„Maria Lindenhof“ – Krankenanstalt für Epileptiker und Schwachsinnige: 1935 Prozess wegen Sittenverfehlungen – Anstalt von den Nazis geschlossen – Über 270 Patienten nach Marsberg gebracht

Die Krankenanstalt für Schwachsinnige und Epileptiker „Maria Lindenhof“ um 1923

Von Wolf Stegemann

Mit sechs Betten, einem Sack Erbsen und 50 Mark gründete Bruder Rochus Neus mit drei Ordensbrüdern von der Krankenpflegegenossenschaft der Barmherzigen Brüder von Montabaur 1873 in den Lippeauen in Holsterhausen die Krankenanstalten für männliche Epileptiker und geistig Behinderte, die sie unter den Schutz Marias stellten und die Anlagen „Maria Hof unter den Linden“ nannten, der dem heutigen Bereich „Maria Lindenhof“ den Namen gab.
An der Lippe besaß der Orden schon länger die Villa Reischel. Durch mehrere An- und Umbauten entstand eine  große Anlage mit Kloster, Krankenanstalten, Ärztehaus, Maschinenhaus, Isolierhaus, Kinderheim und Arbeitsstätten. 1919 funktionierte das Freikorps Lichtschlag den Festsaal der Anstalt in einen Gerichtssaal um und verurteilte gefangene Spartakisten zum Tode, die dann an der Anstaltsmauer erschossen wurden.
1923/25 beschlagnahmten belgische Besatzungssoldaten Teile der Krankenanstalt für ihre Zwecke, bevor sie 1927 renoviert wurde und neue Bauten hinzukamen. 1935 verhaftete die Gestapo etliche Brüder unter dem von der Gestapo geschürten Verdacht sexueller Verfehlungen. Bei dem mit großer nationalsozialistischer Propaganda durchgeführten Prozess beim Landgericht Essen hatten die angeklagten Brüder keine Chance. Sie wurden verurteilt, einige von ihnen später freigesprochen oder ihre Strafe reduziert. 1937 löste der Staat die Anstalt auf und überführte die Heiminsassen nach Hadamar. Die verbliebenen zwölf Brüder verließen im September 1937 die leeren Gebäude und fuhren mit dem Zug ins Mutterhaus nach Montabaur. Danach wurden die Gebäude als Landeserziehungsheim, als Lazarett und nach dem Krieg als Notunterkünfte und Sammellager für Ostarbeiter, dann als Bergmannsheim und Obdachlosenasyl genutzt, bis die Anlage abgerissen wurde, um dem 1975 eingeweihten Neubau des Kultur- und Bildungszentrums Maria Lindenhof zu weichen. Heute erinnert noch ein Grabkreuz an die Barmherzigen Brüder von Montabaur, das früher zum Brüderfriedhof gehörte. 1990 wurde es restauriert und mit einer Gedenktafel versehen. Weiterlesen

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»Viele Gläubige schlossen sich den Deutschen Christen an« – Die evangelische Altstadtgemeinde

Pfarrer Ernst Glauert

Von Wolf Stegemann

Die evangelische Gemeinde in Dorsten-Alt­stadt hatte nicht den politischen Einfluss wie die katholische Altstadtgemeinde. Dafür war die Gemeinde zu klein im katholischen Dorsten. 1931 gab es 340 evangelische Gemeindemitglieder, 1939 knapp 400, von denen etwa zehn der Bekennenden Kirche angehörten. Im Gegensatz zur Gemeinde Holsterhausen, wo sich das Presbyterium zur Bekennenden Kirche bekannte, ein fast nicht wahrnehmbarer Anteil. Die Parteispitze in Dorsten war evangelisch: Fritz Köster, bis 1933 Ortsgruppenleiter, dann Beigeordneter, und Ernst Heine, Orts­gruppenleiter, der seine Töchter auf die katholische Schule der Ursulinen schickte.

Am 3. April 1931 trat Pfarrei Ernst Glauert sei­nen Dienst in der Gemeinde an. Bis zum Verbot der kirchlichen Vereinigungen wid­mete er sich – bei seiner Einführung gerade 28 Jahre alt – der Vereins- und Jugendarbeit besonders stark. Arbeiter- und Gesellenver­ein zählten damals zusammen etwa 175 Mit­glieder. Weiterlesen

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Arthur Paeschke – Evangelischer Pfarrer in Holsterhausen war Parteiredner der NSDAP – 1933 nach Sachsen versetzt

Pfarrer A. Paeschke

Von Wolf Stegemann

Er kam am 22. März 1927 als Hilfsprediger von der Freien Lutherischen Kirche in Hamburg an die evangelische Kirche Holsterhausen und wohnte in der Straße „Zum Aap“, die damals noch Lippestraße hieß. Im Dezember konnte er dann in das neu erbaute Pfarrhaus an der Kirche ziehen.

