Heeresgefängnis in der Antoniusschule Holsterhausen – An der Steinhalde wurden Deserteure erschossen

Steinhalde – noch nach dem Krieg ein Ausflugsziel, heute abgetragen

In den zehn Monaten des Zweiten Weltkriegs wurden in das Dorstener Gefängnis am Ostwall deut­sche Soldaten verbracht, die der Fahnenflucht beschuldigt oder bereits verurteilt waren. Da das Gefängnis bald überfüllt war, richtete die Wehrmacht in den unteren Räumen der Antoniusschule, die von 1939 bis 1945 nach dem U-Boot-Kommandanten des Ersten Weltkriegs Otto von Weddigen benannt war, ein behelfsmäßiges Militärgefängnis ein. Bewacht wurden die einsitzenden Soldaten von den Landesschützen und in den letzten Kriegsmonaten auch von einer SS-Einheit. Viele der im Gefängnis in Dorsten sitzenden zum Tode verurteilten Deserteure wurden zum Kriegsdienst in einem Strafbataillon „begnadigt“, das in den letzten Kriegswochen in Münster aufgestellt wurde. Wenn in diesen Tagen ein umherirrender Soldat, der seine Einheit verloren oder keine Papiere hatte, sich selbst verstümmelte oder dessen Fahnenflucht von gravierender Art war, wurde auch in diesen Tagen standrechtlich verurteilt und danach sofort gehenkt oder erschossen. Nicht belegt, aber wahrscheinlich ist es, dass etliche aufgegriffene Soldaten, die in die Antoniusschule gebracht wurden, nach Prüfung ihrer Angaben dort standrechtlich verurteilt und anschließend an der Steinhalde der Zeche Baldur oder im Zechenbusch am Kreskenhof in Holsterhausen erschossen wurden. Dafür gibt es Augenzeugen. Frau Borheyer vom Söltener Landweg erinnert sich an vier Hinrichtungen durch Erschießen im März 1945, also wenige Tage vor Ein­marsch der Amerikaner. Die Exekutierten wurden am Zaun des Waldfriedhofs am Tüshausweg begraben. Ein damals 14-jähriges Mädchen wurde Zeugin einer solchen Bestattung.

„Wie viele ande­re Leute aus der alten Baldur-Kolonie, hatten wir kleine Bunker und Unterstände im nahen Freudenberger Wald ange­legt. Bei Fliegeralarm sind wir dann in den Busch gelaufen und suchten Schutz in unserem Waldbunker. Als ich eines Tages neben dem Friedhof herlief, sah ich zwei deutsche Soldaten, die einen toten Kameraden ohne Schuhe und Strümpfe, aber mit Uniform in einer Segeltuchplane trugen und in ein Loch fallen ließen. Ich dachte nur: schlimm, schon wieder ein Toter. Heute kommt mir das Erlebte schon seltsam vor, kein Abschiedsgruß, kein Salutschuss, auch kein Pfarrer war damals dabei. Das war etwa eine Woche bevor die Alliierten hier in Holsterhausen ein­rückten.“

Als am 23. März 1945 bei der großen Bombardierung der Stadt Dorsten auch das Gefängnis getroffen wurde, konnten etliche der dort untergebracht gewesenen Soldaten  fliehen. Belegt ist, dass eine SS-Einheit von der Antoniusschule abrückte und in Dorsten die geflüchteten Soldaten wieder zusammen trieb, sie auf LKW verlud und an der Steinhalde in Holsterhausen erschoss. Besonders schmählich war die Abkommandierung von fünf jungen Luftwaffenhelfern des Leichten Flakzugs in Kirchhellen nach Holsterhausen, um Todesurteile zu vollstrecken. Im März 1945, also wenige Tage vor dem Ende, sollten sie als Erschießungskommando zwei deutsche Soldaten exekutieren, die wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt worden waren.

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Quelle Walter Biermann in „Holsterhausener Geschichten“, Band 2, 2002 (Aussage von Frau Borheyer und den Mädchen).
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Walter Biermann: Meine Erinnerungen an die Kriegszeit in Dorf Hervest – Gesprengte Brücken

Der Himmel voller Flugzeuge

Obwohl ich erst im Kriegsjahr 1940 in Dorf Hervest geboren wurde, erlebte ich die ersten fünf Jahre meines Lebens sehr intensiv, denn sie waren die Kriegsjahre mit all den schlimmen Geschehnissen, wie ich sie erst später verstanden habe. Ich habe noch in Erinnerung, wie ich als drei- und vierjähriger bei Luftalarm in den nahen Bunker an der Glück-Auf-Straße Ecke Paulusstraße gebracht wurde. Meine Mutter erzählte mir später, wie wir, die Nachbarkinder Rolf, Walburga, Günter, Werner, Hansjürgen und ich dann stets um die Wette geschrien hätten. Im Bunker war es eng, kalt und feucht. Doch einen Sieger im Wettschreien gab es nicht.

