Von Prof. Dr. Hans Mommsen
Mit dem Holocaust ging eine Jahrhunderte lange Symbiose zwischen Deutschen und Juden unwiderruflich zu ende. Dass die extreme antisemitische Propaganda der NSDAP zu dem verbrecherischen Versuch führte, das Judentum in Europa auszulöschen, hat niemand vorhergesehen und nicht vorhersehen können. Zwar verstieg sich die antisemitische Hetze bereits im 19. Jahrhundert vielfach zu Drohungen, aus denen die Absicht sprach, zur physischen Ausrottung der Juden überzugehen. Dass sich dies als Konsequenz der stufenhaften Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenverfolgung ergab, vermochten nicht einmal die von der Mordabsicht Betroffenen frühzeitig zu begreifen, und die wenigen, die die wahre Natur der Deportation in den Osten durchschauten, hielten wie der Rabbiner Leo Baeck mit dieser Einsicht zurück, um den Überlebenswillen ihrer Mitgefangenen nicht zu zerstören. Aber bis zum Wendepunkt, den die nationalsozialistische Machteroberung für das Zusammenleben von Juden und Deutschen brachte, blieb der extreme Antisemitismus auf gesellschaftliche Randgruppen beschränkt. Selbst die NSDAP sah sich veranlasst, die antisemitische Agitation in den entscheidenden Wahlkämpfen von 1930 bis 1932 zu begrenzen, da sie ihr keine weiteren Wähler eintrug. Weiterlesen