Seine Eltern waren Hermann Paeschke, Kriminalbeamter, und Anna geborene Hillinger. Paeschke, geboren 1883 in Berlin, studierte in seiner Geburtsstadt, war Vikar in Magdeburg, in der Steiermark und in Pommern (1916 bis 1918), Hilfsprediger in Hamburg von 1918 bis 1920, wurde 1919 in Berlin ordiniert und war verheiratet mit Käthe Wendt (2 Kinder). Seine Pfarrstellen waren: Hamburg St. Anschar 1920, Missionsgemeinde Emmaus in Hamburg 1923 bis 1927, Martin-Luther-Kirche Holsterhausen 1927 bis 1933, Karow bis 1943, Dahlenwarsleben 1940 bis 1951, Drewitz/Provinz Sachsen 1951 bis zur Pensionierung 1956.

Dem Judentum sagte der Pfarrer den Kampf an

Der Holsterhausener Geistliche war Nationalsozialist, schon vor 1933 NSDAP-Mitglied und stand als Parteiredner im Dienst der Partei. So sprach er auf Einladung der NSDAP-Ortsgruppe Dorsten am 3. Dezember 1930 im Saal Koop am Markt zum Thema „Nationalsozialismus und Christentum“. In dieser Rede setzte sich Paeschke kritisch mit dem katholischen Zentrum auseinander und bekannte sich persönlich zu Jesus, aber auch zum Nationalsozialismus, „weil dieser eine aus deutschem Wesen und deutscher Not geborene Bewegung“ sei. Paeschke verstand die „christliche Weltanschauung als Kernstück des Kampfes wider den Atheismus“. Es gelte auch, so Paeschkes Thesen, „dem Judentum die Kampfansage“. Denn nicht mit dem Juden, sondern mit dem christlichen Kaufmannsstande sollten die Geschäfte gemacht werden. Der Wähler, so das Credo des geistlichen NSDAP-Wahlredners, solle sich von keinem Priester in den Weg treten lassen, denn sein Gewissen sei an Gott gebunden und nicht an den Priester. „Wenn der Nationalsozialismus nicht zum Ziele kommt, dann ist Deutschland verloren.“ Weiterlesen

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„Es genügt nicht, den Irrlehren mit einem Nein zu widerstehen!“ Die evangelische Martin-Luther-Gemeinde in Holsterhausen unterstellte sich der Bekennenden Kirche

Von Ernst Krüsmann (†)

Wenn man rückblickend die kirchliche Lage von 1930 bis 1945 in Dorsten-Holsterhausen überschaut, dann kann man nichts Besseres tun, als die Worte des Stuttgarter Schuldbekenntnisses darüber setzen:

„Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Die Auseinandersetzung der evangelischen Kirchengemeinde Holsterhausen mit dem Nationalsozialismus begann nicht erst 1933. Mein Amtsvorgänger,  Pfarrer Arthur Paeschke, der vordem Prediger der Freien Lutherischen Kirche in Hamburg war, hat bereits 1932 sich als Wahlredner der NSDAP eingesetzt und fuhr durch die lippischen Lande. Das war für große Teile der Berg­mannsgemeinde, die politisch anders einge­stellt war, ein gewaltiges Ärgernis. Es gab Gemeindemitglieder, die sich deswegen vom Pfarramt absetzten und eigene Bibelstunden und Gottesdienste abhielten. Weiterlesen

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Der starke und stille Widerstand der „Ernsten Bibelforscher“ – Von der Gestapo überwacht und verfolgt

Von Wolf Stegemann

Nicht vergessen werden darf der lautlose Widerstand der freien Glaubensgemeinschaften, deren Mitgliederzahl sich in Deutschland 1933 auf etwa 60.000 belief. Von diesen haben sich einige Gruppen, vor allem die „Internationale Vereinigung Ernste Bibelforscher“, heute „Zeugen Jehovas“ genannt, vom ersten Tag des Naziregimes an bis zum letzten mit großer Tapferkeit zur Wehr gesetzt. Die „Ernsten Bibelforscher“ wurden außergewöhnlich

Die Versammlung von 1930 im Garten des Hauses Hagenbecker Straße 57: Artur Kramm, Karl Kneifel, Max Ziel, Ernst Henschel, Otto Kruf, Adolf Bärtel mit Sohn, Wilhelm Bärtel, dahinter Alfred Yarka, -?-, Otto Hoffmann; Gertrud Bärtel, Erna Kneifel, Maria Bärtel, Helene Bärtel, Maria Kramm, in der Mitte Frau Ziel (jeweils v. l.)

scharf verfolgt, weil sie Eidesleistung und Kriegsdienst ablehnten. Viele, die in ihrer Kriegsdienstverweigerung verharrten, wurden – wie der Holsterhausener Artur Kramm – in Zuchthäusern hingerichtet. Die Zeugen Jehovas beziffern ihre in den Jahren 1933 bis 1945 Inhaftierten auf 10.000, wovon etwa 1.000 durch Urteil hingerichtet wurden und nochmals 1.000 in Konzentrationslagern ermordet oder umgekommen sein mögen. Weiterlesen

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