Schulspeisung: In Dorsten wurden 4,5 Millionen Portionen gekocht, die bis zu fünf Pfennig kosten durften

W. St. – Von 1946 bis in die 1950er-Jahre hinein wurden auch in Dorsten warme Mahlzeiten mit viel Kalorien und Kohlehydraten für Schulkinder gekocht. Diese Aktion ging als Schulspeisung in die Nachkriegsgeschichte ein.

Schulspeisung 1948

Internationale Organisationen, vor allem Quäker, spendeten auf Anregung des amerikanischen Präsidenten Hoover Geld und tonnenweise Nahrungsmittel. Jedes Kind bekam täglich Einachtel Liter entrahmte Frischmilch, an zwei Tagen in der Woche wurde der Milch ein Teelöffel (2,5 g) Trinkschokolade zugegeben und an den übrigen vier Tagen eine auf 12,5 Gramm rationierte Nährspeise. Das Ganze durfte nicht mehr als 5 Pfennige pro Mahlzeit kosten. Später kamen je nach Speiseplan noch Rosinen, Haferflocken, Sirup, Suppenmehl, Fleischkonserven, Kekse u. a. dazu. Meist samstags gab es „Nährstangen“, die aus Zucker, Weizenschrot, Trockenmagermilch, Fett, Eiscremepulver, Fruchtpulver und Mehl bestanden haben. Hin und wieder gab es Schokolade. Für die Kinder der Stadt wurden täglich rund 8.000 Portionen von verschiedenen Metzgereien, von Ehefrauen der Lehrer und Privatpersonen gekocht. In dem von der Militärregierung im November 1947 herausgegebenen „Bekanntmachungsblatt“ steht: Weiterlesen

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Presse I: An den Anfang setzten die Sieger das gedruckte Wort – Freie Presse anstatt Goebbels-Lügen

Die erste Ausgabe der in Dortmund herausgegebenen "Ruhr-Nachrichten"

Von Wolf Stegemann

Zwei wichtige Persönlichkeiten formulier­ten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Er­kenntnisse, die sich scheinbar ausschließen, jedoch die Einstellung der Deutschen in die­ser Zeit treffend wiedergeben. Der spätere Presse-Zar Axel Cäsar Springer baute sein Zeitungsimperium auf folgender Erkenntnis auf: »Ich war mir seit Kriegsende darüber klar, dass der deutsche Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken.« Der deut­sche Emigrant, Romancier und Reporter Hans Habe, von den Amerikanern mit dem Aufbau der deutschen Presse betraut, handelte nach der begründeten Hoffnung: »Der Hunger nach Wahrheit war nicht geringer als der Hunger nach Brot!« Noch bevor der Krieg beendet war, hatten die Amerikaner eine »amerikanische Presse für die deutsche Bevölkerung« geplant. Die Zeitungen sollten solange in amerikanischen Händen bleiben, bis es den Lizenzierungs­teams gelingen würde, politisch saubere und publizistisch tüchtige deutsche Herausgeber zu finden. Weiterlesen

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Presse II: Not macht erfinderisch – Die ersten Ausgaben der Dorstener »Zeitung« wurden nach dem Krieg auf Handzetteln gedruckt

Von Wolf Stegemann

Amtsbürgermeister Philipp Desoi schürte schon am 25. Mai 1945 die Vorfreude auf das Wiedererscheinen der seit 1940 eingestellten traditionsreichen »Dorstener Volkszei­tung«, die in der NS-Zeit durch den »Westfälischen Beob­achter« abgelöst worden war. Allerdings ha­ben die Dorstener ihre Heimatzeitung doch nicht so schnell in Händen gehalten. Aus dem nicht gerade reichlichen Archivmaterial geht nicht hervor, warum es mit der frühen Zeitungsherausgabe im Mai 1945 nicht ge­klappt hat, wo doch Desoi aufrief, »vertrau­enswürdiges Material« solle zur Amtsver­waltung auf den Klapheck’schen Holzplatz gebracht werden.

Erste Ausgabe "Ruhr-Nachrichten"

Aus zwei zerstörten Druckmaschinen eine zusammengebaut

Als am 22. März 1945 auch das 1925 errich­tete Druckereigebäude am Südwall von Bomben stark getroffen wurde, improvisier­ten in der »Stunde Null« die Drucker nach dem Motto »Not macht erfinderisch«. Sie mon­tierten aus zwei ziemlich beschädigten Druckmaschinen einen funktionstüchtigen »Heidelberger Tiegel« zusammen. Papier­knappheit grassierte überall in Deutschland. Mit einer frühen Lizenz konnte Verleger Weber auf­grund seiner deutsch-nationalen Vergangen­heit sowieso nicht rechnen. Dennoch verlie­ßen die wichtigsten lokalen und regionalen Meldungen – auf Handzetteln gedruckt – das beschädigte Verlagsgebäude am Südwall. Der damalige Drucker Hans Cirkel erinnerte sich: »Wir verkauften das Blatt für zehn Pfennige.« Weiterlesen

