Der 17-jährige Schüler Nicolaij Efanow rief „Heil Hitler-Scheiße“, danach schlug ihn die Polizei tot

Nicolaij Efanow wurde erschlagen

Von Wolf Stegemann

Als der 17-jährige sowjetische Zwangsarbeiter Nicolaij Efanow an Hitlers Geburtstag am 20. April 1944 seinen rechten Arm zum Hitlergruß hob, die Hacken seiner klobigen und schäbigen Schuhe zusammenknallte und „Heil Hitler-Scheiße“ rief, holten ihn in den Abendstunden Beamte der Stapo aus seiner Baracke in der Dorstener Eisengießerei und brachten ihn nach Borken. Denn von dort war der „Zivilarbeiter aus Sowjetrussland“, wie die Zwangsarbeiter und Zwangsdeportierten aus der besetzten Sowjetunion hießen, ausgeliehen. Der junge Schüler überlebte Führers Geburtstag nicht. Noch in der gleichen Nacht brachte die Polizei den Russen tot in die Eisengießerei zurück. „Auf der Flucht erschossen“ hieß es lapidar auf der erhaltenen Karteikarte.

Doch die Leiche wies Spuren von Schlägen auf. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verquollen. Nicolaij Efanow fand seine letzte Ruhestätte in einem Massengrab auf dem Russenfriedhof in Dorsten-Holsterhausen. Aus einem nicht weitergeleiteten und in Teilstücken erhaltenen Brief an Angehörige in seinem russischen Heimatort Makewka geht hervor, dass sich der Junge nach seiner Mutter und seinen Brüdern sehnte und sich nichts mehr wünschte, als heimzukehren. Weiterlesen

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Ein Netz von NS-Propaganda-„Zeitungen“ überspannte die Fremdarbeiterlager. „Lernen wir Deutsch: Kartoffel, Karotte, Kraut, Zuckerrübe, Kürbis“

Von Wolf Stegemann

Mit „Fremdarbeiter-Zei­tungen“ wurde im natio­nalsozialistischen Deutschland das Propaganda-Netz auch über den mehr als zwölf Mil­lionen Ausländern ausge­breitet, die in der deut­schen Kriegswirtschaft arbeiten mussten. Ein Ex­kurs in die unrühmliche Geschichte der Zeitungen für Ausländer.

„12. April 1941: Ich kümmere mich stark um die kulturelle Betreuung der im Reich arbeitenden ausländischen Ar­beiter. Das sind mehrere Hun­derttausend… Wir sind auf ihre fleißige Arbeit angewie­sen.“ Die Notiz aus dem Ta­gebuch des Joseph Goebbels ist knapp. Der Reichspropa­gandaminister setzte in den Apriltagen des Jahres 1941 aber eine Maschinerie in Gang, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges immer schneller lief: die Propaganda für „Fremdarbeiter“. Weiterlesen

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Deutsche Soldaten in sowjetischen Lagern – Rotarmisten in deutscher Gefangenschaft

W. St. – Ein Kriegsgefangener ist „ein Mann, der dich töten will, dich aber nach seiner Überwältigung bittet, ihn nicht zu töten“. So lautet die sinngemäße Übersetzung eines Bonmots, das von Winston Churchill stammen soll. Es offenbart ein für das 20. Jahrhundert charakteristisches Verständnis, dass die Kriegsführung kein atavistisches Morden, sondern eine Handlung im staatlichen Auftrag sei und der Gegner die Hoffnung haben darf, nicht aus Rache getötet zu werden. Im Altertum machte man keinen Unterschied zwischen Kämpfern und Nicht-Kämpfern. Dem siegreichen Feldherrn stand das Recht zu, mit allen Angehörigen des Gegners zu verfahren, wie es ihm beliebte, sie in der Regel zu töten oder als Sklaven zu verkaufen. Die Versklavung war bei den Griechen und Römern üblich und wurde auch im christlichen Abendland praktiziert, bis auf dem 3. Laterankonzil (1179) den Christen der Handel mit Sklaven verboten wurde. In der Folge wurde es Brauch, Kriegsgefangene gegen Lösegeld freizulassen. Wesentliche Änderungen ergaben sich mit dem Aufkommen der Söldnerheere. Man unterschied in dieser Zeit bereits zwischen Kombattanten und nicht beteiligter Zivilbevölkerung. Der einzelne Soldat wurde zum wertvollen Wirtschaftsgut. Gefangene wurden entweder für die eigene Truppe geworben, von den Gegnern frei gekauft oder nach festen Regeln und in regelmäßigen Zeitabständen gegen eigene Leute in feindlicher Gefangenschaft ausgetauscht. Weiterlesen

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Über die Behandlung polnischer Soldaten jüdischer Herkunft in deutscher Gefangenschaft. Im Lager an der Schleuse waren auch jüdische Offiziere untergebracht

Karteikarte eines polnischen Kriegsgefangenen aus dem Dorstener Lager an der Schleuse (Oflag VI E)

W. St. – Mit Ausnahme von ein paar Seiten in Szymon Datners Buch „Die Wehrmacht und die Verbrechen gegen Kriegsgefangene der regulären Armeen während des Zweiten Weltkriegs“ (Zbrodnie Wehrmachtu na jencach wojennych w II wojnie swiatowej, Warschau, 1961) wurde dieses Thema von Historikern kaum erforscht. Es gibt wenig Material. Die polnische Armee hinterließ keine schriftlichen Aufzeichnungen über ihre Soldaten jüdischen Glaubens oder Abstammung. Die spärlichen Akten der polnischen Exil-Regierung in London sind kaum erwähnenswert. Sowjetische Dokumente sind immer noch nicht voll zugänglich. Material, das als Beweismittel für die „Nürnberger Prozesse“ verwendet wurde, ergab einige Hinweise zum Thema. Die Hauptquelle sind daher die Aufzeichnungen ehemaliger polnischer Kriegsgefangener – Juden und Nichtjuden – entweder unveröffentlicht in Archiven oder in Dokumentationen veröffentlicht. Weiterlesen

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Der Russenfriedhof in Holsterhausen: heute ein Ort der Stille – damals: „Sie starben wie die Fliegen“

Massengräber auf dem russischen Friehof in Holsterhause; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann

Sie hießen Wladislaus oder Marija, Anna oder Roman, Borris oder Wladislawa. Es waren Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren – gesund und kräftig, als man sie nach Deutschland holte. Hier starben sie an Unterernährung, Lungenentzündung, Vergiftung oder Grippe. Einige suchten den Freitod, andere wurden getötet. Ihre Grabsteine und die durch Bäume und Buschwerk verdeckten Gräber – manche davon Massengräber –  auf dem so genannten Russenfriedhof in Holsterhausen legen Zeugnis ab von ihrem Tod. Von der Lage her gehört er zu Holsterhausen, territorial zu Wulfen-Sölten. Verwaltungszuständig war daher Wulfen, heute Dorsten.

Es gibt auch Kindergräber dort. Kaum geboren, begann für viele Säuglinge bereits das Sterben. „Sie litten an Unterernährung und waren schrecklich aufgebläht“, erinnert sich eine frühere Krankenschwester. „Sie starben wie die Fliegen.“ Nach ihrer Schätzung müssen es weit mehr gewesen sein, als standesamtlich festgehalten. „Sie wurden in Schuhkartons gelegt und kamen teilweise zu viert in ein Grab.“ Weiterlesen

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