walter und ich. Dazu kamen noch die Familie Ambrunn, Herr Lewinstein, Hilde Perlstein und Her­tha Becker, geborene Perlstein. Man brachte uns nach Gelsenkirchen. In der Rundhalle auf dem Wildenbruchplatz sam­melten die Nazis weitere Juden aus Reck­linghausen, Herne und Gelsenkirchen.

Dort gab es die erste Tote zu beklagen. Selbstmord. Eine Frau hatte sich mit einer Gabel die Kehle durchgestochen. Erst am Dienstag, 26. Januar, sind wir morgens um drei Uhr im Güterbahnhof Gelsenkirchen verladen worden. Der Transport bestand aus etwa 1.000 Personen, die einer ungewissen Zukunft entgegenfuhren. Bei 30 Grad unter Null in unbeheizten Wagen, ohne Wasser und sonstige Verpflegung war die Fahrt eine Hölle. Doch haben wir die Reise gut überstanden bis auf meinen lieben Vater. Er hatte sich Erfrierungen an beiden Füßen zugezogen und musste im Ghetto drei Monate lang lie­gen. Weiterlesen

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