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Rektor Joseph Kellner aus Holsterhausen versuchte 1945 sein Handeln zu rechtfertigen – Im seelischen Zwiespalt

Von Wolf Stegemann

2009 tauchte in Holsterhausen ein Dokument auf. Es ist ein Aufsatz, der in den Jahren 1945/46 verfasst wurde und die Zeit des Nationalsozialismus in Holsterhausen beschreibt. Es ist ein Stimmungsbericht. Autor ist der damalige Lehrer und Rektor Joseph Kellner, der auf 79 Schreibmaschinenseiten und in 87 Kapiteln die gesamte „Heimatgeschichte von Holsterhausen“ von der Entstehung der Heimaterde und der Eiszeit in vorgeschichtlicher Zeit über die Höfeordnung im Mittelalter und die verschiedenen Kriege der Neuzeit bis zum Ende des Nationalsozialismus beschreibt. Gedacht war dieses Manuskript als Anleitung für den Schulunterricht. So nennt er seinen Bericht im Untertitel „Stoffsammlung und Versuch einer Darstellung für den heimatkundlichen Unterricht“. Er widmete seine Arbeit „den Lehrern und Kindern der Bonifatiusschule“. Erstaunlich ist sein Stimmungsbericht über die nationalsozialistische Zeit, die Kellner schließlich als NSDAP-Mitglied und Sprachrohr von NS-Gedankengut erlebt und überlebt hatte.

Rektor Joseph Kellner 1933

Aus heutiger Sicht bedarf dieser hier im Wortlaut und ohne Kürzungen wiedergegebene Bericht einer kurzen Kommentierung. Ortsbezogene Fakten und Namen werden nicht genannt. Die Schilderung, zeitnah geschrieben für Schüler, liest sich streckenweise wie ein Weißwaschbericht: Schuld hatten andere, Nazis kamen von woanders her, den „dämonischen Mächten“ konnte man sich nicht entziehen, man ergab sich dem aufgezwungenen Schicksal, weil man sowieso keinen Widerstand leisten konnte, und einfacher Lehrer wollte man nicht ewig bleiben, wenn mit dem Parteibuch der Rektorposten winkte. Karriere war man schließlich der Familie schuldig! Die Verdrängung, dass man dabei war, dass man weggesehen oder es sogar befürwortet hat, wenn andere verfolgt wurden, dass man noch bis in den Untergang gejubelt und geschossen hat, war in den Jahren der Entnazifizierung, in der dieser Bericht verfasst worden war, kollektives Bewusstsein. Man stilisierte sich zum Opfer, fühlte sich von den Amerikanern plötzlich befreit und nicht besiegt. Weiterlesen

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Die Heimat verloren: 1945 war jeder sechste Deutsche ein Flüchtling. Zwölf Millionen strömten in den Westen

Flüchtlinge auf dem Weg in eine neue Heimat

Von Wolf Stegemann

Im August 1945 strömten schätzungsweise täglich 30.000 Heimatvertriebene vom Osten in das amputierte Rest-Deutschland. Insgesamt waren es zwölf Millionen Deut­sche, die vor den Russen flüchteten oder ver­trieben wurden. Eine endlose Prozession ab­gehärmter Menschen zog durch die Städte und Dörfer. Viele waren barfuß. Nach Hun­derten von Kilometern war vom Schuhwerk nichts mehr übrig. Viele hatten sich vor ihre primitiven Karren gespannt oder schoben die Kinderwagen mit den zwei oder drei Bündeln voll letzter Habseligkeiten vor sich her. Kinder, Greise und Greisinnen beweg­ten sich mühsam in diesen Zügen des Elends, die meist in Auffanglagern endeten, bevor diese Entwurzelten nach einem Zah­lensystem auf die Städte und Dörfer der westlichen Zonen verteilt wurden. Hinter je­der dieser Zahlen steckte ein Schicksal, eine Tragödie, ein Mensch. Jeder von ihnen ver­körperte den Zusammenbruch, die Auflö­sung, das Ende. Dennoch musste ein neuer Anfang in einer neuen Umgebung unter un­sagbar großen Entbehrungen gefunden wer­den.

Jeder sechste Deutsche war 1945 ein Flücht­ling. »Sie sind doch auch nicht von hier?« lautete die damals oft gestellte Frage. Und wenn dann zwei entdeckten, dass sie aus benachbarten Dörfern der alten Heimat stammten, lag das Gefühl nahe, einen Freund gefunden zu haben. Weiterlesen

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