Der Himmel war voller Flugzeuge

Ich kann mich noch an eine Szene besonders gut erinnern. 1944 wurden Flugstaffeln in den Westen verlegt, um gegen die in der Normandie gelandeten Alliierten eingesetzt zu werden. Eines Tages holte mich meine Mutter auf die Straße. Es dröhnte. Ich sah zum Himmel, der voller Flugzeuge war. Der  monotone Motorenlärm übertönte alles. „Jetzt greifen wir sie an“, sagten die Erwachsenen. Weiterlesen

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Die Kriegsjahre in Altschermbeck und in den Bauerschaften – Auszüge aus der Ortschronik des Lehrers Franz Grunewald

Der Heimatbund für die Herrlichkeit Lembeck in Wulfen ordnete 1936 an, dass in allen Orten der Herrlichkeit Lembeck Ortschroniken zu führen sind. Altschermbeck gehörte damals zum Amt Hervest-Dorsten. Der heute zu Dorsten-Holsterhausen gehörende Bereich Emmelkamp gehörte damals noch zu Altschermbeck. Dort bekam Lehrer Franz Grunewald aus Üfte den Auftrag, die Chronik zu führen; in Erle war es Hauptlehrer Sagemüller. Mit dem Auftrag bekamen die Chronisten die ersten Anweisungen, wie sie die Ortschronik zu führen hatten. Dazu heißt es gleich am Anfang der Altschermbecker Chronik:

„Unter Ortschronik soll im Nachfolgenden nicht eine geschichtliche Darstellung der Vergangenheit eines Ortes verstanden werden, sondern eine fortlaufende chronikalische  Aufzeichnung dessen, was in der Gegenwart geschieht. Es ist das Bestreben des Heimatbundes, an allen Orten in Westfalen die Führung solcher Ortschroniken zu veranlassen, … nicht, um aus ihr die weltgeschichtlichen Ereignisse jener Zeit kennen zu lernen, sondern [das Wissen], was sich an bemerkenswerten Dingen in jenem kleinen Lebenskreis abgespielt hat … genau und wahrheitsgetreu.“ 

Der Chronist Franz Grunewald war damals 48 Jahre alt, Bauernsohn aus Erle und seit 16 Jahren in Altschermbeck-Üfte als Lehrer tätig. Infolge seiner ausgedehnten Verwandtschaft war er seit frühester Jugend mit Land und Leuten verwachsen. Er führte die Chronik von 1936 bis 1958. Im Folgenden ist die Chronik auf die Kriegsjahre von 1939 bis 1945 beschränkt und wegen der Länge mancher Texte gekürzt wiedergegeben. Wenn von Dorf die Rede ist, ist Altschermbeck gemeint; entlegene Bauerschaften, die aber zu Altschermbeck gehören, werden als solche genannt. Weiterlesen

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Flakhelfer – Pennäler hatten Geschützdienst und Unterricht in der Stellung

Von Wolf Stegemann

Nach der Verordnung zur „Heranziehung von Schülern zum Kriegshilfseinsatz der deutschen Jugend in der Luftwaffe“ vom 26. Januar 1943 wurden in einer ersten Auswahl 11.503 Flakhelfer (offizielle Bezeichnung: Luftwaffenhelfer) schulklassenweise eingezogen und zum Teil kaserniert. Sie erhielten regelmäßig Unterricht, der aber zunehmend eingeschränkt wurde und schließlich ganz ausfiel. Die Flakhelfer ersetzen Flaksoldaten, die für die Front gebraucht wurden. Die Formel 100 Flakhelfer für 70 Soldaten erwies sich bald als falsch. Die etwa 16 Jahre alten Jungen kämpften oft fanatischer als die desillusionierten Landser, da die Schüler von ihren Lehrern meist propagandistisch ideologisiert waren. Die Flakhelfer übernahmen sämtliche Funktionen selbst an schweren Flugabwehrkanonen vom Richtschützen bis zum Geschützführer und erhielten dafür 50 Pfennig Tagessold. Im Juni 1944 betrug ihre Zahl bereits 56.000. Offiziell waren sie Mitglieder der Hitlerjugend; dadurch hatten die Flakhelfer keinen Kombattantenstatus, was bei Gefangennahme dazu führen konnte, dass sie wie Partisanen behandelt wurden. Diese Gefahr wuchs, als die Flakhelfer in der letzten Kriegsphase auch zum Erdkampf herangezogen wurden. Ihre Verluste sind nicht bekannt. Doch lassen Berichte von zahlreichen Volltreffern in Flakstellungen hohe Opferzahlen vermuten (nach Barth/Bedürftig: Taschenlexikon Zweiter Weltkrieg, Pieper München 2000). Weiterlesen

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Endphaseverbrechen – ein juristischer Begriff zur Sühnung von Verbrechen in den letzten Kriegswochen

Als Endphaseverbrechen oder Verbrechen der Endphase werden nationalsozialistische Verbrechen bezeichnet, die in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkriegs begangen wurden. Der Begriff wurde im Umfeld der Strafverfolgung dieser Verbrechen in Deutschland und Österreich nach 1945 geprägt. Typische Tätergruppen waren Angehörige nationalsozialistischer Organisationen wie Gestapo, SS, sowie auch der Wehrmacht. Typische Opfergruppen waren Zivilisten, die der Wehrkraftzersetzung beschuldigt wurden, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Weiterlesen

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