1946 erschien erstmals das „Jüdische Gemeindeblatt“, aus dem die heutige „Jüdische Allgemeine“ entstand

Viele Namen, eine Zeitung: Vom "Jüdischen Gemeindeblatt" 1946 zur "Jüdischen Allgemeinen" heute

Von Michael Brenner

Die ersten jüdischen Zeitungen im Nachkriegsdeutschland erschienen bald nach der Befreiung. Sie waren auf Jiddisch geschrieben und trugen Namen wie Bafrayung, Untervegs oder Unzer Hofenung. Neben der etwa Viertelmillion Displaced Persons (DPs), denen diese Zeitungen als Kommunikationsmittel dienten, gab es auch die wesentlich kleinere Zahl der deutschen Juden, die geschützt durch „Mischehen“, im Versteck oder im Konzentrationslager die Verfolgung überlebt hatten. Es handelte sich wohl um etwa 20.000 Personen, von denen manche erst durch die Nürnberger Gesetze wieder zu Juden gemacht wurden.
Sie gründeten unmittelbar nach der Befreiung wieder jüdische Gemeinden, restaurierten die geschändeten Gräber, richteten Beträume ein – und schufen eine jüdische Presse. Friedo Sachser, langjähriger Redakteur der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ erinnert sich: „Die in Papier und Druckerschwärze verwandelte Idee lag am 15. April 1946 in Gestalt des Jüdischen Gemeindeblatts für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen zum ersten Mal vor.“ Es war „ein rachitisches Produkt zugestandenermaßen, das über vier knappe DIN-A4-Seiten nicht hinausging und sichtlich aus Holzfasern geboren war“.

Viele Namen – ein Blatt

Rachitisch oder nicht – dies war die Geburtsstunde jenes Blattes, das sich im Laufe der Zeit immer wieder umbenennen sollte: Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone (1946–1948), Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (1949–1966), Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung (1966–1973), Allgemeine Jüdische Wochenzeitung (1973–2001) und schließlich seit 2002 Jüdische Allgemeine.
Der entscheidende Wechsel war die Übernahme durch den aus dem englischen Exil zurückgekehrten Karl Marx im November 1946. Er führt die Geschicke der bedeutendsten deutschsprachigen jüdischen Zeitung bis zu seinem Tod 1966. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus England zurückgekehrten Generalsekretär des Zentralrats, Hendrik George van Dam, war Marx während der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte der bekannteste Repräsentant des neuen deutschen Judentums. Marx schaltete sich aktiv in die dringendste Angelegenheit der jüdischen Gemeinden ein: die Frage der sogenannten Wiedergutmachung.
Seine enge Bindung zur Politik – mit Theodor Heuss verband ihn eine vor die NS-Zeit zurückreichende Freundschaft – ermöglichte ihm den Zugang bis in Regierungskreise. Es ist gewiss nicht zufällig, dass sich nur wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik Bundeskanzler Adenauer erstmals systematisch in seiner Zeitung zur Wiedergutmachung äußert. Die „Allgemeine“ berichtete nicht nur über den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland, sie war selbst ein entscheidender Teil dieses Wiederaufbaus.

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Quelle: Mit freundlicher Genehmigung entnommen: Jüdische Allgemeine „Rückblende – 1946: Gründung des „Jüdischen Gemeindeblatts“ vom 4. Januar 2013
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Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 – ein bis heute gültiger Staatsvertrag, der bis 1945 die katholische Kirche nicht wirklich schützte

Konkordatsunterzeichnung am 20. Juli 1933 in Rom; Franz von Papen (li.), Kardinal Staatssekretär Eugenio Pacelli (Mitte), Ministerialdirektor Dr. Buttman (re.)

Von Wolf Stegemann

Es ist das einzige außenpolitische Abkommen aus der Nazi-Zeit, das heute noch gültig ist: das Reichskonkordat. Der Vertrag, den der Vatikan und das Hitler-Regime am 20. Juli 1933 schlossen, schrieb die Beziehungen zwischen Staat und Kirche fest. Inhaltlich war das beileibe kein Pakt mit dem Teufel – allerdings wertete das Abkommen mit dem Heiligen Stuhl die Diktatur der Nationalsozialisten innenpolitisch wie international auf. Dass Bischöfe heute ihren Treueid auf die Verfassung des Staates (Bundesland) ablegen müssen und nicht nur auf die katholische Kirche, ist dem Reichskonkordat von 1933 geschuldet Damals schrieb Pfarrer Ludwig Heming von der Pfarrkirche St. Agatha in Dorsten in seine Chronik: Weiterlesen

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Ludwig Heming – Pfarrer an St. Agatha. Hinter glühendem Eifer blieb oft pastorale Klugheit zurück – Seine Neujahrspredigt 1934: Zweifel an der Regierung wäre eine Beschimpfung des Führers

Pfarrer Ludwig Heming

Pfarrer Ludwig Heming

Von Wolf Stegemann

Ludwig Hemings Amtszeit als Pfarrer an St. Agatha von 1913 bis 1940 war geprägt von den wirren Zeiten während des Ersten Weltkriegs und den politischen Unruhen danach, sowie vom Dritten Reich. Heming widersprach nicht nur seinem Bischof, auch der weltlichen Obrigkeit, den Machthabern, woher sie auch immer ihre Macht bezogen hatten. Er blieb unerschütterlich gegenüber den Spartakisten 1919, den Rotarmisten 1920 und den Offizieren der belgischen Besatzungsmacht 1925, die er mit seinen Mitteln bekämpfte. Auch bekämpfte er das, was er als „schamlos“ hielt. 1925 appellierte er erstmals an Frauen und Mädchen seiner Gemeinde, die an der Fronleichnamsprozession teilnahmen, „in geziemender, ehrbarer Kleidung mitzumachen“. Denn Heming stellte fest, dass seit einigen Jahren Moden aufgekommen waren, die „wirklich unehrbar waren: Kurze Kleider, tief ausgeschnittene Blusen, ärmellos etc.“ Trotz des Appells musste er bei Prozessionen einige Mädchen wegen ihrer von ihm angesehenen „schamlosen Kleidung scharf rügen“. Weiterlesen

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»Auf, gebt’s ihnen!« – Als Sturmschärler bezog der 17-jährige Paul Fliege Prügel

Der 17-jährige Paul Fiege in der Sturmschar-Kluft

Von Maja Lendzian

»Konfessionelle Jugend, wollt Ihr Euch spä­ter einmal den Vorwurf gefallen lassen und selbst machen, in einer entscheidenden Zeit, in der es um alles ging, an dem großen Aufbauwerk unseres Führers nicht mitgeholfen zu haben?« Einer, auf den dieser Schlusssatz eines vielzeiligen Elaborates der Hitlerju­gend, erschienen in der »Dorstener Volkszeitung« im Mai 1934, vor allem gemünzt war, lässt sich den Vorwurf heute gerne gefallen: Paul Fliege, Stadtarchivar im Ruhestand. Als Bezirksführer der Sturmschar des katholischen Jungmännervereins gehörte er zu den wenigen, die sich zu Beginn des »Tausend­jährigen Reiches« mutig gegen den Nach­wuchs der braunen Genossen zur Wehr setzten und trotz tückischer Attacken und Hetzkampagnen der Nazis den Idealen und der Lehre der katholischen Kirche treu blieben.

Das war damals in Dorsten – wie auch anderswo – ein schwieriges Unterfangen. Denn die Hitlerjugend ging auch hier nicht nur mit spitzer Feder zu Werke. Dass mit har­ten Bandagen für das »Deutschsein« und  eine einheitlich marschierende parteigenössische Jugend gekämpft wurde, spürte der damals 17-jährige Paul Fiege bereits Ende Januar 1933, kurz nach der Machtüber­nahme Hitlers, schmerzhaft am eigenen Leibe. Weiterlesen

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Die Beschlagnahme des Riese-Hauses – Im Jahr 1933 ist dies ein Beispiel rücksichtsloser Machtanwendung der NSDAP

Das Riese-Haus in der Alleestraße um 1980

Von Wolf Stegemann

Ludwig Heming hatte eine bei der Bevölke­rung hoch angesehene Position inne. Als die Nationalsozialisten im Jahre 1933 in Dorsten die Ämter im Rathaus und im gesamten öffentlichen Leben besetzten, war Ludwig Heming bereits 20 Jahre lang Pfarrer in Dor­sten. Mit Sicherheit verdankt er diesem Umstand sein letztlich ungefährdetes Wir­ken in der Pfarrgemeinde, wenn seine Arbeit auch im hohen Maße durch die staat­lich verordnete und parteigelenkte Kirchenfeindlichkeit mehr und mehr an Boden verlor. Aus dem einst so »hemdsärmeligen« Pastor, der kein Blatt vor den Mund nahm, aus dem polternden, manchmal recht unwir­schen Gottesstreiter wurde durch Enttäu­schung, politischen Druck und Drohung bald ein immer stillerer Mann, der sogar ab 1935 seine Agatha-Chronik nicht mehr wei­terführte, die er über 20 Jahre lang mit nahezu verbissener Vehemenz und Detailfreude geschrieben hatte. Heming konnte sich auf Dauer gegen­über den NS-Behörden, von denen er nach anfänglichem Hoffen enttäuscht war, nicht behaupten. Er gab immer öfter nach, um zu bewahren, was noch zu bewahren war: seine Fürsorge für die Kirche und seine immer kleiner werdende Gemeinde. Weiterlesen

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